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DRESDEN/Semperoper: DER RING DES NIBELINGEN zweiter und letzter Komplettdurchlauf

06.02.2018 | Oper

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Blick von der Frauenkirche nach W mit Schloß, Hofkirche und dahinter Semper-Oper. Foto: P.& H. Huber

 

Dresden: „DER RING DES NIBELUNGEN“ – Zweiter und letzter Komplettdurchlauf des Jahres an der Semperoper, 29. 1. – 4. 2.

Ein paar Fußnoten zu den ausführlichen und u. E. berechtigt begeisterten Berichten von Ernst Kopica und Ingrid Gerk

Als vor einem Jahr zwei „Ringe“ Anfang 2018 mit der Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann in Anton Cupaks Tageskommentar angekündigt wurden, haben wir sofort nach Dresden geschrieben; zwei Wochen später hatten wir die Zusage – juhu, nein, hojotoho heiaha, wir sind dabei!! Insgesamt 5.200 (4 x 1.300) Karten waren binnen Stunden verkauft. Nach Gehör war ein nennenswerter Teil der Besucher aus der Wiener Gegend, wir saßen inmitten einer großen britischen Kolonie, und neben Deutschen aus allen Ecken der Republik gabs Besucher aus aller Herren Länder, bis Japan und den USA.

-Die „Wunderharfe“ machte ihrem Namen jegliche Ehre; die samtig-profunden Bläser besonders im „Rheingold“, die himmlisch emporschwebende Erweckung der Brünnhilde, und ein Trauermarsch, der noch tiefer schürft und noch mehr wunderbar in die Musik hineinziehende Agogik als Thielemanns Wiener Mitschnitt aufweist.

-Die „Sesselorgien“ der Regie haben nicht nur uns gestört; auch viele Darsteller hatten trotz guter körperlicher Verfassung ihre liebe Not z. B. mit einem Abstieg hinter die Rückenlehnen, hinunter auf den Bühnenboden. Sogar für einen Fred Astaire war sowas seinerzeit die akrobatische Ausnahme. Und Siegfried tat wegen dieser Stühle und einer viel zu nahe daran gebauten Stufe im Bühnenboden im dritten Akt „seiner“ Oper einen krachenden Sturz, der alleine schon Brünnhilde hätte aufwecken müssen; erfreulich, daß das ohne ersichtliche Verletzung abging. Ansonsten war die „Sesslerei“ ab dieser Oper etwas zurückgenommen. Immer noch befremdlich bleibt freilich, daß Siegfried in der Schmiede (!) des sensationell stimmkräftigen Mime eine Esse zur Rekonstruktion des Nothung, natürlich zwischen Stühlen, erst aus dem Boden hochklappen muß. Im 2. Akt man hat den Eindruck, man befände sich auf der Terrasse von Lillas Pastias sevillianischem Tschecherl, mit Wald-, genaugenommen Neidhöhlenblick.

-Mit den vorgebauten Sesselreihen einher ging eine Verdrängung der Sänger um mindestens vier Meter hinter die Bühnenkante (so sie nicht im Sessellabyrinth herumzustaksen hatten), was sich auf die Darstellerinnen und Darsteller akustisch trotz der teilweise hornartig gestalteten Aufbaubühnen niederträchtig auswirkt.

-Daß ausgerechnet Hundings mondän-kalt-moderne „Hütte“, einschließlich der zentralen Säule, in der Nothung steckt, über und über in sorgfältig naturalistisch gemaltem oder auch am plotter gedruckten rötlichem Rüster = Ulmen-Furnier dekoriert ist, würde nicht nur Herrn Cupak professionell irritieren. Von heller Esche ist weit und breit nichts zu sehen. Dabei gabs in Premierenjahr 2001 noch kein Eschensterben.

-Die Rheintöchter sind vom Ausstattungsteam nicht so gestaltet, daß man das initiale Interesse Alberichs nachvollziehen kann.

-Einige Szenen blendet die Produktion aus, wie etwa den Aufstieg zum Brünnhildenfelsen oder die Rheinfahrt – da wird der schöne rote Bühnenvorhang mit güldenen Quasteln vorgezogen. Da freilich kann man sich „ungestört“ in die wunderbare Zusammenarbeit von Dirigent und Orchester versenken.

-Die Inszenierung hat unbestritten ihre gute Seiten – wohl wurde für die beiden Serien die Personenführung sehr genau geprobt, was man etwa am Streit Wotan/Fricka im 2. Akt „Walküre“ unterhaltsam wahrnimmt. Bilder wie das langsame Wegblenden des Lichts auf Wotan am Ende der „Walküre“, der Drachenkampf oder der Beginn des 3. Aktes „Siegfried“, schönes Zitat aus Wieland Wagners „Neu-Bayreuth“, bleiben in Erinnerung.

-Analog den Kompetenzbereichen der drei Nornen gab es, anders als bei der ersten Ring-Serie im Jänner, drei (!) Generationen von Heldentenören: Siegmund war wieder Peter Seiffert, der „Siegfried“-Siegfried war diesmal Stephen Gould, und Andreas Schager ließ seine lyrisch bewegliche und trotzdem scheinbar mühelos druckvolle Stimme nochmals in der „Götterdämmerung“ hören.

-Wo so viel Wagner ist, ist Stefan Mickisch nicht weit; der phantastische Pianist (seine Version des Walküre-Finales am Steinway klang beinahe so hinreißend wie einige Stunden später die Staatskapelle) hat sein profundes musikologisches wie historisches Wissen diesmal in der Dreikönigskirche in der Dresdner Neustadt, wie immer pointiert, ans aufmerksame (auch jüngere) Publikum gebracht.

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Klassisches DD Panorama von der derzeit in Kompletterneuerung befindlichen Augustusbrücke (da geht’s in die Neustadt nördlich der Elbe). Foto: P & H. Huber

-Dresden ist auch abseits der Oper unbedingt eine Reise wert, trotz der Verwüstungen vom 13. Februar 1945: schon zu DDR-Zeiten wurde einiges wiederaufgebaut, nicht zuletzt Sempers Prachtbau. Die alten Fassaden vor modernster Bautechnik in der Innenstadt mögen berechtigt Einwände wie „Disneyland“ provozieren – jedenfalls gibt das schöne Ensembles, und gute moderne Architektur bekommt man generell leider sowieso selten zu Gesicht. Einen exzellenten Überblick bekommt man von der Kuppellaterne der aufwendigst („alte“ Glasfenster!) wiederrichteten Frauenkirche.

-Unbedingt zu besuchen sind die Museen im Schloß: Historisches und Neues Grünes Gewölbe mit unglaublichen Kunsthandwerksstücken; in der Rüstkammer findet man prunkvollste Harnische. Ebenso einzigartig der mathematisch-physikalische Salon im Südflügel des Zwingers, der auch auf den heute wieder florierenden Uhrenbau in Glashütte eingeht. Die Galerie der Alten Meister gegenüber ist mit ihren Cranachs oder Canalettos noch reichhaltiger als das Wiener „Kunsthistorische“. Verkehrsmuseum und das vom ursprünglichen „Odol“-Produzenten Karl August Lingner gestiftete Hygienemuseum (in einem sehenswerten Bau von 1930) sind weitere highlights in oder sehr nahe der Innenstadt. Im nordwestlichen Vorort Radebeul schließlich können Karl-May-Leser ihre Gralsburg finden …

-Im Umland findet man außer den von Herrn Kopica erwähnten Wagner-Bezugspunkten auch landschaftliche und technische Besonderheiten, wie etwa die täglich (!) mit Dampf betriebenen Schmalspurbahnen im Weißeritztal oder der „Lößnitzdackel“ alias „Grundwurm“; mit letzterem gelangt man u. a. zum prachtvollen Schloß Moritzburg. Das chinoise Lustschloß Pillnitz mit seinem tollen Barockgarten (und einer legendären riesigen Kamelie) liegt etwas elbeaufwärts. Ein Ausflug nach Glashütte ins dortige großartige Uhrenmuseum wäre ebenso eine gute Idee.

Auch in Hinblick auf letztere Attraktionen wäre eine Wiederaufnahme dieser Produktion (vielleicht überarbeitet, mit weniger Stuhlreihen auf der Bühne ) mit einer ähnlich fantastischen Besetzung in nicht allzu ferner Zukunft eine tolle Sache. Es würde auch abseits der Aufführungen eine schöne und kurzweilige Woche!

Petra und Helmut Huber

 

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