Dresden / Semperoper: 4. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT LISA BATIASHVILI, GAUTIER CAPUCON UND CHRISTIAN THIELEMANN – 12. 11. 2016
In der zeitlichen Nähe von Volkstrauertag und Totensonntag/Ewigkeitssonntag boten Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden ein anspruchsvolles Programm zwischen Liebe und Tod in der Sicht dreier bedeutender Komponisten des 19. Jahrhunderts, Johannes Brahms, Pjotr I. Tschaikowsky und Franz Liszt.
Unter Thielemanns Leitung begann Brahms’ letztes Orchesterwerk, das “Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a‑Moll” (op. 102) mit wuchtigen Klängen, bis Gautier Capuçon mit seinem feinsinnigen, klangvollen Cello-Solo einstimmte, das von der Kapelle einfühlsam begleitet und mit ebenso feinfühligem Orchesterklang weitergeführt wurde. Lisa Batiashvili spielte in ihrer sanften, sehr feinfühligen Art den Violinpart mit Zartgefühl und Hingebung. Beide Solisten stimmten sich gegenseitig bei ihren solistischen oder gemeinsamen Auftritten harmonisch ab, so dass sich die für Brahms so typische herbe Schönheit seiner Musik im Wechselspiel zwischen beiden Solisten und den kontrastierenden Orchesterpassagen, sehr kraftvollen, herben oder feinen, leiseren und sehr klangvollen, entfalten konnte.
Besonders eindrucksvoll geschah dies im 2. Satz, vom Orchester mit großem Engagement klangschön und innig musiziert. Das war ganz Brahms in seiner Mentalität – „raue Schale“ und „weicher“, emotionsreicher, empfindsamer „Kern“. Mit sehr, sehr feinem Klangsinn spürten die Musiker Brahms‘ Intentionen nach, in ihrer wohl einmaligen klanglichen Abstimmung, ihrer unausgesprochenen Übereinstimmung zwischen Erfassen und klangschöner Wiedergabe in „himmlisch schönen“ Passagen und Momenten. In solchen Situationen nimmt sich Thielemann bewusst zurück, um der Kapelle alle Möglichkeiten einzuräumen, ihren exzellenten Klang zu entfalten, bis er attacca wieder starke Kontraste folgen und das Doppelkonzert in vehementem Taumel enden ließ.
Hatten sich Lisa Batiashvili und Gautier Capuçon, mit Hingabe und Feingefühl dem klassisch-romantischen Doppelkonzert gewidmet, so zeigten sie in ihrer sehr modernen, „zeitgemäßen“, leicht dahin gezauberten, Zugabe ihre Vielseitigkeit und ihren Sinn für heitere Leichtigkeit. Ganz auf sich gestellt, nur mit ihren beiden Instrumenten, folgten sie unentwegt dem motorischen Rhythmus und herben Klängen, gespickt mit virtuosen, gute Technik erfordernden „Kunststückchen“, ohne Pause, ohne abzusetzen oder Atem zu holen, wie ein Perpetuum mobile, jedoch mit Anfang und Ende und leicht getupftem neckischem Schlusspunkt.
Fein dosierte Orchesterklänge, melancholisch in Moll, leiteten danach die Fantasieouvertüre “Romeo und Julia” von Tschaikowsky ein. Sie entsprachen ganz der russischen und speziell Tschaikowskys Mentalität in dieser Tragödie, in der sich die Liebe der beiden jungen Leute innerhalb zweier, bis aufs Blut verfeindeter Familien auf den Tod hin bewegt, wo sie ihren stärksten Ausdruck findet.
Thielemann entsprach dem mit höchster Dramatik und zuweilen überbordendem „Orchestergetümmel“ mit schrillem „Blech“ und lautem Schlagzeug, vor allem Pauke, Becken und Trommel, als Ausdruck entfesselter Gewalt, Gefühlen in Aufruhr und heftigen Gefühlsausbrüchen in der Feindseligkeit der beiden Familien, und dann wieder besänftigt und versöhnend, mit dem besonderen Klang der Kapelle für die beiden Liebenden. Thielemann brachte sich ganz ein und gab sich sichtlich völlig aus.
Vom Orchester mit der ihm eigenen Akribie gestaltet und dem Inhalt nachspürend, begann auch Franz Liszts Symphonische Dichtung Nr. 3 „Les Préludes“, über der als Motto der Satz aus einem Gedicht von Lamartine, das er seiner fertiggestellten Komposition unterlegt hat, steht: „Was anderes ist unser Leben als eine Reihenfolge von Präludien zu jenem unbekannten Gesang, dessen erste und feierliche Note der Tod anstimmt?“. Auch hier bestimmte ein stark kontrastierender Wechsel zwischen den feinen kapellspezifischen Klängen und gewaltigen emotionalen Ausbrüchen Thielemanns Interpretation und Deutung.
Bis in unsere Zeit haftet dem Werk der Hauch des Missbrauchs seines Hauptthemas für die „Wochenschau“ im „3. Reich“ an. In diesem Konzert wurden „Les Préludes“ als Gesamtheit wieder „rehabilitiert“, sozusagen in ihr „ursprüngliches Anliegen zurückgeholt, ein Werk, in dem die Phasen des Lebens in ihrer Unzulänglichkeit als ursächliche Fragen in ihrer Vehemenz ergreifend als Vorspiele zum Tod dargestellt werden, der sie erst am Ende auflöst.
Ingrid Gerk