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DRESDEN/ Wiese vor der Gläsernen Manufaktur: KLASSIK PICKNICKT

08.07.2015 | Konzert/Liederabende

Dresden / Wiesen vor der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen: „KLASSIK PICKNICKT“ – MIT VLADIMIR JUROWSKI 04.7.2015

 

Einmal im Jahr begibt sich die Sächsische Staatskapelle Dresden vor die am Großen Garten, einer der bedeutendsten Gartenanlagen Europas, gelegenen Gläsernen Manufaktur von Volkswagen, um allen Bevölkerungsschichten, auch denen, die sonst keine Konzertbesucher sind (was gelegentlich auch am vorzeitigen Applaus zu erkennen war) in einem ungezwungenen Open-Air-Konzert die „klassische Musik“ näher zu bringen. Das Angebot wurde und wird mit Begeisterung angenommen. Von Jahr zu Jahr wächst die Besucherzahl. Die Karten sind immer schnell ausverkauft, und die „Zaungäste“ breiten sich in immer größerem Umfeld aus, selbst bei 34°C im Schatten wie in diesem Jahr. Für Musiker und Dirigent ist es dann „Schwerstarbeit“, aber die Qualität der Ausführung bleibt auf hohem Niveau.

Außergewöhnlich war in diesem Jahr auch das Soloinstrument, das Badoneon, meisterhaft gespielt von Per Arne Glorvigen aus Norwegen. Am Pult stand Vladimir Jurowski, ältester Sohn Michail Jurowskis. Er hatte nicht wie in den vergangenen Jahren ein bestimmtes Land als Motto gewählt, wie z. B. Spanien, China oder die vor 2 Jahren von seinem Vater geleitete „Russische Nacht“, sondern ein Programm aus Werken verschiedener europäischer Komponisten des 20. Jh., für die er eine Vorliebe zu haben scheint, zusammengestellt und mit entsprechendem Temperament quasi musikalisch „ins Russische übersetzt“ und mit einem echten Russen Rodion Schtschedrin kombiniert.

 Als Auftakt für die heitere Sommernacht hatte er etwas „Leichtes“ gewählt, die „Simple Symphony“ für Streichorchester (op. 4), die Benjamin Britten als 20jähriger unter Verwendung von Themen, die er schon als 12-13jähriger verwendet hatte, schrieb. Unter Jurowskos Leitung wurde der 1. Satz dieser heiteren kleinen „Symphony“ mit der Ernsthaftigkeit einer großen Symphonie und der Tiefgründigkeit eines Tschaikowski aufgeführt. Liebenswürdig und klangschön wurde dann der 2. Satz mit seinen lieblichen Pizzicati musiziert, der so ganz zu dem unbeschwerten Sommerabend passte. Klangschön und mit starkem Ausdruck, sogar berührend, erklang auch der 3. Satz, aber wieder im Duktus einer großen Symphonie. Von dieser Seite hatte man bisher Brittens „Simple Symphony“ wohl kaum kennengelernt, was jedoch kein Nachteil sein muss, im Gegenteil, diese andere, ungewohnte Sicht regte zum Nachdenken an.

 Von England ging es mit dem „Konzert für Bandoneon, Streicher, Klavier und Schlagzeug“ (1979) von Astor Piazzolla, einer Liebeserklärung an den Tango, die Liebe und das Leben, nach Spanien. Glorvigen, der alle Facetten der Ausdrucksskala des Bandoneons beherrscht, von Zurückhaltung über herbe Klänge bis zu überschäumendem Temperament, hat Piazolla einst persönlich getroffen und daher ein ganz persönliches Verhältnis zu dessen Musik.

 Als ausgesprochenes Volksinstrument harmonierte sein Bandoneon, das in diesem Konzert (fast) immer im Einsatz ist, dank seiner Meisterschaft im Zusammenspiel mit dem Orchester erstaunlich gut mit den klassischen Instrumenten, die u. a. von Thomas Meining, 1. Konzertmeister dieses Abends, mit einem sehr eindrucksvollen Violinsolo und Matthias Wilde mit hinreißenden Cellotönen vertreten waren. In einträchtigem Zusammenspiel ergänzten sich Violoncello und Bandoneon, diese zwei so unterschiedlichen Instrumente, gegenseitig wie in einem Duo.

 Glorvigen bedankte sich solo mit „La Marne“ (1920) von Eduardo (Lorenzo) Arola, „El Tigre del bandoneón“ (1892-1924) für den begeisterten Applaus und brachte sein 1929 im Erzgebirge (südlichwestlich von Dresden) gebautes Instrument mit einer sächsischen Melodie „in die Heimat zurück“, wie er betonte.

 Vom spanischen Tango ging es weiter auf dieser musikalischen Reise zu Rodion Schtschedrin (*1932 in Moskau), der jetzt hochbetagt in München lebt. In seiner „Carmen“-Suite (1967), Ballettmusik in einem Akt nach Georges Bizet für Streicher und Schlagzeug, die er für seine Frau, die berühmte Primaballerina Maja Plissetskaja komponierte – sie soll die „Carmen“-Suite über 300mal getanzt haben – hat er sich Motive aus George Bizets Oper zu eigen gemacht und auf seine Art und mit seinem Temperament „recomposed“. Die Melodienfolge bewegt sich nahe am Original, aber stark rhythmisiert, mitunter sogar verzerrt, grotesk und mit derb-russischem Temperament stark von Pauke und Schlagzeug dominiert, wie es von New York bis Russland durchaus beliebt ist.

 Vladimir Jurowski verleiht allem, was er dirigiert, Profil und Format, mitunter auch ein sehr starkes. Die Feinheiten in Bizets Musik und der berühmte Streicherklang der Staatskapelle traten in den Hintergrund. Pauke und Schlagzeug wurden sehr exakt bedient und bestimmten mehr und mehr die „Szene“ mit teils schockierenden Schlagzeuggeräuschen, die die „Originalklänge“ fast erstickten, als kenne das Temperament keine Grenzen mehr, bis zur Selbstzerstörung. Bis zum Ende dröhnten die extrem harten Paukenschläge, die auch ohne Verstärkung den letzten Zaungast fernab erreicht hätten.

 Trotz Hitze musizierten die Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle mit ihrer gewohnten und bekannten Gewissenhaftigkeit und Disziplin im Dienst an der Musik und die vielen Besucher  waren es zufrieden.

 Ingrid Gerk

 

 

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