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DRESDEN/ Staatsschauspiel/Kleines Haus: VOR SONNENAUFGANG von Gerhard Hauptmann in der Bearbeitung von Ewald Palmetshofer

29.05.2023 | Theater

DRESDEN/ Kleines Haus: VOR SONNENAUFGANG von Gerhard Hauptmann in der Bearbeitung von Ewald Palmetshofer 28.05.23

An diesem Abend im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels erreichte Helene, welche im Stück eigens zur Geburt Ihrer Schwester ins heimische und von erlangtem und durch glückliche Umstände entstandenen Luxusdomizil anreist, tatsächlich aus der Ferne; denn die Einspringerin für diese Rolle Anna Paula Muth kam aus Göttingen, wo am dortigen Deutschen Theater aktuell dieselbe Fassung von Gerhardt Hauptmanns dramatischem Frühwerk aus dem Beginn des Naturalismus in der sehr erfolgreichen Bearbeitung (landauf, landab angesetzt im deutschsprachigen Raum) von Ewald Palmetshofer gespielt wird. Was nicht unbedingt im Schauspiel üblich ist, kam es an diesem Abend zu einem Einspringer. Doch nicht zum ersten Mal hatte die Schauspielerin die Rolle der Helene kurzfristig in Dresden übernehmen müssen und war daher etwas geprobt in dieser auch nicht sonderlich schwer zu spielenden Inszenierung. Sie kam „naturalistisch“ durch den Saal auf die Bühne zum Geschehen dazu und schlug sich, so viel sei hier schon verraten, wirklich sehr gut.

Die Geschichte dieses Familiendramas ist bekannt und dürfte so für jeden, der Gerhard Hauptmann erleben und hören möchte, nachvollziehbar und akzeptabel sein, denn diese dosierte Verlegung ins Heute mit Ort, Handlung und Sprache geht an und hat durchaus ihren Reiz. Die mittlerweile im Schauspiel überall praktizierte Triggerwarnung hätte es nicht wirklich gebraucht.

Palmetshofer befreit „Vor Sonnenaufgang“ vom sozialutopischen Staub und der heute wirklich nicht mehr benötigten schlesischen Sprachweise.

Das krisenhafte Porträt dieser beruflich erfolgsverwöhnten Familie, welches der Autor schafft, zeigt die Unverbindlichkeit der einzelnen Sichten, Positionen und Lebensweisen der Akteure und stellt im Grunde die friedliche liberale Gesellschaft in Frage, deutet mehr oder weniger deren Scheitern an.

Die Sprache ist heutig, auch manchmal vulgär, aber nicht uninteressant, ja sogar flüssig und lässt sogar Raum für sprachliche Improvisation.

Die Inszenierung von Michael Talke und Nicolai Sykosch folgt den üblichen Mustern des heutigen, aber nicht erfolglosen zeitgenössischen Theaters und man muss gestehen, dass der teilweise etwas monoton wirkenden Spielstil nicht langweilt und der Abend relativ flüssig vorüber geht.

Das Bühnenbild – ein modern und räumlich im amerikanischen Stil gebautes großes Wohnzimmer mit Einbauküche und einem unfertigen Anbau sowie einer Toilette auf halber Treppe (Wieso?) – entwarf Hansjörg Hartung und die zeitlosen Kostüme von der Stange kaufte (?) sicherlich Britta Leonardt.

Die Protagonisten ließen kaum Wünsche offen und sprachen verständlich, aber manchmal leider zu leise. Jannik Hinsch als Thomas Hoffmann, neben Helene die eigentliche Hauptrolle, traf dessen Charakter perfekt, wie auch Fanny Staffa als Annemarie Krause, Holger Hübner hingegen nur bedingt als Egon Krause. Sarah Schmidt verlieh der Rolle der Martha Krause durchaus auch komische Züge und sprach von allen Akteuren am besten; selbst bei leisen Passagen war die Schauspielerin, auch wenn sie im hinteren Teil der Bühne stand, perfekt zu vernehmen. Auch für David Kosel als Dr. Schimmelpfennig treffen diese Attribute durchaus zu. Philipp Grimm als linker Zeitungsjournalist und die getrübte Familienidylle endgültig zerstörender Alfred Loth, sprach teilweise mit zu viel Druck und zu schnell und wirkte auf mich in dieser Rolle etwas unglaubwürdig. Anna Paula Muth als Helene, welche sie hochkonzentriert und mit rechter Bravour spielte und sprach, trat zum Schluss des Abends ihre Reise von der Bühne aus wieder gen Heimat an – und das traurige Ende des Originals wurde offen gelassen, was die eigentliche tragische Handlung sehr entschärft.

Ein Abend der bewegt, anregt und zufrieden stimmt, für einmal ohne zusätzliche Musikband auskommt, aber leider mit sparsamen Applaus durch das wenige Publikum akklamiert wurde.

Rico Förster

 

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