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DRESDEN/ Staatsoperette: Premiere: „LA BOHÈME“

02.06.2024 | Oper international

Dresden/Staatsoperette:  Premiere: „LA BOHÈME“ – 1.6.2024

 Warum müssen an der Staatsoperette, dem einzigen selbständigen Operettentheater Deutschlands, hin und wieder auch Opern inszeniert werden, wo es doch so viele Operetten und Musicals gibt, die in Dresden noch nie oder nur vor sehr, sehr langer Zeit gegeben wurden und Wert wären, auf die Bühne gebracht zu werden, und wenn schon Opern, warum dann nicht Spielopern oder solche, die nicht im Opernhaus auf dem aktuellen Spielplan stehen, sondern immer die, die ohnehin schon weit und breit gegeben werden. Obwohl „La Bohème“, Giacomo Puccinis bekannteste Oper, schon seit 1983 als Dauerbrenner in einer sehr guten Inszenierung an der nur wenige hundert Meter entfernten Semperoper läuft, wurde sie jetzt von Matthias Reichwald an der Staatsoperette inszeniert.

Den Besucher empfängt ein goldener Bilderrahmen mit einem Bild aus Wolken, auf die wie von Geisterhand vor jedem Bild die laufende Nummer und die Ausgangssituation für die jeweilige Handlung geschrieben wird. Inmitten der kalten Dachkammer, wo die mehr oder minder erfolgreichen Künstler mit ihren Sehnsüchten und Widersprüchen, das Leben selbstironisch und pointenreich kommentierend, dahinvegetieren, führt eine mehrfach gewendelte Wendeltreppe nach oben in den Himmel oder die Unendlichkeit, auf der Mimi die Künstler beobachtet und belauscht und vielleicht von der Liebe träumt (Bühne: Karoly Risz). Von da aus fädelt Mimi die Bekanntschaft mit Rodolfo ein, der dann auch seinerseits nachhilft.

Nach unten führt auch ein kleines Stück Wendeltreppe, von da kommt Vermieter Benoit mit seiner Forderung. Wenn er im Rausch von den Frauen erzählt, erscheint plötzlich Frau Benoit leibhaftig und klischeehaft mit Bratpfanne (Vision oder Realität?), um ihren lästerlichen Mann die Treppe hinunter zu prügeln, dem Andreas Sauerzapf nicht die nötige Glaubwürdigkeit verleihen konnte. Er erschien für die Rolle zu jung und zu naiv. Da hätte wenigstens die Maske nachhelfen können. Als Parpignol schwebt er mit Flitter von oben ins Quartier Latin, wo dicht gedrängt der Chor als große Menschenmenge mit großen Paketen hockt, –  ohne besondere Wirkung. Ein anderer Regieeinfall funktioniert den ausgelassenen Kinderchor (Carola Rühle-Keil) zu hämischem Lachen um, was Mimi sehr persönlich nimmt und nur Rodolfo kann sie trösten. Im vierten Bild verbarrikadieren Mimi und Rodolfo den Eingang, um allein zu sein. Dann müssen die Freunde im wahrsten Sinne des Wortes durch die Wand gehen bzw. kommen.

Die Kostüme (Toto) sind nicht aufregend, bieten nicht viel Neues – graue Alltagskleidung einer undefinierten Zeit für die Künstler, schlichte Eleganz für Mimi und etwas ausgefallenere für Musetta – außer dass die Damen high heels tragen, was im Falle von Mimi nicht unbedingt passend erscheint. Das Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach Szenen aus Henri Murgers „La vie de bohème“ wurden in einer Neufassung von Bettina Bartz und Werner Hintze der Regie ein wenig angepasst (nicht umgekehrt).

Allgemein folgt die Inszenierung der Handlung. Es wurde nicht an der Oper vorbei inszeniert. Zusätzlich werden Gedanken, Wünsche und Träume sehr real sichtbar gemacht. Da erschienen plötzlich die Wände der Künstlerbehausung wie ein Himmel voller Sterne, Mimis „Himmel voller Geigen“. Christina Maria Fercher verlieh der zentralen Figur nicht nur eine glaubhafte Darstellung, sondern vor allem stimmlichen Glanz und berührenden Ausdruck, insbesondere bei ihren Arien – eine reife Leistung, die jedem Opernhaus zur Ehre gereichen würde – eine ideale Besetzung für diese Rolle.

An ihrer Seite war Jongwoo Kim als Rodolfo  ein ebenbürtiger Partner, der sich vor allem auf eine gute -gesangstechnische Umsetzung seiner Rolle konzentrierte und auch über jene Leichtigkeit des italienischen Operngesanges verfügt. Einen jugendlich frischen Marcello gab Grzegor Sobczak. Julie Sekinger war eine passable Musetta mit leicht frivolemTouch. Bryan Rothfuss erfüllte die Rolle des Schaunard mit Leben und Andreas Mattersberger die des Colline.

Chefdirigent Johannes Pell, der sich leider mit dieser Spielzeit vom Operettentheater verabschiedet, leitete die Aufführung mit Orchester, Chor (Thomas Runge) und Kinderchor der Staatsoperette sehr inspirierend, mit Genauigkeit und Umsicht und verlieh ihr jene Abwechslung und perfekte Umsetzung der Partitur, die die Oper von Anfang bis Ende mit jener Spannung erfüllte, die die Stunden wie im Fluge vergehen ließen.

Ingrid Gerk

 

 

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