Dresden / Staatsoperette: „IM WEISSEN RÖSSL“ IN DER „ORIGINALFASSUNG“ DER URAUFFÜHRUNG – 6.7.2017
„Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“. Das kennt wohl fast jeder und die meisten Operettenfreunde das „Singspiel in drei Akten“ „Im Weißen Rössl“ von Ralph Benatzky in der Version, die Erik Charell 1951 als reduzierte Variante aus seiner opulenten Uraufführungs-Revue schuf, oder aus einigen Verfilmungen. Bei beiden steht die amüsante Handlung in der Salzkammergut-Idylle im Vordergrund. Für die Uraufführung 1930 im Großen Schauspielhaus in Berlin hatte Theaterleiter, Regisseur und Choreograf Charell, einer der wichtigsten Theatermänner des frühen 20. Jh., eine Revue der Superlative arrangiert und das Schauspielhaus in ein riesiges Hotel verwandelt.
Es wurden über 700 Mitwirkende (davon allein 400 Statisten), ein großangelegtes Bühnenbild mit vielen „Gebäuden“ am „Dorfplatz“, großem Orchester im Graben, Dampfer- und Feuerwehrkapelle, Zithertrio und Jazzband, Jodlerinnen und „Watschentänzer“ sowie mehrere Chöre und Tanzensembles aufgeboten, kurz: alles, was damals in der Publikumsgunst stand, wurde integriert.
Von den ursprünglichen Intentionen Benatzkys blieb nur noch eine „Rahmenhandlung“, die immer wieder durch große Tanzeinlagen mit temperamentvollen Choreografien unterbrochen wurde. Witzige Gesangstexte von Robert Gilbert und Musiknummern von Gilbert, Robert Granichstätten und Robert Stolz wurden einbezogen, so dass sich Benatzky schon während der Proben zurückzog. Auf der Grundlage des Klavierauszuges übernahm dann Eduard Künneke die Instrumentierung. Dieser breitgefächerte Mix aus „exotischer“ ländlicher Idylle, Wiener Walzer und Modetänzen der zwanziger Jahre, eine Verbindung von Nostalgie und modernem Tempo traf genau den Nerv der damaligen Zeit, gefiel dem Publikum und wurde ein Welterfolg.
Nach dem Krieg kehrte Charell aus seinem amerikanischen Exil zurück und schuf eine „abgespeckte“ Fassung nach dem Geschmack der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre, die auch an kleineren Theatern gespielt werden konnte, ersetzte die Modetänze der 20er Jahre durch die der 50er und stellte mehr die Handlung in den Mittelpunkt.
Erst in den vergangenen Jahren wurde an der Staatsoperette Dresden beschlossen, die Fassung der Uraufführung zu rekonstruieren. Nur das Textbuch und der gedruckte Klavierauszug mit einigen Instrumentationsangaben waren noch vorhanden, bis 2008 in Zagreb die gedruckten originalen Orchesterstimmen gefunden wurden.
Die Premiere dieser Neufassung war bereits im alten Haus in Dresden-Leuben zu erleben, jetzt zog sie mit um ins Kraftwerk Mitte, im Klang kontrastreicher und herber als die bisher allgemein bekannte Fassung. Winfried Schneider besorgte Inszenierung und Choreografie und verbindet die Handlung geschickt mit gut arrangierten Tanzeinagen voller Witz und Humor bis zum etwas gewagten „erotischen“ Tanz der „Kühe“, die die Kuhstall-„Idylle“ als Rendezvous-Ort von Rechtsanwalt Dr. Siedler (Markus Francke) und der modebewussten Fabrikantentochter Ottilie aus Berlin (Olivia Delauré) derb-komisch „anheizen“.
Das Bühnenbild von Daniel Gantz siedelt das Ganze in einem großen nostalgischen Karusell an, mit dem, um das und in dem sich alles zusammen mit einer umgebenden „Drehscheibe“, beides einzeln, miteinander und gegeneinander verdrehbar, dreht und Bewegung ins Geschehen bringt. Das Karusell dient als „Dampferanlegestelle“ und Hotel zum „Weißen Rössl“ mit einem einzigen Balkonzimmer, das aber trotzdem für alle Platz hat, und verfügt über die obligatorische (hier: Schwing-)Tür für diverse mehr oder weniger dramatische Auftritte und Abgänge von Frau Josepha und ihrer Kellner, davor Tische und Stühle „direkt am Wolfgangsee“, der seinen Namen erst durch die Operette erhielt.
Ein Touristenbus kommt von der Seite und sorgt gleich zu Beginn mit den aktuellen Gepflogenheiten von Reiseunternehmen für Heiterkeit, und auch später flackern immer wieder Anspielungen auf die Jetztzeit mit Humor auf. Diese Freiheiten nahmen sich die Theater schon immer.
Die Kostüme von Nina Reichmann gönnen sich einigen Luxus und gute Stoffe, sind witzig, opulent modisch oder fast historisch getreu wie im Fall des Kaisers, verkörpert von Alois Walchshofer, der – man möchte fast sagen – in Wort, Erscheinung und Auftreten „ganz der alte Kaiser“ ist, so wie ältere Filme das Bild von ihm geprägt haben. Seine Sprache klang „wie Musik in den Ohren“, gut artikuliert, schlicht, altersweise, väterlich und wohlwollend.
Der Zuschauerraum im neuen Haus der Staatsoperette mit seiner Bühne, die den Orchestergraben quasi umschließt, und die neue Technik bieten viele Möglichkeiten, die auch genutzt werden, wie für überschwänglichen Blitz und Donner und Wolkenbruch und das perfekte Geräusch für die dreimal vergebenen „schallenden Ohrfeigen“ (Licht-Design: Guido Petzold, Technische Leitung: Mario Radicke) und natürlich auch den obligatorischen Flitter von oben, ohne den es einfach nicht mehr zu gehen scheint.
Christian Garbosnck leitete das Orchester der Staatsoperette Dresden mit Vehemenz in temperamentvoller Lautstärke, und die Sänger hielten mit. Sie waren gut in Ton und Text zu verstehen, sofern auch die Artikulation stimmte.
Das betraf vor allem Ingeborg Schöpf, die nach wie vor eine sehr anmutige, charmante und glaubhafte Rösslwirtin Josephine Vogelhuber mit Wiener Charme, der bei ihr als Österreicherin ganz natürlich wirkt, verkörpert. Ihre Stimme hat die Klangschönheit und den Schmelz, auf den man bei Andreas Sauerzapf als den verliebten, sie verehrenden und umwerbenden Zahlkellner Leopold, der seine Rolle mehr ins Satirische zog, verzichten musste. Ingeborg Schöpf gehört zu den singenden, spielenden und tanzenden Opern- und Operetten-Darstellerinnen, die das Publikum wie selbstverständlich, aber umso wirksamer mitreißen, leider aber immer seltener werden. Die Rösselwirtin spielt sie nicht nur, sie ist einfach die Rösselwirtin.
Ihr zur Seite standen als „typische Typen“ und „Vertreter ihrer Zunft“: Gerd Wiemer als prozessierender Berliner Fabrikant Gieseke, Jannik Harneit als humorvoller Sohn des konkurrierenden Fabrikanten Sülzheimer, der schöne Sigismund, Dietrich Seydlitz als Prof. Dr. Hinzelmann, ein typischer armer, aber trotzdem in seiner Bescheidenheit glücklicher Privatgelehrter mit auch ein bisschen Herz, der nur aller zwei Jahre mit seiner lispelnden Tochter Klärchen, für die sich Jeannette Oswald „ins Zeug“ legte, ein bisschen verreisen kann, Henryk Wolf als Piccolo Gustl, Hans-Jürgen Wiese als Oberförster, Silke Fröde als forsche Reiseleiterin und last but not least Miriam Lotz als einwandfrei jodelnde Briefträgerin Kathi.
Bei dieser Aufführung stand weniger alpenländische Idylle als vielmehr lautstarke dynamische Revue mit ein bisschen Nostalgie und der bekannten Handlung im Vordergrund, stark mitgeprägt von viel gutem Ballett und dem Chor (Einstudierung: Thomas Runge), gegenwartsnah, unterhaltsam, breit gefächert, vielseitig und humorvoll. Ganz original kann diese Fassung naturgemäß nicht sein, auch wenn ein Zithertrio mitwirkt, aber sie kommt dem Original wahrscheinlich sehr nahe und ist doch interessant als Pendant zu den bisher bekannten Aufführungen vielerorts.
Ingrid Gerk