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DRESDEN/ Staatsoperette: IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE – mitten in Berlin

12.09.2021 | Operette/Musical

Dresden / Staatsoperette: PREMIERE: „IM WEISSEN RÖSSL AM WOLFGANGSEE“ MITTEN IN BERLIN –

(Premiere 10.09. 2021)

„Im Salzkammergut, da kammer gut lustig sein“, bei dieser Neuinszenierung jedoch kaum. Es war eher ein szenisch schwacher Abend zur Saison-Eröffnung der Staatsoperette.

              Seinerzeit genossen Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg  die Urlaubsidylle des Salzkammergutes vor Ort und schrieben 1896 während eines Aufenthaltes in der Nähe von Bad Ischl ein Alt-Berliner Lustspiel mit dem Titel „Im weißen Röss’l“ (einem beliebten Hotel am damals noch Abersee genannten Alpensee, der den Namen Wolfgangsee erst inoffiziell, dann offiziell nach  dem großen Erfolg des, auf dieser Grundlage von Ralph Benatzky verfassten, „Singspiels in drei Akten“ mit dem Libretto von Hans Müller-Einigen und Erik Charell sowie den Liedtexten von Robert Gilbert erhielt. Für die Uraufführung im Großen Schauspielhaus Berlin, das dafür auch äußerlich in ein entsprechendes Hotel verwandelt wurde, wurde das Stück so mit musikalischen Einlagen von Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert und Robert Stolz „überfrachtet“, dass sich Benatzky zurückzog.

In seiner ursprünglichen Gestalt, die von vielen Besuchern bevorzugt wird, sozusagen „Benatzky pur“, aber auch in der wiederentdeckten Berliner Uraufführungs-Fassung wurde das „Weiße Röss’l“ bis heute zum „Zugpferd“ der Operette und die eingefügten Songs  zu Schlagern, die jetzt immer noch (fast) jeder kennt. Da spielt eine bewusste oder unbewusste Sehnsucht nach entspanntem Urlaub in der ruhigen Umgebung eines Alpensees mit oder die Erinnerung an einen solchen, was in der vorherigen Inszenierung an diesem Haus, die nach der Berliner Originalfassung mit viel Revue, Ironie, Parodie und Distanz zur „heilen Welt“ in einer gekonnten Mischung aus Urlaubsidylle, Humor und den zahlreichen zündenden Musikeinlagen im besten Sinne umgesetzt war und sehr erfolgreich bis 2017 lief.

Ob nun unbedingt schon wieder das „Röss‘l“ in einer Neuinszenierung gespielt werden muss, sei dahin gestellt. Toni Burghard Friedrich, der mit seiner Produktion zum ersten Mal an diesem Haus inszeniert, betont darin zu sehr das Berlinische und verlegt die Handlung in Gänze in die deutsche Hauptstadt, in eine „Kneipe“ mit Zimmervermietung in der Umgebung von Reisebüro, U-Bahn-Eingang und einen, von ihm hinzugefügten Eckensteher und Akkordeonisten (Wladimir Artimowitsch).

Wer macht schon Urlaub in Berlin, wo er zu Hause ist, wie der Unterwäsche-Fabrikant Wilhelm Giesecke, der mehr für die Ostsee schwärmt, mit seiner Tochter, die diesen Urlaubsort auch nicht gerade attraktiv findet, und wer reist dafür noch von weither an, wie Familie Sülzheimer? – vielleicht in Zeiten von Corona, wo ein Urlaub in Österreich tabu war? Dann möchte man aber diese belastende Situation nicht auch noch auf der Bühne sehen.

Alpen und Wolfgangsee erscheinen hier nur mehr oder weniger in einem „Österreich-O-Mat“ mit Geldeinwurf, was immer das auch sein soll – vielleicht eine Parallele zum „Bankomat“, denn die Preise für eine „Vorführung“ einer St.-Wolfgang-Szene sind sehr unterschiedlich (eine indirekte Wertung?), aber „gepfeffert“.

Die gesprochenen Texte wurden zum Teil „modernisiert“, zünden aber trotzdem nicht, ebenso die Liedtexte, die oft nur schwer zu verstehen sind und neben den original gebliebenen, die bei dieser transformierten Handlung eher für Verwirrung sorgen, eingeblendet werden.

Friedrich geht sogar so weit, dass er auch noch weiter fremde Musik einbezieht, wie das hier ziemlich unpassende „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“ aus der Operette „Der Favorit“, in sehr breitem Tempo, aber klar gesungen von Leila Salome Fischer, der durchschnittlich modern angelegten, ziemlich burschikosen Röss‘l-Wirtin Josepha Vogelhuber, die den (völlig unterbesetzten) Rechtsanwalt Dr. Otto Siedler alias Tino Schabe anhimmelt und damit musikalisch glänzen konnte, ansonsten aber nur recht nüchtern Anweisungen erteilt und immer zum „Glimmstengel“ greifen muss, wenn sich die Situation zuspitzt und sie offenbar nicht weiterweiß (das hatten wir doch schon einmal in einem anderen Stück). Eine charmante, begehrenswerte, von dem ebenfalls nikotinsüchtigen Zahl-(hier Aushilfs )kellner „mit Spielverpflichtung“ Leopold (Christian Grygas) umschwärmte, Persönlichkeit ist sie hier kaum. Vielleicht ist das „Kettenrauchen“ das verbindende Element zwischen beiden.

Was spielt der „Aushilfskellner mit Spielverpflichtung eigentlich außer seiner Rolle? Den Kaiser mimt doch dann ein anderer. Grygas hätte vielleicht ein agiler Kellner werden können, begann locker, mit guter Stimme und Spielfreude, wurde aber durch die Regie, die ein nüchternes plakatives Gehabe auf der Bühne bevorzugt, immer wieder ausgebremst (wie andere Sänger-Darsteller auch) und musste mitunter mit übertriebenen Gesten fast grotesk agieren. Seine Position wurde dadurch immer legerer und belangloser, bis er sich als entlassener Kellner in Unterwäsche und Lederjacke zum Eckensteher gesellt (sollte damit auf seinen sozialen Abstieg „mit dem Zaunpfahl“ hingewiesen werden?) oder später in der Bar-Jeder-Vernunft in der „Röss’l“-Kneipe herumsitzt.

Diese „Bar-jeder-Alpen-Idylle-Version ist eine sehr schmale Fassung mit acht Akteuren und einer Band mit Streichquartett, ohne Ballett, Chor und Showeffekte, die jedoch den Spielplan bis Jahresende absichern kann, denn der Schatten von Corona und Lockdown könnte größere Projekte schnell wieder zunichtemachen.

Der Auftritt des Sigismund Sülzheimer wurde total verschenkt. Er ist schon seit Anbeginn als stumme Rolle dabei. Sein Klärchen, hier in Personalunion mit der Kathi (Ella Rombouts), wird durch ihre Körperfülle lächerlich gemacht. Außerdem spricht sie mit holländischem Akzent und empfängt den Besucher schon vor geschlossenem Vorhang mit kunstvoll und sauber vorgetragenem, aber „unechtem“ Jodler, der noch lange weiter erklingt, auch wenn sich der Vorhang langsam hebt und die Akteure über die Bühne „stelzen“ (müssen).

Lediglich Christina-Maria Fercher als Gieseckes Tochter Ottilie und kesse Berliner Göre sowie Riccardo Romeo als spät aufblühender, schöner kahlköpfige Sigismund, der hier offenbar das Mollige liebt, konnten gesanglich und darstellerisch überzeugen, auch wenn sie ebenfalls regiemäßig ausgebremst wurden. Unter diesen Gegebenheiten machten sie das Beste aus ihrer Rolle. Einige charmante Würze gab Markus Liske als Giesecke mit seinem Berliner Dialekt.

Ein kleines Kabinettstück lieferte Herbert G. Adami als gespielter Kaiser alias Dresenwart und ansonsten ältlicher „Piccolo“ an der Rezeption (!), der als Laufbursche fungiert, wo es doch jetzt Whatsapp gibt – wenn schon, dann schon durchgängig modernisieren! Das alles sind dramaturgische Schwächen, die auch die Stückdramaturgin Judith Wiemers zu verantworten hat. Dem Regisseur gelingt es nicht, in seiner  Fassung die Handlung klar und stringent zu erzählen und die Personen agieren und interagieren zu lassen und dialektisch zu führen. Hier macht sich eine gewisse Starre breit. Bewegung kommt durch den erfreulichen Einsatz der modernen Bühnentechnik, die in diesem Haus vorhanden ist, ins Bild, mit der Drehbühne, deren Effekt sich dann allerdings durch allzu häufigen Einsatz schnell abnutzt, und die Einbeziehung des Orchestergrabens und seiner Umgebung.

Generell fehlte es an Schwung seitens der Regie (nicht etwa wegen „Premieren-Befangenheit“). Die Ensemble-Szenen erinnerten nicht selten an „gestellte Bilder“. Die banalen Kostüme mit den kleinkarierten, pardon kleingeblümten Edelweiß-Schürzchen und die ziemlich nüchterne, wenn auch moderne, auf einer Bühne aber kaum wirksame Ausstattung (René Fusshöller Antonia Kamp) konnten da auch nicht helfen. Hier war nichts wirklich witzig-spritzig. Ein bisschen mehr Einfühlungsvermögen in das ursprüngliche Sujet hätte da gut getan. Man kann auf den „nostalgischen Kitsch“ von einst, den „Schmachtfetzen“ und „Quatsch mit Soße“ schimpfen oder verächtlich herabsehen, aber dann wird erwartet, dass es besser gemacht wird und nicht fad.

Einzig das sehr gut spielende Orchester der Staatsoperette unter der Leitung seines souverän dirigierenden Chefdirigenten Johannes Pell, dem Operetten-Temperament im Blut liegt, hatte Schwung und stellte die Grundlage für eine flüssige, spritzige Handlung dar, die jedoch auf der Bühne verschenkt wurde. Pell brachte so manch eindringliche musikalische Gestaltung hervor und konnte den langen Weg zu den Darstellern auf der Bühne gut und sicher ausbalancieren, um alles noch einigermaßen musikalisch zu erzählen.

Dem Besucher wird viel abverlangt, wenn er dem Regisseur folgen und „nebenbei“ das ursprüngliche Sujet erleben will. Dass ist bestenfalls den älteren Operetten-Gängern möglich, die das Stück in- und auswendig kennen, aber was fangen die jungen Leute, die nicht beruflich oder ausbildungsmäßig damit zu tun haben und doch gelegentlich im Zuschauerraum gesichtet werden, damit an? (Sie gehen in der Pause – schade!).

Das Programmheft enthält auch nur die ursprüngliche Handlung und nicht die neuere Deutung des Regisseurs. Wenn schon alles verändert wird, dann bitte durchgängig, um der neuen, „verdrehten“ Handlung vielleicht doch noch einiges abgewinnen zu können. Es ist eben doch nicht so leicht, eine Operette, die vom Flair und Charme vergangener Zeiten und/oder Sehnsuchtsorten lebt, ins Hier und Heute zu transponieren.

„Im weißen Röß‘l am Wolfgangsee, da steht das Glück vor der Tür …“, aber nicht immer und nicht automatisch bei jeder Neuinszenierung.

Ingrid Gerk

 

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