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DRESDEN/ Staatsoperette: „HIER UND JETZT UND HIMMELBLAU“ – Eine Revue zum Saisonauftakt

13.09.2019 | Operette/Musical

Dresden / Staatsoperette: „HIER UND JETZT UND HIMMELBLAU“ – EINE REVUE ZUM SAISONAUFTAKT – 12.9.2019

Bereits die drei Titelworte „HIER und JETZT und HIMMELBLAU“ der Revue zur Saisoneröffnung der Staatsoperette Dresden (Pr.: 7.9.2019) richten die Aufmerksamkeit auf die augenblickliche Situation und rufen eine Erwartungshaltung auf die traditionelle Operette in all ihren Facetten hervor, d. h. alles, was man sich – immer noch traditionsverbunden – darunter vorstellt: ein plüschiges Theater, Samt und Seide, Straußenfedern, Damen in großen Roben, elegante Herren, Farbigkeit und rauschende Melodien …

Das wird in diesem Auftragswerk der Staatsoperette Dresden auch bedient – in vielen Facetten, mit zündenden Melodien von gestern und heute, von Leo Fall bis Friedrich Hollaender und Sven Helbig bis Wincent Weiss, mit verbindenden Texten von Jan Neumann – aber nicht nur.

Den Besucher empfängt schon vor dem eigentlichen Beginn ein dezent spielendes Trio mit E‑Klavier, Schlagzeug und Kontrabass, das unaufdringlich, aber stetig fast den ganzen Abend begleitet, und auf der Bühne viele Tische, an denen nach und nach die unterschiedlichsten Personen, stellvertretend für die gegenwärtigen Gesellschaftsschichten Platz nehmen, alte und junge Paare, eine junge Familie,  Geschäftsleute, Damenkränzchen, eine Touristengruppe usw. – alle in Erwartung einer großen Show. Beflissene Kellner wuseln dazwischen und schenken „Champagner“ ein, doch bevor sich der Vorhang hebt, beginnt eine „Revue“ der anderen Art, die in die vielfältige Realität, in das persönliche Leben dieser Menschen führt.

Auf die Frage, was eine gute Revue ausmacht, antwortete Regisseur Jan Neumann in einem Interview: „Unterhalten. Spaß. Offene Münder. Befreiung von Scham. Befreiung von der Erwartung eines sinnstiftenden Handlungsstranges. Erweiterung des eigenen Farbspektrums. Euphorie und Leichtigkeit“. „Unterhaltung“? – nun, ja. Vielleicht in den großen Szenen der eigentlichen Revue. „Offene Münder“? – waren nicht zu sehen. Zu wenig neu oder überraschend waren die oft wissenschaftlich fundierten, oft trockenen Texte in den längeren Dialogen und kleinen Sketchen vor jeder „Nummer“ nun doch nicht. „Befreiung von Scham? – ja, und wie! Es ging nicht selten auch unter die Gürtellinie. „Befreiung von der Erwartung eines sinnstiftenden Handlungsstranges“? – Unbedingt. Die einzelnen Teile wollten sich nur sehr mühsam zusammenfügen. Dafür ging es inhaltlich sehr oft um Sinnstiftung von Leben und auch Tod – und das in einer Revue, wo doch alles „singen und swingen“ sollte!

Was sicher gut gemeint war, wirkte jedoch als Vorbereitung und Verbindung der Nummern aus Operette und Musical eher bremsend als belebend oder gar Schwung verleihend. Hier konnte man sich wirklich die Frage stellen: „Leichtigkeit des Seins“ oder „Ernst des Lebens“? Diesem Ernst verdankte man allerdings einen Ausschnitt aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss von der „Zeit“, die “ein sonderbar Ding“ ist, von Ingeborg Schöpf als „Frau in den besten Jahren“ allein auf der Bühne über den Tod mitten im Leben sinnierend, bewegend und berührend und mit schöner Stimme gesungen, sehr feinsinnig begleitet vom Orchester der Staatsoperette Dresden unter Andreas Schüller. Sie hat die Rolle der Marschallin leider nie in einer Oper gesungen.

Knapp ein Dutzend Solisten, der Chor der Staatsoperette Dresden (Choreinstudierung: Thomas Runge) und das perfekt tanzende Ballett der Staatsoperette Dresden (Choreographie: Radek Stopka engagierten sich in den von „Platzanweiser“/Conferencier Bryan Rothfuss, einem sprechenden, singenden und tanzenden „Allroundman“ am Ende resümierten Dauer der (reinen) „Revue“ von „2 Std. 2 Min.“ (Gesamtdauer: ca. 3. Std., einschließlich Pause und großem Schlussbild mit Applaus) für sehr unterschiedliche Szenen auf einer sich immer neu verwandelnden Bühne, was in dem neuen Saal mit der raffinierten Technik jetzt möglich ist. Da beginnen die Tische zu „tanzen“ bzw. sich zu drehen, öffnen sich prunkvoll drapierte Vorhänge für große Showszenen in Glanz und Glamour mit Operetten- und Musical-Melodien, angelehnt an den alten immer noch und immer wieder wirkungsvollen Stil mit Kronleuchter, Delphin-Brunnen usw. (Bühne: Cary Gayler), gekonnt am Kitsch vorbeigeschrammt, und eleganten Kostümen und großen Roben, wie man sie in der Operette sehen will (Nini von Selzam). Eine junge Artistin windet sich posierend am Seil, das aus dem Kronleuchter heraushängt (vgl. Mörbisch).

Die Österreicherin Beate Korntner ist seit dieser Spielzeit neu im Ensemble. Sie brauchte „keine Millionen“ als Immobilienmaklerin und überzeugte mit „Nur ein bisschen Rouge et noir“ als „Sängerin“ kurz vor dem Auftritt an ihrem Garderobenspiegel mit schöner Stimme und guter Bühnenpräsenz.

Steffi Lehmann erklärt singend und tanzend als junge, agile Mutter ihrem Sohn die berühmte „Frage des Kindes“: „Was ist Glück?“ und verkörpert die abgehobene „Chanelfrau“ und eine Statistikerin. Jeanette Oswald stellt eine „festangestellte Fotografin“ und betuliche Deutschlehrerin dar, Silke Richter die Gattin, die gleich zu Beginn in einer bei Loriot „gestibitzten“ Szene mit ihrem Mann, einem pensionierten Beamten alias Gerd Wiemer, der sich außerdem als „sehr alter Mensch“ verwandelt und als Stammgast eine gute Figur macht, nach 30 Ehejahren heftig streitet, als sitzengelassene Braut schwach berlinert und als Reisebusfahrerin in „endloser“ Lautstärke ihr tristes Los beklagt.

Dimitra Kalaitzi fungierte als Sprechstundenhilfe, „Toilettenmann“ und eine ehemals alkoholabhängige Verwaltungsangestellte, Herbert G. Adami als Millionär, Hauke Möller als Bühnenarbeiter und sehr alter Mensch und Andreas Sauerzapf als medizinischer Dokumentationsassistent, Elektriker und ebenfalls einer von den drei sehr alten Menschen, über die man sich heutzutage eigentlich nicht mehr lustig macht.

Es war alles „drin“, was eine große Revue ausmacht, selbst  ein bisschen englischer Humor, aber der berühmte Funke wollte doch nicht so recht überspringen, nicht zwischen den verbindenden Texten und Sketchen und den Operetten- und Musical-Nummer und auch nicht beim Publikum.

Ingrid Gerk

 

 

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