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DRESDEN/ Staatsoperette: DER VETTER AUS DINGSDA von Eduard Künneke

18.03.2022 | Operette/Musical

Dresden / Staatsoperette: „DER VETTER AUS DINGSDA“ ZWISCHEN TRAUM VOM GLÜCK UND GESELLSCHAFTSKRITISCHEM HINTERGRUND – 17.3.2022

Eduard Künnekes Operette in drei Akten „Der Vetter aus Dingsda“ ist mit Abstand sein erfolgreichstes Stück. Uraufgeführt 1921 in Berlin-Schöneberg, am Nollendorfplatz, haben seine zündenden, opernnahen Melodien und die witzigen Texte der beiden Librettisten Herman Haller und Fritz Oliven (Rideamus) bis heute nichts von ihrer Spritzigkeit und Publikumswirksamkeit eingebüßt, nur die typische Operettenhandlung von der reichen, begehrenswerten, treu und aufrichtig platonisch verliebten jungen Schlossbesitzerin mit allerlei Verwechslungssituationen erscheint aus heutiger Sicht ziemlich oberflächlich, leicht und „süß“, war aber auch damals nicht wirklich ernst gemeint.

Einzig das zu allen Zeiten aktuelle Thema des Strebens nach Reichtum mit allen, wenn auch sehr unterschiedlichen, Mitteln, nicht selten auch unlauteren, ist geblieben. Für die einen mit rigorosen Methoden, List und Intrigen, in der Operette meist ererbt oder durch ehrliche Liebe und Heirat erworben, bleibt Reichtum für die „Normalverbraucher“ ein ewiger Traum, den sie wenigstens für ein paar Stunden oder auch nur Minuten im Operettentheater träumen wollten, um ihr tristes Leben und nicht selten harten Existenzkampf kurzzeitig zu vergessen. Dass am Ende alles aufgeht und sich in „Friede und Freude“ auflöst, ist der Sehnsucht der Menschen nach Entspannung geschuldet, damals mehr als heute, denn auch zur Entstehungszeit der Operette waren die Zeiten alles andere als rosig. Die Besucher wollten wenigsten einmal glückliche Momente erleben – träumerisch wie im Märchen.

Jetzt sieht man die Sache anders. Heute interessiert vor allem die Musik und eventuell – wie hier – die witzigen, spritzigen Texte. Von der szenischen Umsetzung erwartet man mehr eine illustrierende Wirkung und weniger „Selbstverwirklichung“ eines Regisseurs, was hier glücklicherweise zugunsten einer Mischung aus Tradition und modernem Regietheater zurücktrat und auch am Kitsch „vorbeischrammte“.

Den Besucher empfängt eine große, breite bleiverglaste Jugendstilwand – damals ein Zeichen höchsten Reichtums –, die viel Geschmack und handwerkliches Können der Werkstätten verrät. Sie verdient Bewunderung und entführt in die Blütezeit der klassischen Operette. Diese „Schatz- oder Zaubertruhe“ wird später geöffnet, geschlossen und verwandelt, um den Raum für die jeweilige Handlungssituation zu schaffen.

Um auch einen gesellschaftskritischen Hintergrund zu zeigen, vor dem dieses „Märchen“ entstand, werden alte Filmausschnitte eingeblendet, die das barbarische Vorgehen in den Kolonien schildern, wenn sie auch nicht viel mit dem hier erwähnten Batavia (Ostasien) zu tun haben.

In der Regie von Jens Neumann ist Herkömmliches mit Gegenwärtigem vermischt, Da dürfen Handy und Hubschrauber (statt Auto) auch nicht fehlen. Slap-stick-Gags, wie ein unbeabsichtigter Torten-Wurf ins Gesicht eines ahnungslosen Kellners, und ähnliches, über die heute niemand mehr wirklich lacht, könnten auch entfallen. Als besonderer Gag wird der „arme Wandergesell“ mit überdimensionalem Plastik-Hühnchenbraten und ebenso großem Glas Bier bewirtet, was besonders lustig sein soll. Allgemein überwiegen aber sinnvolle Bühnengestaltung und zweckmäßige Kostüme.

Zwei Ober und Onkel Josef Kuhbrot (Markus Liske) eröffnen das Spiel. Er agiert plump und lautstark und isst und trinkt über die Maßen, als wollte er sich den Magen auf Vorrat füllen, bevor seine Nichte und Schlossbesitzerin Julia de Weert volljährig wird und sein Schlemmerleben ein Ende hat, da er dann nicht mehr von ihrem Vermögen profitieren kann. „Onkel und Tante, ja das sind Verwandte, die man am besten nur von hinten sieht“.

 In einer Ecke tafelt er dann an einem sehr kleinen Tischchen mit seiner Gattin Wilhelmine, der Ingeborg Schöpf, als distinguierte Dame Profil verleiht,  aber nach alter Sitte bei ihrem burschikos vordergründigen Gatten „kuscht“, weshalb zwei Frauen auf der Bühne als „Zutat“ plakativ für ihre Rechte „demonstrieren“. Die Schöpf schlüpft immer glaubhaft in die Rollen, die sie darstellt und spielt sie auch weiter, wenn sie nicht im Zentrum des Geschehens steht, wodurch sie unmerklich der gesamten Handlung Lebendigkeit verleiht.

Mit ihren vielseitigen Talenten (Gesang, Tanz, Sprache) brillierte Christina Maria Fercher als Hannchen, in dieser Produktion eine Art Spielmacherin, und quicklebendige Freundin Julias, die flott, modern und erfrischend realitätsnah die Fäden in der Hand hält, während Maria Perlt-Gärtner als eigentliche Hauptperson Julia weniger natürliche Lebhaftigkeit ausstrahlte und zurückhaltender blieb.

Dem „Ersten Fremden“, von Onkel und Tante lancierten, von Julia aber zunächst abgelehnten, Heiratskandidaten, August Kuhbrot, der als „armer Wandergesell“ erscheint und sie am Ende doch noch bekommt, gab Timo Schabel Stimme und Gestalt. Der nette, zweite Heiratskandidat Wilhelm von Wildenhagen, der mit seinen stürmisch dargereichten Blumensträußen die Handlung etwas aufmischt, aber wenig Erfolg hat, fand in Ricardo Romeo einen versierten Darsteller. Dem „Zweiten Fremden“, Julias Wunschkandidat und ebenfalls sehr erfolgreichen Liebhaber, Roderich, der erst gegen Ende als strahlender „Held“, nach sieben Jahren aus „Dingsda“ (Batavia) zurückkehrt und Hannchen statt Julia freit, verlieh Nikolaus Nitzsche Charakter und echten Operetten-Charme.

Unter der musikalischen Leitung von Christian Garbosnik spielte das Orchester der Staatsoperette Dresden und bildete Fundament und Rahmen für die Aufführung.

 „Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel denken…“, wie Augustin als vermeintlicher Roderich Julia beschwichtigt, dann wird dir das Stück, so wie es hier auf die Bühne gebracht wurde, gefallen.

Ingrid Gerk

 

 

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