Dresden / Staatsoperette: „BITTE BRITiSCH“ – (UN-)BEKANNTES KONZERTANTES IN EINER NEUEN KONZERTREIHE – ‑28.10..2021
Auf Anregung des Chefdirigenten Johannes Pell hat sich an der Dresdner Staatsoperette neben Premieren und Repertoire eine neue Konzertreihe mit dem Titel „Ein Lied geht um die Welt“ etabliert, um unbekannte Musik aus Operette, Oper und Musical nach Dresden zu holen. Es gibt nicht nur die bekannten, oft gespielten Operetten im deutschsprachigen Raum aus den Zentren Wien und Berlin und die von Offenbach, sondern auch in Großbritannien, den USA, Südamerika, Osteuropa, Spanien (Zarzuelas) usw. wurde fleißig komponiert.
Unter dem Titel „Bitte Britisch“ startete nun der erste von weiteren Teilen dieser vielversprechenden Reihe mit Länderschwerpunkten, ein rundum gelungener Abend mit abwechslungsreichem Programm. Der denkbar ungünstige Zeitpunkt für die Premiere (2.10.2021), als gleichzeitig Stadtfest und diverse Weinfeste stattfanden, war bald vergessen. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass hier etwas Besonderes, Ausgefallenes stattfindet, ein Streifzug durch 100 Jahre interessante britische Musikgeschichte mit einigen bekannten und vor allem hierzulande nahezu unbekannten Ouvertüren, Arien und Songs von ebenso unbekannten Komponisten aus England, Irland und Wales, verborgene Schätze vom Ende des 19. Jahrhunderts bis ins 20., die kennenzulernen, unbedingt lohnt.
Trotz unterschiedlicher Stilrichtungen und Klangsprache, gibt es Gemeinsamkeiten, die sich vielleicht als typisch britisch definieren lassen. Jetzt erfreut sich diese Veranstaltung der Sympathie des Publikums, neigt sich aber mit ihren fünf geplanten Aufführungen leider auch schon dem Ende zu.
Unter der Leitung von Johannes Pell begann das Orchester der Staatsoperette, das nach langer Zeit nun endlich wieder in großer Besetzung auftreten kann und die Bühne füllte, mit Gilbert & Sullivan (1836-1911/1842-1900), dem Inbegriff der englischen Operette, zwei Meister, die zunächst getrennt, dann aber gemeinsam erst recht sehr erfolgreich waren. Schwungvoll, „zackig“, aber nicht militant gespielt, mutete die „Ouvertüre“ aus der komischen Oper „The Mikado“ zunächst „very simple“, mit einem Schuss Offenbach an.
Harte Trommelschläge betonten, dass es sich um eine „very britishe“ Ouvertüre handelt, bei der dann aber auch sanftere Klänge für das japanische Flair mit „Vogelgezwitscher“ sorgten und zu zwei Gesangsnummern aus dieser Oper überleiteten: „Our great Mikado, virtuos man“, begann Bryan Rothfuss, und sehr ansprechend und mit großer und sehr schöner Stimme sang Maria Perlt-Gärtner mitreißend „The sun whose rays are all ablaze.
Für Überraschung sorgte Victor Herbert (1859-1924), der Ire, der als 27jähriger in die USA ging und dort die US-amerikanische Operette begründete. Aus seiner Zauberposse „Babes in Toyland“ erklang der „March oft the Toys“, dem „I’m falling in Love with someone“ aus dessen Operette “Naughty Marietta“, gesungen von Bryan Rothfuss, folgte und danach „A sweet mystery of live“ zusammen mit der großartigen Maria Perlt-Gärtner. Mag die irische Operetten- und Musicalkultur stilistisch auch mehr zur US-amerikanischen tendieren, in der landläufigen Vorstellungswelt der Mitteleuropäer gehört sie (wenigstens territorial) zur englischen.
Die besondere Überraschung aber war der neben seinem beschwingten, mitreißenden Dirigat zwischen den Musiknummern professionell mit angenehmer Sprechstimme, bestens artikulierend und mit vielseitigen Kenntnissen moderierende Johannes Pell sowie die von ihm ausgesuchten, stimmigen großformatigen Videoeinblendungen (stehende großformatige Bilder) im Bühnenhintergrund von einer alten Straße im ehrwürdigen Windsor über einen Mississippi-Dampfer bis hin zum repräsentativen Jugendstil-Gebäude, die stimmungsvoll in die Welt der jeweiligen Musiknummern führten (Szenische Einrichtung: Burghard Friedrich).
Zwei bekannte Namen mit weniger bekannten Stücken aus ihrer Feder beschlossen den ersten Teil, der vielseitige Gustav Holst (1874-1934), der zeitlebens darunter litt, dass er immer nur auf die „Planeten“ reduziert wurde, obwohl er doch viel mehr geschrieben hat, mit seiner Ballettmusik aus der Oper „The Perfect Fool“, und der ebenfalls sehr vielseitige Edward Elgar (1857-1934) mit „Pomp and circumstance – March No. 4“, so perfekt präsentiert, dass man sich in einer „Night oft the Proms“ fühlen konnte.Zwischen bekannt und unbekannt ging es auch im zweiten Teil weiter, eröffnet mit der „leicht schrägen“ „Festival Fanfare“ von William Havergal Brian (1876-1972), auf die eine „Deutsche Erstaufführung“ folgte, die gekürzte Fassung der „Orchestersuite“ zur Oper „Sir John in love“ von Ralph Vaughan Wiliams (1872-1958) mit dem unverwüstlichen Fallstaff-Stoff und in der Orchestrierung von Martin Yates mit den Teilen: „Fat knight“, „A street in Windsor“, „Falstaff at the Garter Inn“, „Grennsleeves“ und „Finale“.
Wahre Entdeckungen bedeuteten die Stücke von Ivor Novello 1893-1951), aus dessen Musical „The Dancing Years“ Jolana Slaviková sehr stimmungsvoll „My dearest dear“ sang, und Michael William Balfe (1808-1870), dem erfolgreichsten irischen Komponisten, der sich traditionsgemäß mehr der US-amerikanischen Kultur zugehörig fühlte. Aus dessen Oper „The Bohemian Girl“ sang Silke Richter mit voller und klangvoller Stimme und ihrer Opernerfahrung sehr einfühlsam und eindrucksvoll als „echte Operetten-Diva“ mit schlichtem Auftreten die Arie „I dreamt dwelt in marble halls“. Anschließend bewies sie ihre Vielseitigkeit mit „Kiss me“ aus der Operette “Bitter Sweel“ von Noel Coward (1899-1973).
Als ganz besondere Überraschung folgte noch von Malcolm Arnold (1921-2006) „A grand, grand overture“ für vier Staubsauger und vier Revolver“, eine Persiflage auf die großen Orchester bei Debussy, Verdi und Wagner (aus heutiger Sicht erst recht Mahler). Am Schluss liegen alle vier seriösen Solisten mit ihren „Musikinstrumenten“, den Staubsaugern englischer Marken, die sich nur schwerlich gegen das große, perfekt musizierende Orchester durchsetzen konnten, „erschossen“ auf ihren Stühlen – schade um so gute SängerInnen, aber die Besucher mussten nicht ungetröstet gehen. Es folgte eine sehr klang- und stimmungsvolle Zugabe, die „Nr. 9 „Nimrod“ aus Edward Elgars bekannten und beliebten „Enigma Variationen“.
Mit seinen 2,5 Stunden (incl. 25 min. Pause) war es ein kurzweiliger, unterhaltsamer, erfahrungsreicher und stimmungsvoller Abend. Pell inspirierte mit seinen geschmeidigen Dirigierbewegungen von „schmissig“ bis tänzerisch und „swingend“, unter denen man förmlich „die Musik sanft und romantisch oder very british mit triumphalem Pathos entstehen sehen konnte, Musiker und Publikum, nicht vordergründig, nicht auf Show, sondern ganz im Dienst der Musik, und plauderte so niveauvoll, kurzweilig und instruktiv zwischen den Musiknummern, fasste die mitunter abstruse Handlung der Opern kurz zusammen, erzählte wichtige Fakten und Interessantes aus dem Leben der Komponisten, würzte es mit kleinen Anekdoten und ungewöhnlichen Begebenheiten und verband die einzelnen Musikstücke zu einem sinnvollen Ganzen, dass er die ungewohnten Werke dem Publikum sehr nahebrachte.
Ein besonderes Lob verdient neben den Solistinnen auch das perfekt musizierende Orchester mit seinen sauberen Blechbläsern, schöner Solobratsche und auffallend exaktem Paukisten. Die Zeit verging wie im Fluge. Schade nur, dass die besuchte vierte Aufführung nun auch schon die vorletzte der insgesamt fünf geplanten Aufführungen war (letzte Aufführung am 29.10.).
Ingrid Gerk