Dresden / Semperoper: ZDF-SILVESTERKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT ANGELA DENOKE, ELISABETH KULMANN, DANIEL BEHLE UND CHRISTIAN THIELEMANN – 31.12.2017
Silvester kann man sehr unterschiedlich feiern, seriös oder ausgelassen, poppig, jazzig, mit Operettenmelodien, Musical oder Filmmusik. Nach alter Tradition kann da so jeder „seinem Affen Zucker geben“ und etwas ganz Anderes machen als sonst. Da ist vieles erlaubt, auch für renommierte, seriöse Orchester, Dirigenten, Opernsängerinnen und -sänger.
Für das seit 2010 alljährlich im deutschen Fernsehen (ZDF) an Silvester ausgestrahlte Silvesterkonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden hatte sich Christian Thielemann, der unbestrittene Kenner und Könner der Musik Richard Wagners, Richard Strauss‘ und Anton Bruckners, der die Silvesterkonzerte alljährlich leitet, diesmal für Filmmusik aus Babelsberg der 1930er und 40er Jahre entschieden – aus Anlass des 100jährigen Bestehens der UFA (Universum-Film AG), ein deutsches Filmunternehmen und Pendant zur „Traumfabrik“ in Hollywood. Er ist fasziniert von der Qualität der Schlager, die damals wie heute immer großartig wirken.
Das brachte bereits im Vorfeld scharfzüngige Kritiker auf den Plan, die das Programm als „Unterhaltungsfilme zur Durchhaltepolitik der Nazis“ schmähen. Das ist leider so, aber sollte man deshalb die Melodien aus alten, meist schon vergessen Filmen, die bis heute populär und beliebt sind und immer noch und immer wieder „zünden“, ebenfalls dem Vergessen anheim fallen lassen? Was kann denn die Musik dafür, dass sie so „schön“ ist und missbraucht wurde? Sie Musik wurde meist in unpolitischer Absicht geschaffen.
So mancher Komponist musste später ins Exil gehen, Erich Wolfgang Korngold beispielsweise ging 1934 in die USA und entschied sich 1938 dort zu bleiben, und Marek Weber, der damals die Arrangements für sein Salonorchester schuf, auf denen die neuen Arrangements von Stefan Behrisch im Silvesterkonzert beruhten, verließ 1933 Deutschland Richtung USA, ebenso Friedrich Hollaender. Hans Mey, Lothar Brühne, Ralph Erwin, Werner Richard Heymann, die Komponisten, deren Hits im Silvesterprogramm erklangen, gingen nach 1933/34 wegen ihrer jüdischen Abstammung ins Exil. Andere arbeiteten zu dieser Zeit ohnehin schon im Ausland.
Zarah Leander, deren Hits als „Musterbeispiel“ für die Nazipropaganda gelten, verließ schließlich aus Protest Deutschland. Sollte man aus dieser Sicht ihre Hits meiden? Man sollte nicht alles vorschnell verurteilen. Wagner-Opern werden schließlich auch immer und überall aufgeführt, obwohl Musik daraus damals für die Rundfunkmeldungen missbraucht wurde. Wagner konnte zu seinen Lebzeiten nicht ahnen, wohin die politische Entwicklung einmal führen würde. In diesem Sinne regte das Konzertprogramm mehr zum Nachdenken an als auf.
An den beiden letzten Abenden des Jahres 2017 war das auf der Bühne der Semperoper aufgebaute Konzertzimmer nach einem Entwurf Gottfried Sempers, des Architekten dieses Hauses, in rötliches Licht getaucht. Mithilfe eines Riesenspiegels über die gesamte Rückwand war das (gespiegelte) Publikum auch auf der Bühne „präsent“ und das Orchester scheinbar „mittendrin“, dazu eine Art (einfache) „Showtreppe“ wie einst im Film, die Thielemann herunterkam, um mit der Staatskapelle das Konzert mit der gewaltigen Wiedergabe von „Hauptthema und Liebesszene“ aus „Unter Piratenflagge“ von Erich Wolfgang Korngold, dessen Oper „Die tote Stadt“ im Dezember an der Semperoper Premiere hatte, zu beginnen.
Mit der Liebe und ihren vorwiegend schönen Seiten ging es weiter in den beliebtesten „Ohrwürmern“ und „Evergreens“ aus Filmmusiken der o. g. emigrierten Komponisten sowie von Theo Mackeben, Ralph Benatzky, Harry Wiens, Michael Jary, Georg Haentzschel, Franz Grothe, Nico Dostal und Robert Stolz.
In immer wieder neue große Roben gehüllt, von Pelz und weißer Atlasseide bis zu grauer Eleganz und schwarzer Vornehmheit traten die Damen in Erscheinung. Angela Denoke, die schon seit ihrer Jugend die Operette liebt, und sich schon einmal in einem Silvesterkonzert mit Christian Thielemann und Piotr Beczała von ihrer seriös-eleganten Seite zeigte, bewies, dass sie neben der großen Oper, auch das Heitere beherrscht, das nicht leicht zu machen ist. Ihre Stimme ist groß, so dass sie mühelos über das gewaltig tönende Orchester kam. Von Auftritt zu Auftritt entfaltete sie zunehmende Klangschönheit und betonte mit großer, schöner Stimme „Frauen sind keine Engel“, gestand dann aber auch „Ich steh im Regen“, „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ und „Frag nicht, warum ich gehe“, bis sie beteuerte „Bei dir war es immer so schön“.
Elisabeth Kulman war hingebungsvoll und auch ein wenig theatralisch (wie es damals üblich war) „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und fragte unschuldig: „Kann denn Liebe Sünde sein?“, womit sie als Erste aus sich heraus und in ihrer Rolle ganz aufging und die anfänglich leichte Spannung einer Live-Übertragung mit umherwuselnden Kameraleuten durchbrach. Mit schöner, klingender Tiefe und leicht „rauchiger“ Stimme sang sie die umstrittenen Titel von Zarah Leander, auch von dem „Wunder“, das „einmal geschehen wird“, aber viel „zarter“ und erreichte schon deshalb eine ganz andere Wirkung. Schließlich entwickelte sie zusammen mit der Kapelle bei Nico Dostal („Heut‘ lad ich mir die Liebe ein“) umwerfendes, „echt“ ungarisches Temperament.
Daniel Behle bekannte mit stimmlicher Leichtigkeit und perfekter Geste, stets konzentriert und auf Qualität bedacht, aber auch ziemlich ernst „Heut‘ ist der schönste Tag im Leben“ und „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt“, nur hätte man sich gern noch etwas mehr von der spielerischen Leichtigkeit eines Charmeurs von damals gewünscht, wenn er mit Angela Denoke flirtete „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“. Er kam spielend über das große, meist kraftvoll musizierende Orchester, aber wenn „Ein Lied geht um die Welt“ auch noch so perfekt gesungen wird, denkt man unwillkürlich an den unvergessenen Joseph Schmidt und den Schmelz und Schönklang in seiner Stimme, der einfach nicht zu toppen ist.
Den richtigen Schwung brachte das speziell für diesen Anlass „konstituierte“, hinter der Staatskapelle, in Anlehnung an „alte“ Zeiten auf einem Podest „thronende“ Salonorchester aus acht Streichern und Bläsern der Staatskapelle und drei Gästen an Alt- und Tenorsaxophon, Klarinette und Banjo, am Konzertflügel: Johannes Wulff-Woesten, der für die Einstudierung verantwortlich zeichnete. Das flott und „schmissig“ spielende Salonorchester machte „richtig Stimmung“. Tempo und Rhythmus wirkten „ganz echt“ und perfekt. Da leuchtete plötzlich das besondere Flair, der spezielle Charme, das „gewisse Etwas“ von einst auf, heiter, locker und ein wenig distinguiert, ohne antiquiert zu wirken. So kam diese Musik zur vollen Wirkung und selbst bei Publikum mit heutigem Empfinden an.
Bei ihrer Zugabe brauchten alle drei Solisten „keine Millionen … zum Glück“, sondern „nur Musik, Musik, Musik…“, und die gab es reichlich in diesem Konzert unter der Leitung von Christian Thielemann mit seinem reichhaltigen, niveauvoll dargebotenen Programm voller alter, großer Filmmusik. Das Salonorchester steuerte seinerseits noch eine stilgerechte, rein instrumentale Zugabe bei, bei deren „Blasmusikcharakter“ (trotz Streichern und Holzbläsern) neben vielen Zitaten auch der beliebte „Radezky-Marsch„, der für viele bei Silvester und Neujahr nicht fehlen darf, anklang.
Konzert (ohne TV) Am nächsten Tag wurde es im Rahmen des Wiener Neujahrskonzertes gewiss: Thielemann wird 2019 die Wiener Philharmoniker bei ihrem Neujahrskonzert leiten. Da hoffen die Dresdner natürlich, dass er der Sächsischen Staatskapelle auch beim Silvesterkonzert in Dresden treu bleibt.
—
Anmerkung für Fernsehzuschauer: Nach 1 Std. Live-Übertragung ging das Konzert live weiter (ohne TV), weshalb hier manches erwähnt wird, was nicht im Fernsehen zu sehen war.
Ingrid Gerk