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DRESDEN/ Semperoper: „WINTERREISE“ VON FRANZ SCHUBERT – EIN LIEDERABEND MIT GEORG ZEPPENFELD

19.09.2022 | Konzert/Liederabende
 Dresden/Semperoper: „WINTERREISE“ VON FRANZ SCHUBERT – EIN LIEDERABEND MIT GEORG ZEPPENFELD – 18.9.2022

Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ ist ein Meilenstein für jeden Liedsänger, auch mancher Sängerin (im Rahmen der Gender-Gerechtigkeit), vor allem Mezzosopranistin oder Altistin (Christa Ludwig, Brigitte Fassbaender, Rosemarie Lang, Britta Schwarz u. a.) und mitunter sogar Sopranistin (!), wobei bei den Sängerinnen naturgemäß mehr der musikalische Teil als der poetisch-inhaltliche im Vordergrund steht. Schubert hat sich bezüglich der Stimmlage nicht festgelegt, aber plausibler erscheint der Inhalt doch bei einer Männerstimme.

Unvergessen sind die gestalterisch durchdachten, bis ins Detail gehenden Interpretationen von Peter Schreier, der auch bei diesem Liederzyklus Maßstäbe setzte und sich bei seinem letzten Liederabend im Wiener Musikverein damit von seinem Wiener Publikum und seiner aktiven Sängerlaufbahn verabschiedete. Seine Interpretation basierte auf der genauen musikalischen Umsetzung und Ausdeutung der Texte.

Nun war man gespannt, wie Georg Zeppenfeld die „Winterreise“ interpretieren würde. Er vertieft sich in alle Genres, von einem breiten Spektrum an Opernrollen über Konzerte und Oratorien bis hin zum Lied, wobei man bei jedem seiner Auftritte geneigt ist, zu glauben, dass das, was man gerade hört und erlebt, ihm am meisten angelegen ist.

Mit überaus herzlichem, ungewöhnlich langanhaltendem Beifall wurden er und sein Begleiter am Klavier, Gerold Huber, begrüßt, was unter anderem auch zum Ausdruck brachte, wie sehr in Dresden Liederabende auf hohem Niveau vermisst werden.

Verhalten begann Zepppenfeld das erste Lied „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“. Fremd ist er in Dresden ganz und gar nicht. Als ehemaliges Ensemblemitglied ist er den Dresdnern ein Begriff und der Semperoper seit Jahren auch als Gast eng verbunden. Das Publikum lauschte in atemloser Stille, trotz kaltem Herbstwetter kein Husten oder Räuspern. Mit den ersten Tönen und Worten führte er sofort in die emotionsgeladene Gefühls- und Gedankenwelt Franz Schuberts und des Textdichters Wilhelm Müller ein, dessen poetische Worte direkt nach Vertonung verlangen, wie Müller selbst bekannte: „ … in der Tat führen meine Lieder nur ein halbes Leben, ein Papierleben, schwarz auf weiß … bis die Musik ihnen den Lebensodem einhaucht …“. Das hatte Schubert sofort erkannt und in kürzester Zeit eine ideale Symbiose zwischen Text und Musik geschaffen.

 Zeppenfeld gestaltete diese „Reihe schauerlicher Lieder“, wie sie Schubert nannte, als er sie 1827, nur ein Jahr vor seinem Tod, zum ersten Mal seinen Freunden vorstellte, sehr überzeugend, stimmlich ausgereift, makellos, das gesamte Register seiner Stimme auslotend, wobei immer wieder seine  mühelose, sehr sicher und dazu sehr klangvolle Tiefe überrascht. Seine Erfahrungen als Opernsänger, seine präzise Text- und Tonbehandlung, seine Wandlungsfähigkeit und sein Gespür für die Feinheiten des Liedgesanges ließen ihn zu einem idealen Liedinterpreten werden. Mit einem einzigen, besonders gestalteten Wort, einem Blick vermochte er gestalterische Akzente zu setzen, unterstützt durch dezente kleine Gesten mit großer Wirkung. Da berührte jedes einzelne Lied, mehr noch, die Lieder machten betroffen, gingen unter die Haut. Trotz seiner vielfältigen Opernrollen, einschließlich großer Wagner-Partien, hat er sich die Feinheiten des Liedgesanges und seine geschmeidige, flexible Stimme bewahrt.

Über die Deutung der „Winterreise“ gibt es geteilte Meinungen. In den vergangenen Jahren ist eine Deutungsebene publik geworden, die darin auch eine gezielte subtile Kritik am damals herrschenden System der Restauration Metternichs sieht, schließlich war Müller in seiner Zeit „politisch verdächtig“. In Schuberts Vertonung ist davon wenig zu spüren. Für ihn scheint es vor allem die Emotion einer enttäuschten Liebe zu sein, die in pessimistische oder fatalistische Weltsicht und existenziellen Weltschmerz übergeht, obwohl er enge Kontakte zu Kreisen der Opposition pflegte, sich die Texte illegal beschaffte und einer Razzia beim Dissidentenverein seiner Freunde nur durch rechtzeitige Warnung entging.

  Spätestens nach dem Lied „Letzte Hoffnung“, wo es heißt „… spielt der Wind mit meinem Blatt …“ klingen sehr ernste, philosophierende Töne an, die weit über einen noch so großen Liebesschmerz hinausgehen. Bei  Zeppenfelds intensiver Textdeklamation, seiner großen Ausdrucksfähigkeit, ohne zu überzeichnen, kam man doch nicht umhin, das Mysteriöse, Doppeldeutige zu empfinden. Mit dem letzten Lied (Der Leiermann“) ließ er alle Fragen offen bei den Worten: Wunderlicher Alter, soll ich mit dir geh‘n?“

Prominentenbegleiter Gerold Huber war am Flügel nicht nur ein sehr einfühlsamer Begleiter auf Augenhöhe mit klangvollem Anschlag, sondern auch ein intensiver Mitgestalter mit feinsinnigem Gespür für die besondere Dramatik dieses Liederzyklus. Die musikalischen Linien von Gesang und Instrument gingen ineinander über und ergänzten sich gegenseitig, ein Miteinander im Sinne einer intensiven, wohldurchdachten Liedgestaltung.

Das Publikum dieses außergewöhnlichen, auch außergewöhnlich gut besuchten Liederabends – es waren wesentlich mehr Zuhörer zugegen als bei mancher Oper („Die Nase“, „Il viaggio a Reims“ u. a.) – lauschte auf jeden Ton, und jedes Wort und feierte beide Künstler mit herzlichem Beifall und Standing Ovations. Das sollte zu denken geben und ein Anstoß sein, die sang- und klanglos verschwundenen Liederabende in der Semperoper wieder ins Leben zu rufen.

 Ingrid Gerk

 

 

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