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DRESDEN/ Semperoper: „VON BERLIN BIS BROADWAY“ – ZDF-SILVESTERKONZERT

01.01.2022 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: „VON BERLIN BIS BROADWAY“ ZDF-SILVESTERKONZERT – 31.12.2021

Zum zehnten Mal leitete Chefdirigent Christian Thielemann die Sächsische Staatskapelle Dresden am letzten Tag des Jahres in der Semperoper beim traditionellen „Silvesterkonzert des ZDF“ (Zweites Deutsches Fernsehen) in festlicher Atmosphäre, aber Corona-bedingt vor leerem Zuschauerraum und nur am Bildschirm „live“ zu genießen – für die Fernsehzuschauer kein Unterschied zu anderen Jahren, für die „Live“-Besucher aber eine herbe Enttäuschung.

Thielemann freute sich dennoch „unheimlich“, „dass wir dieses für das vergangene Jahr geplante Silvesterprogramm nun – leicht variiert – doch noch in der Semperoper aufführen dürfen.“ Seine Reverenz an den Mythos der „Roaring Twenties“, das neue Lebensgefühl der „Goldenen Zwanziger“, erklärte er mit den Worten: „Es ist wunderbare Musik, unterhaltend und anspruchsvoll zugleich, feinsinnig und voller Charme, Witz und Ideen. Ich kann mir für den Jahresausklang nichts Schöneres vorstellen. Es ist wunderbare Musik“.

Trotz der nicht gerechtfertigten Kritik seines Silvester-Programmes vor zwei Jahren mit Songs und Chansons der 1920/30er Jahre hielt er an seinem Vorhaben fest und präsentierte im diesjährigen Silvesterkonzert den Sound einer Zeit, in der sich zwischen Rausch und Ratio, zwischen Halbwelt und Hochkultur ein neues Lebensgefühl etablierte, das alles auf den Kopf stellte. Harmonische Klänge wurden durch Jazz und Swing abgelöst, und eine tanzwütige Welle von Amerika schwappte nach Europa herüber. One-Stepp, Charleston und „Ragtime-Fieber“ ergriffen Besitz von den Menschen. Berlin erregte mit einer einmaligen Verbindung von Musik, Stars und Glamour als Metropole der Revueoperette weltweit Aufsehen.

Mit Ausschnitten aus Film-Hits der damaligen Zeit führte das Fernsehen in dieses spezielle Flair und das Programm des Silvesterkonzertes ein, bei dem Ausschnitte aus Filmmusik-Klassikern wie „Metropolis“, und „Ich küsse Ihre Hand, Madame“, sehr bekannte und beliebte Ohrwürmer und weniger bekannte Ausschnitte aus Operetten, Musical, Jazzsinfonik, Salonmusik von Marek Weber und Kassenschlager aus dem Repertoire einer unvergessenen Operetten-Aera von „Berlin bis Broadway“, von Johann Strauß (Sohn), Ralph Benatzky, Franz Lehár, Emmerich Kálmán, Paul Abraham und Robert Stolz bis zu Gottfried Huppertz, Ralph Erwin, Werner Richard Heymann, Irving Berlin und Robert Gilbert präsentiert wurden.

Die Sächsische Staatskapelle spielte unter Thielemanns Leitung mit ihrer gewohnten Akkuratesse und klassischem Duktus, eher in Richtung Hochkultur als „wild“, aber doch mit dem richtigen Sound.

Die beiden Gesangssolisten, die junge, in Mannheim geborene, 2014 zur Nachwuchskünstlerin des Jahres von der Zeitschrift Opernwelt gewählte, Hanna-Elisabeth Müller, höhensicher, mit außergewöhnlich nuancierter Stimme und sinnlichem Timbre beeindruckte, und der albanische Tenor mit der schönen, geschmeidigen Tenorstimme, Saimir Pirgu, der Protegé von Luciano Pavarotti, dessen Liebe zur klassischen Musik durch die „3 Tenöre“ geweckt wurde, sind gern gesehene Gäste an den großen Opernhäusern. Hier setzten sie ihre schönen Stimmen und gute Gesangstechnik solo und im Duett für die Operetten-Ohrwürmer auf hohem Niveau ein, aber so richtig „zünden“ wollte der berühmte Funke doch nicht. Trotz raffiniertem, ganz stilechtem Charleston-Outfit, blieb Hanna Elisabeth Müller sehr distinguiert und äußerlich unbeweglich, ausschließlich auf schönen, niveauvollen Gesang konzentriert. Pirgu gab den Charmeur und wirkte ein wenig lockerer, mitunter fast wie ein „strahlender Held“. Seine Stärke lag ebenso in seiner Stimme. Jetzt, 100 Jahre später, mag diese turbulente Dekade zwischen Weltkriegstrauma und Aufbruchsvisionen, diese vergangene Glanzzeit der „leichten, heiteren Muse“ mit Tiefgang, Charme und Witz der jüngeren Sänger-Generation nicht mehr allzu viel sagen, so dass im Wesentlichen nur noch die Konzentration auf die Musik bleibt.

So wie Saimir Pirgu war dieser Abend auch für den Pianisten Igor Levit ein Ausflug in die Welt des amerikanischen Jazz und der leichten Muse. Levit, der sich 2019/20 ganz den Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven widmete und mit Schostakowitsch erfolgreich ist, saß am Flügel bei George Gershwins „Rhapsodie in Blue“ und spielte auch hier ganz klassisch wie ein Klavierkonzert von Beethoven, Brahms oder Schumann. Er kostete die „Rhapsodie“ auf klassische Weise aus, eher romantisch-sensibel, was zu diesem Jazz-Klavierkonzert nicht so richtig passen wollte – wenn schon Gershwin, dann möglichst auch in dessen Personalstil, temperamentvoll und jazzig. Das Orchester hatte da mehr Temperament und setzte mit den Klarinetten im Einklang mit den übrigen Bläsern zu jazzigem Duktus an, nahm aber dann doch zurück und Rücksicht auf die eher feinsinnig orientierte, elegante Art des Pianisten, der noch zusätzlich mit einigen, Kunstpausen, die bei anderen Werken mitunter Effekt machen, bei diesem jazzigen Werk die Spannung eher heruntertransformierte und „Längen“ schuf, was sich Thielemann und das Orchester wahrscheinlich anders vorgestellt hatten. Wenn schon Gershwin, dann möglichst auch in dessen Personalstil „con fuoco“. Das ist „das Einfache, das schwer zu machen ist“.

Gershwin schrieb auch Musicals für den Broadway, woran „Oh, Kay!“ „Someone to watch over me“ erinnerte, bei dem Levit noch einmal am Flügel saß und die beiden Gesangssolisten zusammen mit dem Orchester in seiner – hier passenden – fast träumerischen Art begleitete.

Ganz anders startete das Salonorchester der Sächsischen Staatskapelle mit Tibor Gyenge am Ersten Pult und Johannes Wullf-Woesten am Klavier (Konzertflügel) durch, dessen Mitglieder aus den Reihen der Sächsischen Staatskapelle sich mit überschäumendem Temperament ausgelassen der Musik von Anton Profes („Was macht der Maier am Himalaya“ in der Version von Marek Weber, einem amerikanischen Medley von Milton Ager, Herbert Stothart / Harry Ruby, Roy Turk / Lou Handman und Irving Berlin sowie Emmerich Kálmán („Im Himmel spielt auch schon die Jazzband“ – Version: Marek Weber) hingaben und locker und klangschön, mit Humor und Frohsinn, ganz wie es zu einem Silvesterkonzert passt, einmal die Ebene der von ihnen sonst mit Engagement gepflegten Hochkultur verließen und bei einem Ausflug in ein“ leichteres“ Genre „ihrem Affen Zucker“ gaben. Sie hatten alle den „Rhythmus im Blut“ und Wulff-Woesten steuerte noch ein ausgelassenes Glissando-Schwänzchen bei, das Thielemann ein amüsiertes Lächeln aufs Gesicht zauberte.

Gesangs-Solisten und Pianist nahmen das Konzert eher sehr ernst als heiter, obwohl das Programm in eine heitere (Schein‑)Welt entführte. Die Zeit ist allerdings gegenwärtig auch nicht dazu angetan, ausgelassen fröhlich zu sein, zumal das Publikum fehlte und nur durch unzählige Lämpchen (welch gute Idee!) auf den Parkett-Plätzen scheinbar „vertreten“ war. Da war diese Ernsthaftigkeit schon verständlich.

Ingrid Gerk

 

 

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