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DRESDEN/Semperoper: „TRISTAN UND ISOLDE“ – Sternstunden unter Christian Thielemann

26.01.2024 | Oper international
Dresden/Semperoper:  „TRISTAN UND ISOLDE“ – STERNSTUNDEN UNTER CHRISTIAN THIELEMANN – 25.1.2024

Noch einmal vor seinem nicht ganz freiwilligen Weggang hat sich Christian Thielemann mit vollem Einsatz für eine Wagner-Oper engagiert und dem Dresdner und internationalen Publikum aller Generationen vier sensationelle, atemberaubende Aufführungen von „Tristan und Isolde“ (21., 25., 28.1. und 3.2.) geschenkt. Die letzte Aufführung ist dem Gedenken an den kürzlich verstorbenen ehemaligen Intendanten der Semperoper, Gerd Üecker gewidmet, der in seiner Dresdner Amtszeit (2003 – 2010) für internationale Ausstrahlung des Hauses sorgte, bei der sich hervorragende Dirigenten und Stars der internationalen Gesangsszene „die Klinke in die Hand“ gaben, darunter auch Camilla Nylund und Georg Zeppendfeld, die jetzt bei den glanzvollen „Tristan“-Aufführungen gemeinsam mit Klaus Florian Voigt unter Thielemanns Leitung für Furore sorgten.
 
Für diese Aufführungen wurde die stimmige Inszenierung von Marco Arturo Marelli, die auch nach etwa 30 Jahren nichts von ihrer Aussagekraft eingebüßt hat und sehr gegenwärtig wirkt, mit den passenden Kostümen von Dagmar Niefind-Marelli auf die Bühne gebracht. In ihrer abstrakten Schlichtheit lässt sie die Musik in den Vordergrund treten und unterstreicht Handlung und Musik nicht nur schlechthin, sondern macht sie durch eine geschickte symbolische Deutung in ihrer Intensität nachvollziehbar.
 
Dezente Farbgebung von Bühne und Kostümen, verschiebliche Wände, die – meist von den Akteuren – handlungsbezogen für die psychologische Durchdringung geöffnet oder geschlossen werden, und eine sehr sparsame, aber umso wirkungsvollere Personenregie  bilden eine Einheit. Selbst die Abstände zwischen den Akteuren sind genau bemessen, und ein dezentes, sehr sensibles, aber stimmiges Lichtdesign (Friedewalt Degen) unterstreicht und „übersetzt“ Handlung und Musik. Jede Geste, jeder Beleuchtungseffekt hat einen symbolischen Bezug, beispielsweise, wie Isolde den vermeintlichen Todestrank verlangt (von Brangäne) oder wenn Tristan verwundet (im 2. Aufzug) die Treppe herunterrollt, so dass plötzlich alles aus zu sein scheint und die Erwartung auf den nächsten Aufzug steigt. Das alles regt die Fantasie an, um sie in die richtige Richtung zu lenken.
Unter Thielemanns Leitung entfalteten sich Sächsische Staatskapelle und Gesangssolisten zu höchsten Leistungen. Bereits die ersten im zartesten Pianissimo zelebrierten Töne führten in einer besonders fein gestalteten Steigerung zu einer Erwartungshaltung, die noch überboten wurde.

Camilla Nylund verkörperte eine stimmlich stets präsente, vor allem erfreulich feminine Isolde, die aber auch Kraft und starken Willen präsentieren konnte. In einem großen Spannungsbogen beschritt sie den Weg von der Todessehnsucht in einem zerrissenen inneren Zustand aus Aufbegehren und äußeren Zwängen über die hingebungsvolle Liebe zu Tristan und wieder Todessehnsucht, nun aber aus überdimensionaler, auswegloser Liebe bis hin zu Tod und Verklärung.

 Ihr zur Seite überraschte Klaus Florian Voigt mit seinem sehr erfolgreichen Debüt als Tristan. Seine schlanke, hell klingende Tenorstimme trägt. Das Wagner-Fach ist untrüglich sein Metier. Mühelos meisterte er alle heiklen Passagen und überzeugte mit seiner plausiblen Darstellung.

Schon ohne ein Wort zu singen erschien Georg Zeppenfeld als würdevoller König Marke, dessen edle Haltung durch eine entsprechende Darstellung und seine äußerst zuverlässige, in allen Lagen sehr sichere Stimme mit einer ungewöhnlich klangvollen Tiefe, die weit und breit ihresgleichen suchen dürfte, Gestalt annahm.

 Alle drei Protagonisten verfügen über eine bei Wagner-Interpreten selten anzutreffende Textverständlichkeit. Sie sind dem Haus schon seit langem verbunden, und man kann nur hoffen, dass sie hier auch weiterhin auftreten.

Für die leider erkrankte, als Brangäne legendäre, Christa Mayer war Tanja Ariane Baumgartner eingesprungen. Sie blieb gesanglich und darstellerisch sehr zurückhaltend als untergeordnete Magd im Hintergrund, auch sängerisch (vor allem in der Mittellage).

Lawson Anderson erzeugte als Steuermann zu Beginn des Vorspiels mit seinem Lied die Stimmung der Ausgangssituation. Als Kurwenal überzeugte Martin Gantner. Sebastian Wartig verkörperte den derben Melot, und als junger Steuermann und ein Hirt trat Attila Glaser auf.

Thielemann führte das Orchester nicht nur zu höchsten Höhen. Er unterstrich die Situationen, ließ den Sängern Raum zum Singen, inspirierte sie, brachte überwältigende Pianissimo-Situationen, lotete mit der Musik die Handlung psychisch aus und spannte einen großen Spannungsbogen um die gesamte Oper mit zahlreichen kleineren  und mittleren Bögen für jede Handlungssituation. Er und das Orchester sind zu einer Einheit zusammengewachsen, die jetzt – nicht nachvollziehbar – zerstört wird, sehr zum Schaden der Sächsischen Staatskapelle und Semperoper und sehr zur Freude anderer Opernhäuser. Was hätte daraus nicht noch alles werden können, wie viele Sternstunden mit internationaler Ausstrahlung gehen da auch dem internationalen Publikum verloren!

 Ingrid Gerk

 

 

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