
Szene 2.Akt: Pieczonka, Antonenko und Tezier (Foto: Semperoper Dresden)
Dresden / Semperoper: „TOSCA“ UNTER CHRISTIAN THIELEMANN MIT ADRIANNE PIECZONKA – 3.5.2018
Christian Thielemann ist nicht nur ein hervorragender Interpret der Opern Richard Wagners, was er einmal mehr mit dem umjubelten „Ring“ an der Semperoper unter Beweis stellte. Nach „Othello“ in der vergangenen Spielzeit wandte er sich nun erneut mit Giacomo Puccinis „Tosca“ in der Inszenierung von Johannes Schaaf von 2009 (der achten nach der Dresdner Erstaufführung im Jahr 1902) dem italienischen Repertoire zu. Die Wiederaufnahme dieser, der originalen Opernhandlung adäquaten Inszenierung, findet beim Publikum immer noch und immer wieder volle Akzeptanz. Die Bühne (Christof Cremer) – grau in grau – wird belebt durch einige Kerzenleuchter und ein großes Wandgemälde mit einer üppigen Maria Magdalena, mit der sich Cavaradossi malend auf dem Gerüst als Künstler und – ein Novum – als „lebendes Modell“ (der Atavanti) auf realem Boden offenbar in einer Liebesbeziehung „beschäftigt“ – ein echter Grund für Floria Toscas Eifersuchtsszene?. Die Kostüme in üppig leuchtender Farbigkeit (Petra Reinhardt) machen das Bühnenbild zum „Augenschmaus“.
Jetzt hob sich der Vorhang zur letzten von insgesamt vier Aufführungen (April / Mai 2018) mit der gleichen Besetzung wie zu den diesjährigen Salzburger Osterfestspielen – mit Ausnahme der Titelpartie – und versprach einen besonderen Opernabend (wie auch die drei vorangegangenen). Abweichend von den allgemein üblichen Interpretationen, betonte Christian Thielemann gleich zu Beginn eine enorme Dramatik und leitete mitreißend, aber auch mit großem Verständnis für die Sänger die Sächsische Staatskapelle Dresden, entlockte dem Orchester große dramatische Szenen, ließ aber auch den Musikern viele Freiheiten, die sie mit den ihnen eigenen Feinheiten (die besondere Spezialität der Kapelle) „honorierten“, wie z. B. im 2. Akt die hinreißende Begleitung der großen Arie Toscas und später Scarpias „Todesröcheln“ das im Orchester schon vorher unterschwellig vernehmbar wurde, oder die berührenden Szenen im 3. Akt, bei denen Thielemann und das Orchester auf gleicher Wellenlänge musizierten und bei mancher Szene Gesang und Orchester in besonderer Feinheit verschmolzen.
Besonders gespannt war man auf Adrianne Pieczonka, die die Tosca, eine ihrer Paraderollen, an vielen großen Opernhäusern singt und nun erstmals damit auch an der Semperoper gastierte. Sie war in Dresden bereits durch ihr Debüt als Tatjana („Eugen Onegin“, 1994) und Ariadne (2008) schon bestens bekannt. Jetzt überraschte sie als wirklich sanfte, sehr sensible Tosca, die nur der Kunst und der Schönheit ihr Leben weihte, eine aufrichtige, gläubige und glaubhafte, reine Seele, die kein Falsch kennt und deshalb selbst dem korrupten, egoistischen und grausamen Scarpia nicht misstraut.
Mit einschmeichelnder Stimme und großer Ausdrucksskala vollzog sie, als weltferne Künstlerin in politische Intrigen und leidenschaftliche Begierden verstrickt, mit Gesang und Gestik, die emotionale und auch äußerlich sichtbare Wandlung der Tosca von der eifersüchtigen Operndiva zur leidenschaftlich Liebenden und schließlich, indem sie in höchster Not und Bedrängnis zum Messer greift, zur verzweifelten Mörderin. Folgerichtig erschrickt sie über ihre begangene Tat und zeigt christliches Mitgefühl – selbst für diesen verhassten Feind, indem sie die Leiche provisorisch mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln „aufbahrt“, ihm die Augen bedeckt, das Kreuz auf die Brust legt und einen Leuchter danebenstellt – eine ergreifende Szene, die man unwillkürlich mitfühlte.
Ihre große Arie „Vissi d’arte“, gesungen mit wirklicher Schönheit, großer Innigkeit und Anmut, mit berührendem Piano und verzweifelter Leidenschaft, um durch ein Gebet das Unheil abzuwenden, ließ den Atem stocken. Man fieberte mit ihr, konnte ihre ausweglose Situation nachempfinden und litt mit ihr. Danach konnte Thielemann nicht anders, als nach einer kurzen Pause Szenenapplaus zuzulassen, auch wenn dadurch der sich dramatisch zuspitzende Handlungsverlauf unterbrochen wurde.
Oper lebt von Kontrasten. Als ihr Widersacher und Gegenspieler Scarpia agierte Ludovic Tézier, mehr als nur überzeugend. Er hat bereits viel Ausdruck in seiner vollen Bariton-Stimme mit dem noblen Timbre, womit er in jeder Situation die Absichten des selbstsüchtigen, brutalen, herrschsüchtigen Polizeichefs Roms zum Ausdruck bringen konnte, mit Noblesse, wenn er Tosca „umgarnen“ wollte, oder mit Härte und Durchschlagskraft, wenn er seine unerbittlichen Befehle zu Folterung und Hinrichtung gab. Mit bewundernswerter Kondition kam er auch über die lautesten Orchesterpassagen und konnte im besten Sinne des Wortes als Sänger dominieren, um dieser Gestalt Nachdruck zu verleihen.
In der Konstellation Tosca – Scarpia fügte Thielemann oft noch eine großartige Orchesterkomponente hinzu. Allein die geschickte Generalpause als Bedenkzeit, wenn Scarpia die Entscheidung, ob Tosca ihren Geliebten Mario und seinen Freund verraten oder ihn opfern will, mit einem zynischem „Nun?“ erzwingen will, erzeugte knisternde Spannung und sagte mehr als alle Worte und Gesten sagen können.
Als Mario Cavaradossi wartete Alexandrs Antonenko mit sehr leidenschaftlichem Gesang auf, keine Kraftgrenzen kennend, mitunter aber auch mit etwas „gewöhnungsbedürftigem“, gutturalem „Belcanto“ (oder was er dafür hielt). Die bekannte Arie „E lucevan le stelle“ in Cavaradossis letzter Verzweiflung aber sang er hinreißend schön, mit feinstem Piano in der Höhe, vom Orchester klangschön mitgestaltet.
Neben der Dreiecksgeschichte zwischen den drei Protagonisten wurden die „kleineren“ Rollen von den betreffenden Sängern gut in Szene gesetzt und gesungen. Sie fügten sich in das Gesamtgeschehen ein. Matteo Peirone überzeugte als Mesner mit allen Tugenden und Untugenden eines simplen Mannes aus dem Volke und Martin-Jan Nijhof als sehr gut singender Angelotti. In „beflissener Pflichterfüllung“ agierten Tom Maertinsen als Spoletta, Tilmann Rönnebeck als Sciarrone und Alexandros Stavrakakis als Schließer. Dank des verständnisvoll zurückgenommenen Orchesters war auch die zarte Knabenstimme des sehr jungen Hirten aus dem Dresdner Kreuzchor mit seinem “Liebeslied“ zu vernehmen.
Der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen), mit seinen kraftvollen Männerstimmen als Großaufgebot an kirchlichen Würdenträgern eine klingende Einheit mit dem Orchester bildend, gestaltete zusammen mit dem sehr gut einstudierten Kinderchor der Sächsischen Staatsoper Dresden (Claudia Sebastian-Bertsch) Freude und Dank über den Sieg der österreichischen Truppen. Im Gegensatz dazu war er im 2. Akt sehr dezent und mit bewundernswerter Klarheit im Hintergrund beim „Te deum“ zu hören.
Es gab gegen Ende des 3. Aktes musikalisch atemberaubende Szenen, die durch (sehr) harte Paukenschläge, die schon am Ende des 1. Aktes für die Bausubstanz des Hauses fürchten ließen, wieder auf den harten Boden der Realität zurückgeführt wurden, während der 2. Akt mit hinreißend schönen Orchesterklängen ausklang.
„Tosca würde ich jedem Opern-Einsteiger empfehlen“, meinte Adrianne Pieczonka, „um mit dem Genre warm zu werden – es geht um Liebe, Sinnlichkeit, Verrat, Selbstmord. Und Puccinis Musik ist schmalzig, saftig, überwältigend. Dieses Stück packt jeden.“ Und so war es in der Tat. Am Ende meinten meine zufällige Nachbarn spontan: „Wir gehen nicht oft in die Oper, aber diese Aufführung hat uns gepackt. Wir werden öfter in die Oper gehen“.
Ingrid Gerk