Dresden / Semperoper: „TOSCA“ MIT LUCIO GALLO – 13.4.2015
Seit dem 11.4. steht Giacomo Puccinis „Tosca“ in der Inszenierung von Johannes Schaaf – Bühnenbild: Christof Cremer, Kostüme: Petra Reinhardt – (Pr. 31.1.2009) für 9 Vorstellungen wieder auf dem Spielplan der Semperoper mit neuer Besetzung: Jennifer Rowley als Floria Tosca und Andeka Gorrotxategi als Mario Cavaradossi. Für den erkrankten Markus Marquardt war Lucio Gallo „eingesprungen“, ein ausgezeichneter Sängerdarsteller mit sehr guter Textbehandlung, bei dem jeder Ton (auch der leiseste) und jedes Wort zur Geltung kommen, womit er an der Semperoper wieder einmal Maßstäbe setzte, bei denen die jüngeren Sänger noch nicht so leicht mithalten konnten.
Er hat den Charakter dieses selbstsüchtigen, unerbittlichen, Menschen verachtenden Polizeichefs voll erfasst, was er u. a. auch darin zum Ausdruck brachte, wie er während der Folterszene dinierte. Ihm standen vor allem auch die entsprechenden stimmlichen Mittel zur Verfügung, die er in höchster Ekstase einsetzen konnte, aber er beherrscht auch die leisen, feinen Töne, mit denen er betörend, schmeichelnd und säuselnd und mit durchtriebener Falschheit Tosca, die „nur der Schönheit ihr Leben weihte“, „umwirbt“. Er war ganz Scarpia in jeder Faser.
Die amerikanische Sopranistin Jennifer Rowley, die 2014 die Musetta an der Met sang, gab nun ihr Semperoper-Debüt als Tosca. Sie wirkte überzeugend als zarte, empfindsame Sängerin mit weicher Stimme, die aufgrund der Ereignisse in höchste Emphase gerät und dann mit entsprechender Lautstärke und tonärmerer Stimme ihrer Verzweiflung Ausdruck verleiht. Ihre große Arie, in der sie Scarpia um Gnade anfleht, sang sie mit viel Gefühl und dramatischer Empfindung, weniger mit großer Kantilene, die sich erst gegen Ende etwas entfaltete.
Andeka Gorrotxategi begann als Cavaradossi verheißungsvoll, musste aber manchen Ton hörbar von unten ansingen. Er folgte epigonenhaft großen Vorbildern, auch mit angedeuteter Kantilene und ein wenig „Träne“ in der Stimme und konnte mitunter auch berühren. Im Verhältnis zu Jennifer Rowley wirkte er fast jungenhaft und unausgeglichen, mitunter ungestüm, dann aber auch wieder wenig leidenschaftlich – ein ziemlich ungleiches Paar.
Als Cesare Angelotti konnte Tomislav Lucic, der die Rolle schon seit der Premiere singt, weder gesanglich noch darstellerisch wirklich überzeugen, Matthias Henneberg als älterer, einfältiger Mesner und Mensch aus dem Volke hingegen sehr. Tilmann Rönnebeck, der in anderen Rollen bewiesen hat, dass er wesentlich mehr kann, widmete sich hier der kleineren Rolle des Sciarrone. Timothy Oliver erfüllte seine Aufgabe als Spoletta und Julian Arsenault als Schließer.
Der Hirtenknabe wurde von Nils Schmidt, einem Sopran der Dresdner Kapellknaben, gesungen und gespielt. Seine zarte, schöne Stimme wirkte für sein Alter erstaunlich sicher und klang sehr gut. Kinder auf der Bühne haben immer etwas Berührendes, aber für ein Haus wie die Semperoper trägt eine Kinderstimme dann doch etwas zu wenig.
Julian Kovatchev dirigierte die Sächsische Staatskapelle Dresden. Nach anfänglicher Lautstärke fand das Orchester im Verlauf der Vorstellung zu seiner besonderen „Stärke“, den feineren, leisen, ausdrucksvollen Tönen, aber je nach Handlungsablauf auch zu ausdrucksstarker Dramatik.
Über die Inszenierung wurde schon ausführlich im Neuen Merker berichtet. Sie folgt in ansprechenden Bühnenbildern und mit einigen Abwandlungen im Wesentlichen der ursprünglichen Handlung (was gegenwärtig schon viel bedeutet), nur dass die Kapelle der Angelottis eher einer Gruft gleicht, die per Falltür nach unten führt, was auch als Niedergang Cesare Angelottis und seiner Familie gedeutet werden könnte. Seine Stellung als Konsul zerbrach an der Macht der politischen Gegenseite, sein Leben endet nach Gefängnis und Flucht durch Selbstmord.
Unverständlich ist nur, warum Cavaradossi und die Attavanti hier zu Beginn tatsächlich ein Liebesverhältnis haben, obwohl das laut Text eben gerade nicht der Fall ist. Es nimmt der, sich bereits im ersten Akt zuspitzenden, Situation etwas von ihrer Brisanz. Dass der Hirtenknabe vor der Hinrichtungsszene mit den Schuhen der Hingerichteten spielen muss, erinnert an „Asa Barg Schich“ der ermordeten jüdischen Kinder. Das sind kleine Episoden, die der sonst stimmigen Inszenierung kaum Abbruch tun.
Ingrid Gerk