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DRESDEN/ Semperoper: TOSCA – mit Andrzej Dobber in der letzten „Semper-Essenz-Aufführung“

28.03.2022 | Oper international

Dresden / Semperoper: ANDRZEJ DOBBER IN DER LETZTEN „SEMPER-ESSENZ-AUFFÜHRUNG VON „TOSCA“ – 27.3.2022

Die letzte der „Semper-Essenz“-Aufführungen von „Tosca“ brachte gegenüber der Aufführung am 18.3 mit Angela Gheorghiu (im Online-Merker wurde darüber berichtet) nicht nur eine andere Besetzung, sondern auch einige Überraschungen. Infolge hoher Erkrankungszahlen beim Personal konnte das Konzertzimmer nicht aufgebaut werden. Die Sächsische Staatskapelle Dresden saß im Graben, was der Akustik sehr zugute kam, und die Sängerinnen und Sänger agierten auf der Bühne, die mit großformatigen Bildprojektionen der Aufnahmen, die sonst an die Rückwand des Konzertzimmers projiziert wurden (Raum- und Projektionskonzept: Arne Walther) „ausgefüllt“ wurde – eine einfache wie geniale Lösung mit frappierender Wirkung, wie sich erwies.

Man erlebte die Oper an authentischen Orten. Wenn es im ersten Akt auch nicht die Kirche „San Andrea della Valle“ in Rom war, kündete doch das Innere des Petersdoms mit den (fotografisch bedingten) stürzenden Linien vom unheilvollen Verlauf der Handlung. Im zweiten Akt füllte der „originale“ Palazzo Farnese die Bühne dreidimensional und beschwor trotz aller Pracht der kunstvollen Renaissance-Kassettendecke eine beklemmende Atmosphäre. Im dritten Akt nahm der, leicht nach hinten geneigte, großformatige Engel der Engelsburg den Fall Cavaradossis vorweg.

Wie mit relativ wenig Mitteln aus der Not eine Tugend gemacht und große Wirkung erzielt werden kann, bewiesen auch die am Schluss von oben herabsinkenden Linien, die wie große Tränen oder ein Fallgitter Beklommenheit schafften, oder am Schluss ein über die Bühne flatterndes rotes Tuch für Toscas Sprung von der Engelsburg (der hier anders kaum möglich war). So kann eine Bühnengestaltung erzielt werden, die in bester Weise Musik und Handlung illustriert, und wo sich Sängerinnen und Sänger entfalten können, ohne dass dem Besucher ein Denken in mehreren Ebenen und Verdrehungen abverlangt wird und von Musik und ursprünglicher Handlung, die der Musik zugrunde liegt, ablenkt. Allerdings entfällt dann die Möglichkeit der „Selbstverwirklichung“ für die Regisseure.

Gesanglich und darstellerisch bewundernswert gestaltete Anrzej Dobber, der diese Partie schon mehrmals an der Semperoper gesungen hat, als etwas älterer, scheinbar „loyaler“, doch innerlich sich seiner Macht und Gelüste bewusster, überlegen agierender Scarpia die Rolle dieser zwiespältigen, intriganten Persönlichkeit und vermochte Scheinheiligkeit und Sarkasmus selbst mit der Stimme auszudrücken. Er war Scarpia und erfüllte die Rolle mit Leben.

Nach der Gheorghiu, die auch äußerlich in großer Robe glänzte, hatte es die russische Sopranistin Elena Guseva, die in der Spielzeit 2020/21 an der Semperoper ihr Hausdebüt gab, im schlichten, aber eleganten, schwarzen Abendkleid nicht leicht. Es gelang ihr jedoch, eine ganz andere, durchaus auch glaubhafte, und vor allem liebenswerte Floria Tosca auf die Bühne zu bringen, keine gefeierte Diva, sondern eine eher zurückhaltende junge, hübsche, sehr schlichte und aufrichtige Sängerin mit Herz und Seele und schöner, klangvoller Stimme, die in sanftem Pianissimo, aber auch mit expressiven Ausbrüchen alle Schwierigkeiten der Partie ungekünstelt meisterte und sich auch gegen mitunter stellenweise lautes Orchester durchzusetzen vermochte. Wenn sie auch bei der großen Arie nicht immer ganz konform mit dem Orchester war, gibt sie doch Anlass zu großen Hoffnungen.

Ihr Geliebter, der Maler Cavaradossi, wurde von Stefano La Colla entsprechend seinen großen italienischen Vorbildern mit kraftvoller, mitunter fast „schneidender“ Stimme (etwas zu) groß angelegt (wobei er anfangs nicht selten die Töne auch „von unten ansang“). Sein bester Auftritt war die große Abschiedsarie vor der Hinrichtung, die er mit Leidenschaft und großer Kantilene, ziemlich harter Stimme, wenig Schmelz und angestrengter Höhe sang, aber sie gelang.

Jung und unbedarft stürzte Lawson Anderson mit seiner jugendlichen Erscheinung und „sportlichem“ Agieren als Angelotti in die Szene und wirkte trotz sonorer Stimme nicht unbedingt sehr glaubhaft als der ehemalige Konsul der Republik, der im Gefängnis geschmachtet hat und völlig entkräftet in der Kirche Zuflucht sucht. Matthias Henneberg erschien da in seiner Zurückhaltung als Mesner mit einfältigem Gemüt schon eher glaubhaft. Michael Smallwood (Spoletta), Tilmann Rönnebeck (Scarrone) und Rupert Grössinger (Schließer) taten im wahrsten Sinne des Wortes nur „Dienst nach Vorschrift“.

Die Sächsische Staatskapelle spielte unter der Leitung von Domingo Hindoyan bei dieser Aufführung sehr sängerfreundlich und ließ insbesondere Elena Guseva Zeit und Raum für ihre sängerische Entfaltung.

Die Personenregie hätte auch in diesem Rahmen besser sein können. Wenn unter anderem Tosca das Messer, mit dem sie Scarpia ersticht, schon vorsätzlich nimmt, statt in „Notwehr“  zu handeln, passt das nicht zu ihrem sanften, humanen Wesen.

Man sollte es kaum glauben, aber in dieser abgerüsteten Variante fand trotzdem große Oper statt.

 Ingrid Gerk

 

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