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DRESDEN/ Semperoper: SONDERKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN AN IHREM GRÜNDUNGSTAG

23.09.2016 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper:  SONDERKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN AN IHREM GRÜNDUNGSTAG – 22.9.2016

Am 22.9. des Jahres 1548 unterzeichnete Kurfürst Moritz von Sachsen die Gründungsurkunde für eine Hofkapelle in Dresden und legte damit den Grundstein für ein Orchester von europäischem Rang, das ununterbrochen – auch in schwierigsten Zeiten – fortbestand, jetzt als Sächsische Staatskapelle Dresden auf eine lange, glanzvolle Geschichte zurückblicken kann und diesen Ruf immer wieder neu bestätigt. Seit vergangenem Jahr veranstaltet die Sächsische Staatskapelle aus diesem Anlass alljährlich ein Konzert an ihrem Gründungstag und unternimmt damit eine musikalische Reise in ihre Vergangenheit, nicht ohne Verbindung zur Gegenwart.

Als Auftakt zur Feier ihres 468. Geburtstages spielten die Musiker der Staatskapelle in kleiner Besetzung die „Orchestersuite Nr. 1 in C-Dur“ (BWV 1066) von Johann Sebastian Bach, der seinerzeit zu den Dresdner Kapellmusikern in freundschaftlichem Kontakt stand. Möglicherweise schrieb er seine „Sonaten und Suiten für Violine solo“ und die „Suiten für Violoncello solo“ für sie, mit Sicherheit aber sein wohl berühmtestes Werk, die „h-Moll-Messe“, zu deren beiden Ursprungssätzen ihn nachweislich die virtuosen Fähigkeiten dieser Musiker angeregten, für den Dresdner Hof, was ihm den lang ersehnten Titel „königlich polnischer und kurfürstlich sächsischer Compositeur bey Dero Hoff-Capelle“ einbrachte, wenn auch keine Anstellung, die er möglicherweise auch erhofft hatte. 

Die Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle haben auch ein besonderes Verhältnis zur Musik Bachs und der Barockzeit. Sie spielen nicht auf originalen, sondern auf moderneren Instrumenten, aber orientiert an historischer Aufführungspraxis, und sie haben das richtige Gespür für die Musik dieser Epoche. Es müssen nicht immer Originalinstrumente oder deren Nachbildungen sein, es kommt darauf an, wie die Musiker spielen, wie engagiert sie sind, wie sie sich geistig und emotional in die Musik vertiefen.

Das sehr zügige Tempo, das Alessandro De Marchi anschlug, der wie im vergangenen Jahr die Leitung des Konzertes übernommen hatte,  ließ Bachs opulente, lebenssprühende „Orchestersuite“ (BWV 1066) etwas flüchtig und vielleicht sogar etwas verhalten erscheinen, obwohl die Musiker sehr klar mit barocker Stufendynamik und mit allen Feinheiten der Details in dieser Schnelligkeit spielten. Es ging kein Ton verloren, auch nicht der leiseste und feinste. Eine Idee das Tempo zurückgenommen, hätte aber wahrscheinlich zu einem noch intensiveren  Klangerlebnis geführt und Bachs Musik aus der Zeit, als er noch als glücklicher weltlicher Musiker und Komponist wirkte, noch lebendiger werden lassen.

Eine Brücke zur Gegenwart wurde durch  die, 1993 im Auftrag der Johann-Sebastian-Bachgesellschaft in Bremen geschriebene „Meditation über den Bach-Choral ‘Vor deinen Thron tret‘ ich hiermit‘ “ der aktuellen Capell-Compositrice Sofia Gubaidulina (*1931) deren enge Zusammenarbeit mit der Kapelle schon 2014/2015 begann, geschlagen. Wie viele Komponisten erhielt auch sie von Bachs Schaffen viele Impulse. Beim Komponieren ihrer „Meditation“ für kammermusikalische Besetzung – Cembalo und Streichquintett -, über den Choral, der einst auch als Abschluss der unvollendeten „Kunst der Fuge“ mit in Druck ging, von Bach aber auch schon vorher mehrmals bearbeitet wurde, ließ sie sich vom formalen Aufbau des Chorals inspirieren und den daraus resultierenden Zahlenverhältnissen, die sie mit traditionellen, aber auch sehr modernen Mitteln verarbeitete. Moderne Töne und Effekte ergeben sich bei ihr „wie die Äste und Blätter eines Baumes“ aus der Tradition, „aus Wurzeln und Stamm“.

Nach De Marchis kurzen Darlegungen über die musikalische Bearbeitung der Tonfolge B‑A‑C‑H und Bachs Zahlensymbolik widmeten sich die Musiker mit Peter Kopp, dem Konzertdirigenten des Dresdner Kreuzchores, am Cembalo, mit sehr viel Einfühlungsvermögen dem meditativen Charakter des Werkes. Selbst die „modern“, z. B. durch Schlagen mit dem Bogen auf den Geigenkörper erzeugten „Töne“ waren noch „Musik“, nie schrill und ohne jede Härten, was diesem Stück einen verklärenden, sphärischen Charakter verlieh.

Peter Kopp, der hier am Cembalo saß, ist auch der Gründer und Leiter des anschließend mitwirkenden Vocal Concert Dresden, eines hervorragenden Chores, der die große Kunst eines ausgewogenen Chorklanges versteht, und ein wesentlicher Initiator einer Renaissance der Wiederaufführung der Werke von Johann Gottlieb Naumann (1741-1801). Naumann hatte bei G. Tartini und J. A. Hasse studiert und war mit Haydn und Mozart befreundet. Er war Kirchenmusiker, Hofkapellmeister und Komponist in Dresden, komponierte auch für Berlin und den schwedischen König und schuf u. a. die schwedische Nationaloper „Gustav Wasa“. Seine Kompositionen sind weniger schwierig auszuführen, als beispielsweise die Bachs, haben aber eine große emotionale Wirkung auf die Hörer.

Aus Anlass seines 275. Geburtstages wurde seine „Missa Nr. 18 d-Moll“ für Soli vierstimmigen Chor und Instrumente aufgeführt, die 1794 für eine Aufführung in der Dresdner katholischen Hofkirche entstand. In Anbetracht dieser mitreißenden Aufführung musste man sich erneut fragen, warum die so ansprechende Musik, zu Naumanns Lebzeiten hoch geschätzt und gerühmt, so lange nahezu in Vergessenheit geriet.

An diesem Abend fand das Konzert in kleinerem Rahmen vor dem Schmuckvorhang statt und hatte bei den beiden vorangegangenen Werken eher kammermusikalischen  Charakter, doch welche Klangfülle bei Naumann. Wesentlichen Anteil hatte daran der Chor, das Vocal Concert Dresden, mit seinen schönen Frauenstimmen und gut klingenden Männerstimmen in der Einstudierung von Peter Kopp.

Von den ersten Tönen an sang der Chor sehr sauber, mit sehr viel Anteilnahme und Werkverständnis, intern sehr gut abgestimmt und in kongenialer Übereinstimmung mit dem Orchester, das seinerseits – jetzt in größerer Besetzung – keine Wünsche offenließ. Der Chor trug seitens der Komposition den „Löwenanteil“, prägte in einer ausgezeichneten Balance zwischen Dramatik und beschaulichen Passagen maßgeblich die Aufführung und trug sehr zu ihrer Geschlossenheit bei.

Hinzu kam eine sehr exakte Ausführung „wie aus einem Guss“ und vor allem ein wunderbarer Gesamt-Chorklang wie „mit einem Atem“ gesungen, und doch klangdifferenziert, so dass die einzelnen Stimmen in schöner Klarheit erkennbar waren und dennoch ein besonders homogenes, ausgewogenes Klangbild entstand. Es war ein besonderer Hörgenuss, bei dem man mit Spannung auf jeden Einsatz des Chores wartete.

Für die vergleichsweise kleineren Solopartien stand ein gutes „hauseigenes“ Solistenquartett zur Verfügung. Die Sopranpartie war bei Emily Dorn mit ihrer schönen, klangvollen Stimme in sehr guten Händen. Die Mezzosopranistin Christina Bock sang sehr klar, mit guter Tiefe, aber auch etwas kühl und rational. Filippo Adami, Tenor und Evan Hughes, Bassbariton harmonierten sehr gut im Duett.

Obwohl der Chor einen besonderen Anteil an der, vom Publikum begeistert aufgenommenen, Messe hatte, gab es eine (nur) instrumentale Zugabe, das feierlich getragene „Air“ aus der „3. Orchestersuite“ von J. S. Bach.

Ingrid Gerk

 

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