Dresden / Semperoper: SOIREE „RAUSCH UND EKSTASE – DER WIENER JUGENDSTIL IN DER MUSIK“ – 31.10.2015
Johannes Wulff-Woesten, Studienleiter der Semperoper, wird auf seiner Suche nach neuen, interessanten Themen für die, von ihm arrangierten und geleiteten, Soireen mit Sängerinnen und Sängern der Semperoper immer wieder fündig. Jetzt war es der prickelnde Reiz des „Fin de siècle“ in Wien mit seiner Exotik, Verspieltheit und Dekadenz, den Ausschweifungen und dem Streben nach künstlerischer Freiheit und deren Wiederspiegelung in der Musik.
Ein „Gemälde“ von Gustav Klimt voller Sinnenlust erstrahlte im Großformat im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Vorhang, vor dem die Ausführenden auftraten, ergänzt durch drei „Gemälde“ von Klimt und Alfons Mucha auf Staffeleien – „Kopien“ aus dem Malsaal der Semperoper, die zum 1. Mal hier zu sehen waren. Sie stimmten stilvoll auf eine interessante Matinee mit Liedern, Arien und kleinen Szenen von Komponisten ein, die zusammen mit den berühmten Malern Wien zum Zentrum des Jugendstils machten. An der Schwelle zum 20. Jh. war Wien ein „Schmelztiegel“ der Künste und Künstler, die als Gegenbewegung zur Strenge des Historismus nach neuen, ganz eigenen Ausdrucksmöglichkeiten suchten und sie auch fanden. Eine junge Generation von Komponisten, wie Arnold Schönberg und Alban Berg, gruppierte sich um Gustav Mahler. Sie suchten eine freiere Form für die Musik, Sinnlichkeit und „Farbenfreude“.
Verschlungen wie die Ranken und Blüten des Jugendstils war auch das Programm mit vielfältigen Beziehungen gestaltet. Irgendwie hing alles zusammen, gab es vielfältige Verbindungen zwischen den einzelnen Liedern, sei es inhaltlich, hinsichtlich der Komponisten oder der Ausführenden.
Frisch und unbeschwert betrat Emily Dorn, die jetzt aus dem Jungen Ensemble ins Ensemble der Semperoper übernommen wurde, die Bühne und eröffnete den Reigen mit klarer, schöner, „seidener“ Stimme, die drei Liedern von Alexander von Zemlinky („Geflüster der Nacht“, „Um Mitternacht“ und „Liebe Schwalbe“) „Glanz“ und Innigkeit verlieh. Ihr Charme und ihre jugendliche Erscheinung taten ein Übriges. Sie „durchlebte“ jedes dieser Lieder mit Gefühl und einem kleinen Seufzer, der alles noch lebendiger erscheinen ließ.
Ein viertes Lied dieses Wiener Meisters („Entbietung“) sang Evan Hughes mit seiner flexiblen Opernstimme und guter Textverständlichkeit und dazu zwei „Jugendlieder“ von Aban Berg („Über den Bergen“ und „Frau, du Süße“) dramatisch, leidenschaftlich und stellenweise mit sensiblem Gefühl.
Alexander von Zemlinskys Schüler, Erich Wolfgang Korngold, dessen Komposition „Der Schneemann“, die er als Elfjähriger schrieb, vor Kaiser Leopold II. aufgeführt wurde, und der mit 13 Jahren schon Klaviersonaten schrieb, wurde von keinem Geringeren als Gustav Mahler als Genie bezeichnet. Er war in der Soiree umfangreich und vielseitig vertreten. Zwei seiner Lieder („Schneeglöckchen“ und „Sommer“) sang Carolina Ullrich mit wohlklingender, zarter Stimme und zwei („Nachtwanderer“ und „Das Ständchen“) Sebastian Wartig mit seinem klaren Bariton, guter Diktion und sehr guter Textverständlichkeit – fast wie romantische Balladen. Es waren eher traurige Lieder. Sie „kokettierten“ mit dem Tod.
Mit dem 1. Satz aus Korngolds „Klaviertrio“ (op. 1) sorgten zwei Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Anselm Telle und Simon Kalbhenn sowie Wulff-Woesten am Klavier in sehr guter Abstimmung und mit viel Klangsinn für Abwechslung und Auflockerung und betonten gleichzeitig Korngolds Vielseitigkeit.
Mit dem Lied „Die Gansleber im Hause Daschnitz“ betonte Bernhard Hansky, ein echtes Sänger- und Komödianten-Talent vom Jungen Ensemble, lustvoll und mit ausgelassener Fröhlichkeit die humorvolle Seite des Komponisten.
Korngold bildete auch den klangvollen „bekrönenden“ Abschluss der Soiree mit dem berühmten „Glück, das mir verblieb“ aus seiner Oper „Die tote Stadt“ mit Carolina Ullrich und Aaron Pegram, aber soweit sind wir noch nicht.
Mit dem Lied „Gigerlette“ aus den „Brettl-Liedern“ von Arnold Schönberg hatte es Aaron Pegram nach Bernhard Hansky nicht leicht, auch humorvoll zu wirken, und außerdem vom gleichen Komponisten die „Arie aus dem ‚Spiegel von Arcadia‘ „, ebenfalls aus „Brettl-Lieder“ mit entsprechender Wirkung zu singen.
Mit Barbara Senator steuerte er außerdem das „Schlussduett“ aus der Oper „Der ferne Klang“ von Franz Schreker bei, der in den 20er Jahren des 20. Jhs. als bedeutendster deutscher Opernkomponist nach Richard Strauss galt. Beide sangen gut und richtig, aber nebeneinander her.
Wie eine Opernarie, fast romantisch sang Barbara Senator an anderer Stelle mit schöner Stimme die Szenenfolge „Towe“ aus den „Gurreliedern“ von Arnold Schönberg, noch keine Spur von Zwölftontechnik, sondern noch in Dur-Moll-Tonalität, mit spätromantischen Anklängen und fast „brahmsisch“.
„Mittendrin“ im Programm sang Carolina Ullrich sehr gelöst und mit mondänem Gesichtsausdruck drei der „Sieben frühen Lieder“ von Alban Berg („Nacht“, „Die Nachtigall“ und „Sommertag“), die ihr besonders lagen (auch wenn man sie erst kürzlich von Soile Isokoski gehört hat).
Eine Entdeckung war Bernhard Hansky auch mit einem Lied („Spuk“) von Franz Schreker und einem humorvollen von Schönberg („Schenk mir einen goldenen Kamm“) mit sehr schöner, ausdrucksvoller Höhe und sehr guter Textverständlichkeit. So konnte Schönberg auch klingen! Hansky steht hinter dem, was er singt bzw. ist „mittendrin“, agil, vital mit beweglicher, schöner Stimme, ein Vollblut-Musiker und mitreißendes Talent.
Ausgangs- und Mittelpunkt und für manchen der Komponisten dieses illustren Kreises und auch Lehrer war Gustav Mahler. Von ihm sang Christa Mayer nur drei Lieder „Hans und Grete“, „Erinnerung“ und „Wer hat dies Liedlein erdacht“ mit ihrer schönen, warmen, runden und immer gut klingenden Stimme, aber sie bildeten den nachhaltigen Höhepunkt der Soiree. „Ganz Jugendstil“ – auch im passenden Outfit – verkörperte sie genau den Trend dieser Zeit. Mit ihrer ausdrucksvollen Stimme und ihrer unauffälligen, aber umso tieferen, intensiven Gestaltung sorgte sie für ein bleibendes Hörerlebnis. Nach Ansicht der Komponisten des Wiener Impressionismus sollte in Entsprechung zu Siegmund Freuds Psychoanalyse die Musik aus dem Unbewussten kommen. Bei Christa Mayer scheint sie aus dem Natürlichen zu kommen und sich dem Zuhörenden in ihrer ganzen Vielseitigkeit im Unbewussten mitzuteilen.
Johannes Wulff-Woesten begleitete unermüdlich am Flügel, dezent mitgestaltend. Er gab, je nach Lied oder kleiner Szene, ob ernst oder heiter, immer die richtige Einstimmung und den Sängerinnen und Sängern eine gute, fundierte Basis.
Ingrid Gerk