Dresden / Semperoper: SELTEN AUFGEFÜHRTE WERKE IM 8. KAMMERABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN „VARIATION“ – 1.7.2021
„Variation“ steht jetzt bei jedem Konzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden, das bedeutet, dass das ursprünglich vorgesehene Programm an die Bedingungen des Lockdowns angepasst wurde, in der veränderten Gestaltung aber meist auch sehr ansprechend ist. Für den 8. Kammerabend wurden die vorgesehenen Kompositionen der Barockzeit durch welche der Moderne ersetzt. Geblieben war nur das Klarinettenquintett von Johannes Brahms.
In den Kammerabenden, die auf die, von Musikern der Kapelle 1854 als Dresdner Tonkünstlerverein gegründete orchestereigene Kammermusik zurückgehen, wird immer etwas Besonderes geboten, unbekannte neben bekannten Komponisten, selten aufgeführte Werke neben bekannten und beliebten oder Werke in seltener Besetzung. Im 8. Kammerabend wurden gleich drei selten aufgeführte Kompositionen und zwei wenig bekannte Komponisten vorgestellt.
Bis zum Ende des 20. Jahrhundes waren Kompositionen, die den Kontrabass in den Vordergrund stellten, eine Rarität. Es gibt einige wenige Solokonzerte aus dieser Zeit, die jedoch sehr selten aufgeführt werden, und noch weniger Stücke für dieses Instrument solo. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist das anders, aber aufgeführt werden solche Werke dennoch sehr selten. Vielleicht liegt es am Instrument, das als weniger attraktiv gilt, obwohl es, wenn es gut gespielt wird, auch seinen Reiz hat. So hat es nur den Reiz des sehr seltenen Soloinstrumentes. Mancher erinnert sich vielleicht noch an Ludwig Streicher, den „Paganini des Kontrabasses“ oder „Tausendfinger“, der mit seinem Instrument, dem Kontrabass, ganze Soloabende bestritt, oder an Aufnahmen von ihm.
Jetzt brachte Andreas Ehelebe, Solo-Kontrabassist der Sächsischen Staatskapelle, „Lem. Zwei Stücke für Kontrabass“ solo des Italieners Franco Donatoni (1927-2000) zu Gehör, der sich an tonalen Formen orientierte und dem musikalischen Stil der Avantgarde seiner Zeitgenossen eher fern blieb, dem Kontrabassisten aber in sehr moderner Art reichlich Gelegenheit bot, sein Können zu zeigen. Neben Werken verschiedener Gattungen und Besetzungen, darunter 3 Opern, 29 Orchesterstücke, Vokalwerke und Kammermusik schrieb er 36 Solostücke für verschiedene Instrumente, darunter auch für Kontrabass, gute Musik, aber in ihrer Eigenart vielleicht nicht für jeden Geschmack.
Die beiden virtuosen Solo-Stücke verlangen vom Interpreten die Beherrschung seines Instrumentes mit allen Raffinessen, wie kurzen Läufen, Doppelgriffen, Trillern, Haltetönen, Flageoletts und Vorschlagsnoten, was Ehelebe perfekt meisterte. Neben diesen mehr äußerlichen Effekten und „Formspielereien“, die die (Klang‑)Möglichkeiten des Kontrabasses ausreizen, orientierte er aber auch auf guten, geschmeidigen und sensiblen Ton. Allein wie er vom Forte bis zum feinsten Piano und verhauchenden Pianissimo gelangte und schließlich „stumm“ mit großer Geste endete, war bewundernswert.
Giuseppe Sinopoli, Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle von 1992 bis zu seinem frühen Tod 2001, nahm Unterricht bei Bruno Maderna, Dirigent, Komponist und einer der zentralen Persönlichkeiten der italienischen Avantgarde, aber auch bei Donatoni. Später gab er das Komponieren zugunsten der Archäologie auf, als die zunehmend esoterischen Auswüchse des Serialismus für ihn zur „traurigen Clownerie“ wurden.
Eines seiner frühen Werke, den „Klangfarben“ für Streichquartett auf eine Reihe von Ricardo Malipero“, nahm sich das Fritz-Busch-Quartett mit Federico Kasik und Tibor Gyenge, Violinen, Michael Horwath, Viola und Tibor Maack, Violoncello sowie Andreas Ehelebe, Kontrabass an, rhythmisch orientiert und temperamentvoll, trotz aller Modernität aber auch melodisch, harmonisch orientiert, den ersten Satzes mit einem extremen, kaum, aber doch noch zu hörenden Pianissimo (pppp…) als besonderen Effekt beendend und vor allem dem sehr persönlichen Stil Sinopolis nachspürend.
Erst relativ spät, mit 58 Jahren, begann Brahms für die Klarinette zu schreiben. Ein reichliches Jahr, nachdem er seine Tätigkeit als Komponist für vollendet betrachtet hatte, komponierte er ein Klarinettentrio und ein “Quintett für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello h‑Moll (op. 115), inspiriert von der Kunstfertigkeit des Meininger Hofklarinettisten Richard Mühlfeld, dem er beides auch widmete.
Im Kammerabend wurde das Klarinettenquintett von Robert Oberaigner, Solo-Klarinettist der Staatskapelle, und dem Fritz-Busch-Quartett in schöner Harmonie aufgeführt. Der ausgewogene Klang der Klarinette mischte sich in schöner Weise mit dem der Streicher. Im ersten, von melancholischer Schönheit durchdrungenen, Satz, den die beiden Violinen sanft eröffneten, führte die Klarinette klangschön, mit weicher Tongebung, sehr schöner Phrasierung und einer vielgestaltigen Klangfarbigkeit. Im zweiten, expressiven Satz, bei dem sich die meditative Klarinettenmelodie über einer Klangbasis aus Duolen und Triolen der Streicher entfaltet, dominierte die Klarinette in ausgewogenem Miteinander mit dem Streichquartett. Es war erstaunlich, welch besondere Feinheiten die Musiker ihren Instrumenten entlockten, so dass im dritten und vierten Satz auch ein wenig Optimismus in diesem „Weltabschiedswerk“ durchschimmerte.
Es war ein sehr ansprechender Kammerabend, der von dem generationsmäßig „gut durchmischten“ Publikum, bei dem erfreulich viel Jugend zu sehen war, mit viel Beifall aufgenommen wurde.
Ingrid Gerk
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