Dresden/Semperoper: SCHWUNGVOLLES „SILVESTERKONZERT“ MIT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE UNTER TUGAN SOKHIEV – 30.12.2023
Tugan Sokhiev. Foto: Markenfotographie/Semperoper
Nichts wird so unterschiedlich gefeiert wie der Abschied vom alten Jahr, mit Feuerwerk und extrem lauter Knallerei, bei der die Musikfreunde um ihr Gehör fürchten müssen, oder besser im Konzert als seriöse Rückbesinnung in nachdenklicher Emotionalität, mit ausgelassener Heiterkeit, Beethovens „Neunter“ oder Operettenseligkeit.
Beim „Silvesterkonzert“ der Sächsischen Staatskapelle Dresden gab es von jedem etwas – musikalische Vielfalt von klassisch bis heiter, von Wolfgang Amadeus Mozart und Richard Strauss bis zu Ausschnitten aus den unverwüstlichen Operetten von Franz Lehár, Jaques Offenbach und Johann Strauß (Sohn) an drei Abenden (29./30./31.12.) präsentiert von einem gutgelaunten Orchester unter Tugan Sokhiev, der in Dresden bestens bekannt ist, dem Ausnahmepianisten Igor Levit und drei Gesangssolisten der jüngeren Generation.
Das ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen) zeichnet alljährlich neben dem „Adventskonzert“ auch das „Silvesterkonzert“ mit der Sächsischen Staatskapelle auf, um es am letzten Tag des Jahres zu senden, und war mit seinen Kameras und Mikrofonen allgegenwärtig.
In dem festlich be- und erleuchteten „Konzertzimmer“ auf der Bühne der Semperoper empfing die Staatskapelle in großer Besetzung die Besucher aus nah und fern, die nicht alle unbedingt zum Stammpublikum gehörten und nach jedem Satz von Mozarts „Klavierkonzert Nr. 21 C‑Dur“ (KV 467), eines der populärsten, berühmtesten und bekanntesten Klavierkonzerte des damals 29jährigen Salzburger Meisters, applaudierten. Bei der ansprechenden Wiedergabe durch das Orchester und Levits gekonntem, virtuos-effektvollem Spiel, seinem klangvollen Anschlag und fantasievollen inviduellen Kadenzen, der Hingabe, mit der er sich dem Werk widmete, konnte das allerdings auch als vorzeitiger enthusiastischer Beifall angesehen werden, der dann am Schluss aufbrandete.
Dirigent und Solist beeindruckten durch Präzision, feine Differenzierung und Transparenz und verschmolzen in schöner Gemeinsamkeit bei diesem Klavierkonzert mit einem sehr ausgeprägten Orchesterpart und boten eine individuelle Interpretation, vor allem leicht und locker, „getupft“ und betont unbekümmert, entsprechend der Vorstellung, die über Mozarts Musik noch weit verbreitet ist und seine und tiefere Bedeutung – die auch bei seinen Werken aus jüngeren Jahren spürbar ist – unterschätzt. Mozart kommt aber immer an.
Doch zurück zum Anfang. Eröffnet wurde das Konzert mit seiner, mit viel Schwung und Temperament und etwas weniger innerer Spannung gespielten, „Ouvertüre“ zu „Le nozze di Figaro“ (KV 492), der die Arie „Deh, vieni, non tardar“ aus der gleichen Oper folgte, von der charmanten südafrikanischen Sopranistin Golda Schultz mit geschmeidiger Stimme und warmem Timbre, feiner Nuancierung, Farbenreichtum und eigenen Verzierungen gesungen und innig gestaltet. Sie gab damit ihr Dresden-Debüt und sollte noch den ganzen Abend mit großartigen gesanglichen Leistungen und stilistischer Vielseitigkeit für heitere Stimmung und ausgelassene Entspannung sorgen.
Nach so viel Spiel- und Gesangslaune prickelte es bei der darauffolgenden, von dem ukrainischen Bariton Iurii Samoilov gesungenen „Champagner-Arie“ aus „Don Giovanni“ (KV 527) weniger. Er ging bei seiner Gestaltung in rasantem Tempo und mit vielen Effekten „in die Vollen“, aber nüchterner“. Gemeinsam „spielten“ beide dann mit dem Duett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ aus „Die Zauberflöte“ (KV 620) das ungleiche, in diesem Fall dennoch harmonische Paar Pamina und Papageno.
Auf Mozart, den „Liebling der Götter“ folgte einer der Hausgötter der Dresdner Oper, Richard Strauss, mit „Nummern“, die Schlag auf Schlag folgten, von der launig und „schnittig“ gespielten „Ersten Walzerfolge“ aus „Der Rosenkavalier“ und dem mit äußerst eindrucksvoller instrumentaler Begleitung gespielten, von Samoilov jedoch weniger sensibel gesungenen Lied „Traum durch die Dämmerung“ bis zur „Schlagobers“-Suite mit „Tanz der kleinen Pralines – Springtanz – Galopp“, beginnend mit einem ausgiebigen Hornsolo „a capella“ und danach ziemlich „erdenschwer“, auch mit harten „Klängen“ interpretiert, wobei es nicht leicht fiel, sich ein leichtfüßiges Ballett mit „Süßigkeiten aller Art aus dem Reiche der Prinzessin Praliné und aus dem Likörschrank“, Prinzessin Teeblüte“ und „Prinz Kaffee“ vorzustellen. Hier wurde mehr die Üppigkeit des Schlemmens und seiner Folgen musikalisch in den Vordergrund gestellt, was beim Publikum auf Gegenliebe stieß und bestens ankam.
Was wäre ein Silvester ohne „Die Fledermaus“ vom anderen Strauß, dem Johann Strauß (Sohn), dessen „Klänge der Heimat“ Golda Schultz mit sehr geschmeidigen Läufen, lockeren Trillern und sehr klaren Tonfolgen, in ihrer charmant-koketten Art und auch ein bisschen verschmitztem Witz über die Bühne brachte und dafür mit Bravo belohnt wurde.
Der vorübergehenden „Strohwitwe“ folgte die „Lustige Witwe“ von Franz Lehár mit „Entreacte“, „Oh Vaterland / Jetzt geh ich ins Maxim“, von Samoilov gesungen und „Lippen schweigen“ wieder von beiden, von ihr mit viel temperamentvollem Charme und einschmeichelnder Agilität, von ihm weniger leidenschaftlich und zurückhaltend. Lehárs „Frühlingsstimmen“ (op. 410) erfreuten das Publikum nach Jaques Offenbachs „Barcarolle“ aus „Les Contes d’Hoffmann“, bei der sich die in Berlin geborene, tschechische Mezzosopranistin Štěpánka Pučálková, die seit 2018/19 zum Ensemble der Semperoper gehört, zu Golda Schultz hinzugesellte. Ihre beiden Stimmen verschmolzen und schwangen sich zu innig-sinnlichem Schwelgen auf.
Das facettenreiche, niveauvoll gemischte Programm, bei dem sich die Stimmung von Nummer zu Nummer steigerte, gipfelte in dem von einer ausgelassenen Staatskapelle launig und mit Verve gespielten „Cancan“ aus „Orphée aux Enfers“. Eine solche rauschhafte Ausgelassenheit und Stimmung ist bei der Orientierung auf hohe Qualität nicht immer zu erreichen, aber an diesem Abend gelang sie. Neben dem Heiter-Ernsthaften, gab es auch Rauschhaftes, Ausgelassenes, das bei einem Silvesterprogramm nicht fehlen sollte und die Besucher in bester Laune entließ.
Ingrid Gerk