Dresden / Semperoper: SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN FEIERT MIT IHREM 12. SYMPHONIEKONZERT DEN 90. GEBURTSTAG VON HERBERT BLOMSTEDT – 2.7. 2017
Dass ein Dirigent seinen 90. Geburtstag feiert, kommt schon selten vor, dass er aber dabei noch dreimal hintereinander (1., 2. u. 3.7.) in körperlicher und geistiger Frische ein Symphoniekonzert mit anspruchsvollem Programm dirigiert und anschließend noch weiter auf Tournee geht, noch viel seltener. Das Konzertprogramm mit dem „Klavierkonzert Nr. 1 C‑Dur“ (op. 15) von Ludwig van Beethoven und der „Symphonie Nr. 4 Es‑Dur“, der „Romantischen“ hatte Herbert Blomstedt für das 12. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden selbst zusammengestellt.
Mehr als 48 Jahre währt das enge freundschaftliche Verhältnis zwischen Blomstedt und der Sächsischen Staatskapelle. Seit er 1975 – nach einem „Einstand“ im April 1969 als Gastdirigent – die Stelle des Chefdirigenten übernahm und 10 Jahre lang begleitete (1975 – 1985) und das Orchester prägte, ein Jahrzehnt, das nicht nur künstlerisch unvergessen ist, sondern auch unter schwierigen politischen Bedingungen aus menschlicher und künstlerischer Sicht ein besonderes Kapitel in der langen Kapellgeschichte darstellt, fühlt er sich dem Orchester sehr verbunden und kehrt jedes Jahr wieder einmal nach Dresden zurück, um ein Symphoniekonzert zu leiten.
Die Kapelle liebt und schätzt ihn als „unglaublich netten Dirigenten“, schon von Anfang an, als es auch noch Pult-Despoten gab. Bei ihm stand und steht immer die Menschlichkeit im Vordergrund, auch wenn er sehr akribisch bis zur letzten Probenminute arbeitet. Es geht ihm nur um Musik, immer geprägt von großem Werkverständnis, wobei sich Orchester und Dirigent gegenseitig inspirieren. Er ist einer der uneitelsten Dirigenten, kein „Diktator-Dirigent“, sondern einer, der sich auch immer für den „Menschen im Musiker“ interessiert und für ihn eingesetzt hat. Im Mai 2016 ernannte ihn die Sächsische Staatskapelle (nach Colin Davis) zu ihrem zweiten (und vorläufig letzten) Ehrendirigenten.
In diesem Jahr stand nun das 12. Symphoniekonzert ganz im Zeichen seines 90. Geburtstages, den er am 11. Juli feiert. Wie man sich überzeugen konnte, ist er auch mit 90 noch fit und vital und hat noch sehr viel vor.
Für Beethovens 1. Klavierkonzert hatte András Schiff seinen Flügel mitgebracht, das Instrument macht den Klang, und jedes Instrument hat seine eigene „Sprache“, auf die sich der Interpret erst einmal verstehen muss. Der Flügel „macht’s“, aber nicht nur – „es ist der Klang, der die Musik formt“. Schiffs kraftvoller und vor allem wunderbar klingender Anschlag wirkte nie hart. Nicht nur jeder Triller, jeder der Läufe, jede Phase war ein besonderer Hörgenuss, er verstand die Balance zwischen äußerlich brillantem und verinnerlichtem Spiel. Ganz dem klassischen Duktus verhaftet, spielte er Beethovens frühes Klavierkonzert, das sich einerseits noch an den frühen Vorbildern der Wiener Klassik orientiert, andererseits aber schon Beethovens spätere Handschrift erkennen lässt, mit klassischer Klarheit und persönlicher Deutung, sehr dem Duktus der Klassik verhaftet, aber auch mit einer etwas freieren Gestaltung, einer persönlichen „Lesart“ und sehr dezenten „Zutaten“ wie z. B. kleinen, feinen Ritardandi.
Das Orchester spielte unter Blomstedts Leitung ganz im klassischen Sinn. Solist und Orchester waren in dem berühmten Einklang und verzauberten mit Schiffs wunderbar klingendem Anschlag und dem besonderen, vor allem schönen Klang der Kapelle die gebannt Zuhörenden.
Im 3. Satz, dem „Rondo“, entwickelten sie ein vehementes Tempo. Blomstedt ließ sehr agil und in gewohnter temperamentvoller Frische das Orchester in ausgelassener Freude musizieren, auch laut, aber ohne dem Ohr weh zu tun.
Bei einer Zugabe, dem 1. Satz aus dem „Italienischen Konzert“ von J. S. Bach, frönte Schiff seinem Komponistenideal. Bei ihm beginnt jeder Tag mit einer Stunde Bach. Das ist ein Ritual, ein „Seelenbad“ für ihn und der Kernpunkt seiner musikalischen Aktivitäten. Seine Interpretation dieses dreisätzigen Solokonzertes ohne Orchester im italienischen Barockstil, für zweimanualiges Cembalo komponiert, hatte auch auf dem Konzertflügel und in Schiffs mehr klassischer, sehr interessanter Interpretation seinen besonderen Reiz. Er arbeitete die polyphonen Linien klar heraus, ließ sie ausschwingen und die verschiedenen Klangfarben adäquat auf seinem Flügel entstehen. Es war eine mehr klassische Lesart, aber eine sehr ansprechende, die den modernen Hörgewohnheiten sehr entgegenkam und neben der „historisch orientierten Aufführungspraxis“ durchaus ihre Berechtigung hat.
Für Blomstedt war Bruckners Musik schon „seine Jugendliebe“, seit er sie zum ersten Mal hörte. Sie hat ihn sein ganzes Leben lang begleitet. Jetzt leitete er Bruckners 4. Symphonie in seiner scheinbar unversiegbaren Frische und mit viel „jugendlichem“ Temperament. Er wählte ein zügiges Tempo. Frisch, agil und fit wie gewohnt, dirigierte er mit wenigen, aussagekräftigen Gesten und gestaltete als „Spiritus rector“ Bruckners Symphonie sehr dynamisch in der Phrasierung und stark kontrastierend zwischen sehr expressiven Teilen mit mitunter vehementer Lautstärke und sehr fein musizierten, lyrisch inspirierten Passagen mit dem besonderen Klang der Kapelle, die die Natur und Bruckners pantheistische Gefühle beim Anblick der Natur nachempfinden ließen, alles wohlüberlegt und in logischer, folgerichtiger Lesart der Musik, keine effekthaschende „Willkür“ oder nur Rationalität, immer ausgehend von der Musik, von den Intentionen des Komponisten.
Blomstedt saß während seines Dirigats auf einem kleinen, bescheidenen Stuhl, aber was tut’s, Kopf und Hände waren außergewöhnlich vital. Mit wachen Sinnen gab er Impulse, formte die Musik mit seinen Händen. Dass er im Sitzen dirigierte, unterstrich seine familiäre, väterliche Art, von der die Kapelle schwärmt. Das Publikum hielt es jedenfalls am Ende nicht mehr auf den Sesseln. Es erhob sich wie auf ein stilles Kommando und applaudierte Blomstedt mit herzlich gemeinten Standing Ovations, um ihm auch damit gleichzeitig zu seinem Geburtstag, den er in ungewöhnlicher Frische, Vitalität und Aktivität begehen kann, zu gratulieren.
Mit den Musikfreunden drinnen, die im glücklichen Besitz einer Karte für das Konzert waren, „feierten“ viele, viele Dresdner und Gäste draußen auf dem Theaterplatz open Air vor der Oper im Anblick einer Großleinwand mit Vor- und Pausenprogramm und Moderator Axel Brüggemann, der sich auch gern von seiner humorvollen Seite zeigt.
Ehrengäste auf einer kleinen Bühne im Freien waren drei Peter: Peter Schreier, Peter Damm, Solohornist und Peter Gülke, Dirigent in der „Blomstedt-Ära“. Sie erzählten Anekdoten und von Begegnungen mit Blomstedt, der nicht nur ein Künstler mit hohen Ansprüchen ist, ein akribischer Probierer, der die Zeit bis zur letzten Proben-Minute ausfüllt, da er meint „was heute gut ist, kann morgen noch besser werden“, sondern auch ein liebenswerter Mensch, mit dem sie auch auf Konzertreisen waren, die die Sächsische Staatskapelle „Einmal rund um die Welt“ führte.
Als besonderes Geschenk wurde eine Büste mit Blomstedts Konterfei enthüllt, die im Rundfoyer der Semperoper neben vielen anderen Großen der Dresdner Oper wie Georg Böhm und Colin Davis aufgestellt wird. Was konnte danach besser als Abschluss der Ehrungen für den „Alten Schweden“ passen als der gemeinsame Gesang der Dresdner mit dem Refrain der ehemaligen schwedischen Popgruppe ABBA: „Thank You for the Music“.
Ingrid Gerk