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DRESDEN/ Semperoper: RUSALKA – entromantisiert. Premiere

08.05.2022 | Oper international

Dresden / Semperoper: Premiere: ENTROMANTISIERTE “RUSALKA“ – 7.5.2022

Gegenwärtig wirbt ein Plakat mit einer gestochen scharfen Mondaufnahme, die sogar den Erdschatten zeigt und dennoch oder gerade deshalb romantische Illusionen weckt, in Dresdens Innenstadt für die Premiere von Antonín Dvořáks, 1901 im Nationaltheater Prag uraufgeführte lyrische Märchenoper „Rusalka“ an der Semperoper. Spontan denken da viele Opern- und Musikfreunde wehmütig an die Tonaufnahmen mit dem „Lied an den Mond“ der früh verstorbenen, unvergessenen Elfriede Trötschel und so manche romantische Inszenierung an den verschiedenen Opernhäusern.

Nachdem Stefan Herheim mit seiner zwar sehr einfalls- und abwechslungsreichen Neuinszenierung (Premiere: 2010) an der Semperoper den Sagenstoff von einem geheimnisvollen Wasserwesen in menschlicher Gesellschaft, das auf slawische Volksmythen, die deutsche Erzählung „Undine“ von Friedrich de la Motte-Fouqué , das Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ von Hans Christian Andersen und die altfranzösische „Melusinen“-Sage zurückgeht, schon ad absurdum führte, wird nun das Dresdner Publikum, das in seiner territorialen Nähe zu Tschechien und damit der Natur und auch Kultur dieses Landes, einschließlich seiner romantischen Sagenwelt, eine Beziehung hat, in der Inszenierung von Christoph Loy, der damit sein Debüt an der Semperoper gibt, erneut brüskiert, wenn auch weniger.

Abgesehen davon, fragt man sich, warum immer wieder die gleichen Opern in Dresden in neuer Inszenierung auf die Bühne gebracht werden, wo es doch so viele interessante Opern gibt, die in Dresden noch nie oder seit sehr, sehr langer Zeit nicht zu sehen waren.

Von Wald und Wasser „befreit“, verlegt Loy in seiner Inszenierung, die in Koproduktion mit dem Teatro Real Madrid, dem Teatro Comunale di Bologna, dem Gran Teatre del Liceu, Barcelona und dem Palau de les Arts Reina Sofía, Valencia entstand, das tragische Geschehen der großen romantischen Liebe einer Nixe zu einem Prinzen „aufs Trockene“ und mit Blick auf das erotische Moment in ein Theatermilieu, das schon zahlreichen anderen Komponisten als Sujet diente. Er fokussiert die Erzählung bis zum fatalistischen Ende auf die Empfindungswelt, das Leben und die Liebe einer offenbar autistischen jungen Frau, oder ist sie nur außergewöhnlich prüde? Wie wäre sonst ihr seltsames Verhalten zu erklären? Bei einer Nixe, die im Original ihre Stimme der Zauberhexe überlassen muss, um Mensch zu werden, war das klar.

Im Vestibül / Foyer eines typischen, durchaus ansprechenden, aber offenbar verlassenen historischen Theaters / Opernhauses, hat sich ein Ehepaar (Wassermann und die Hexe Ježibaba) häuslich niedergelassen mit Tisch und Bett, in dem ihre fußkranke Tochter Rusalka liegt, die sie verächtlich ansehen und schließlich verlassen. Im Hintergrund lauern zwei dunkle Gestalten wie eine Art Slapstick-Figuren (Wassermann und Wildhüter?) und beobachten das Geschehen. Zurückgelassene Teile von Kulissen wie ein Berg rundgewaschener Gesteinskloben oder eine Geröllmure im Gebirge eines ausgetrockneten Flussbettes liegen noch herum und werden in die Handlung einbezogen.

Die Nixen haben ihren Fischschwanz gegen Ballettschuhe eingetauscht, schwimmen nicht, aber singen (Ofeliya Pogosyan, Stepanka Pucalkova, Constance Heller) sehr schön, tanzen (Tänzerinnen) in hübschen Kleidchen zart und anmutig durch den Raum (Choreografie: Klevis Eimaza) und tummeln sich beim Wassermann, der schon Mensch geworden zu sein scheint in seinem dunklen Anzug. Rusalka, die nur mit Gehhilfen laufen kann, möchte es ihnen gleichtun und der „Familienidylle“ entfliehen. Von der Zauberhexe Ježibaba, die hier als blonde, elegant gekleidete Dame in reiferen Jahren aus dem stilgerechten Kassenhäuschen, in dem sich später die vorbeihuschenden Nixen flüchtig spiegeln, erscheint, handelt sie gegen ihre Perlenkette gesunde Füße und Ballettschuhe ein, auf deren Spitzen sie sich später stellt, um dem Prinzen auf Augenhöhe zu begegnen.

Im zweiten Akt steht eine Tür offen und gibt anstelle eines Schlosses den Blick in einen einst prachtvollen Zuschauerraum mit Kronleuchter frei, und die musikalisch zündende Polonaise wird zur sexistischen, Rock*n Roll ähnlichen Tanzszene. Im dritten Akt ist es dann kalt – und gefühlskalt. Statt Blick in den Zuschauerraum liegt jetzt eine weitere Geröllmure in dieser Tür. Die Nixen tragen Mütze, Schal oder Pullover. Man friert bei diesem Anblick mit, auch wenn der Prinz reumütig zurückkommt und lieber Rusalkas Todeskuss entgegennimmt, als weiter voller Sehnsucht zu leiden – ein trauriges Happy-end.

Die eigentliche „Rusalka“-Oper fand im Orchestergraben statt und übertrug sich auch auf das Publikum. Das Bühnenbild (Johannes Leiacker) ist gut anzusehen, nimmt aber der Oper den märchenhaften Zauber und das Besondere des Sujets, die prickelnde Spannung aus dem Aufeinandertreffen von Natur(‑geistern), Traumwelt und realer Menschenwelt mit ihren Gegensätzen und Parallelen, die in der ursprünglichen Handlung (Libretto: Jaroslav Kvapil) der Oper die prickelnde Spannung verliehen und auch aus dem (englisch und deutsch) eingeblendeten Text – es wird in gutem Tschechisch gesungen – zu erfahren sind. Hier ist das alles schwer erkennbar, erst recht für Jugendliche und „Neueinsteiger“.

Mit Ausnahme von Olesya Golovneva, die als empfindsame Rusalka mit dramatischer Leidenschaft sang, und Elena Guseva, die der fremden Fürstin, ihrer zwar menschlichen und liebesfähigen, aber gefühlskalten und berechnenden Rivalin mit schriller Stimme Ausdruck verlieh und als Einzige in großer schwarzer Robe erscheint, waren alle anderen Besetzungen Rollendebüts. Mit der, offenbar auch tänzerisch ausgebildeten, Olesya Golovneva und Pavel Černoch, der an diesem Abend sein Hausdebüt gab, standen für diese Lesart zwei versierte Protagonisten als Rusalka und Prinz bzw. Theaterleute in ungleicher Liebesbeziehung zur Verfügung, die beide ihre Rolle sängerisch und darstellerisch überzeugend gestalteten.

Den spezifischen warmen, runden Klang der Musik Dvoraks und die böhmische Mentalität genau treffend, verkörperte Alexandros Stavrakakis mit profunder Stimme und wohlklingender Tiefe den Wassermann. Er füllte nicht nur stimmlich und darstellerisch die Rolle aus, sondern legte mit seinem, aus dem Hintergrund gesungenen Fazit: „alle Opfer sind vergeblich“ auch unterschwellig die große Klammer um die Handlung.

Gut bei Stimme war auch Sebastian Wartig als Wildhüter in der ersten Szene mit dem Küchenjungen, dem Nicole Chitka vom Jungen Ensemble schöne Stimme und Gestalt lieh, während er in der späteren Gruselszene vor der Behausung der Ježibaba wesentlich zurückhaltender wirkte.

Während – wie üblich – fast alle Darsteller Alltagskleidung trugen, wirkte Simeon Esper als Jäger in seinem, eher an die Commedia dell‘Arte erinnernden, Kostüm (Ursula Renzenbrink) bei seinem Auftritt wie ein separater „Fremdkörper“ oder eine Figur im „Theater auf dem Theater“.

Äußerlich ins Gegenteil verkehrt, erschien in dieser Inszenierung auch die Ježibaba als blonde, elegante Dame, aber die großartige Christa Mayer verlieh ihr mit ihrer gut klingenden, ausdrucksfähigen Stimme, die keine Schwierigkeiten kennt, Profil und Ausstrahlung, vor allem in ihren eindringlichen Warnungen an Rusalka. Sie schaffte auch den Spagat zwischen ursprünglicher Magie und der inszenierungsbedingten Umdeutung der Rolle.

 Am Pult der, perfekt die große Vielfalt an Facetten, Klangfarben und Schattierungen in Dvořáks Musik auslotenden und mit guten solistischen Passagen von Harfe und anderen Instrumenten aufwartenden, Sächsischen Staatskapelle war erstmals Joana Mallwitz zu erleben, die mit weitausladenden Gesten zwischen Orchestergraben und Bühne Leidenschaft und dramatische Zuspitzungen in Lautstärke umsetzte.

Der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: Jonathan Becker) durfte sich erst beim Schlussapplaus auf der Bühne zeigen, nachdem er mit seinem guten, ausgewogenen Gesang die Handlung im Hintergrund stimmig untermalt hatte.

Durch Dvořáks Musik verliert diese Oper ihre Anziehungskraft nicht. Weitere Vorstellungen am 10., 14. und 20. Mai 2022 sowie im Juni, November und Dezember 2022.

Ingrid Gerk

 

 

 

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