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DRESDEN/ Semperoper: ROSSINIS „ALTERSSÜNDEN“ FÜR GOURMETS MIT JUNGEN SÄNGERINNEN UND SÄNGERN

07.09.2020 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: ROSSINIS „ALTERSSÜNDEN“ FÜR GOURMETS MIT JUNGEN SÄNGERINNEN UND SÄNGERN – 6.9.2020

Wie andere Opernhäuser hat nun auch die Semperoper – trotz Corona-Pandemie – ihre Pforten wieder geöffnet – mit den nötigen Sicherheitsmaßnahmen, entsprechenden Abständen, 90 Minuten Aufführungsdauer ohne Pause und „SEMPER ESSENZ“ als Programm. Eröffnet wurde die neue Spielzeit der Oper, die gleichzeitig die Wiederöffnung nach monatelanger Abstinenz bedeutete, mit einer Opern-„ESSENZ“ aus Gioachino Rossinis „Il barbiere di Siviglia/Der Barbier von Sevilla “(4.9.). Zwei Tage später folgte eine Konzert-„ESSENZ“ mit einer Auswahl von Liedern, Duetten und Ensembles aus Rossinis „Alterssünden“, dargeboten von jungen Sängerinnen und Sängern aus aller Welt, gegenwärtigen und ehemaligen des Ensembles der Semperoper und des Jungen Ensembles.

Rossini hatte bekanntlich zwei Leidenschaften, die Tonkunst und die Kochkunst. Nach seiner letzten Oper, dem „Guillaume Tell“ wollte er sich nur noch letzterer widmen, konnte es aber doch nicht lassen, gelegentlich kleinere, launige Werkchen zu komponieren, und was dabei herauskam, kann sich sehen und noch mehr hören lassen – leider viel zu selten. Betörende italienische Canzonen, folkloristische und geistreiche französische Lieder, witzige Instrumentalstücke, „Programmmusik in Pillendöschen“, aber auch traurige, schmerzliche, besinnlichen Lieder, etwa 160 Kompositionen an der Zahl, die er in 13 Bänden eigenhändig sammelte und als „Péchés de vieillesse“ (“Alterssünden“) bezeichnete, darunter neben vielen anderen Kreationen auch die „Petite Messe solenelle“, die mit 90 Minuten Dauer und in ihrer Bedeutung jedoch keineswegs „klein“ ist.

Umrahmt von zwei Ensembleszenen, dem eingangs unter der Leitung von Thomas Leo Cadenbach, dem Leiter des Junges Ensembles, a capella gesungenen „Toast pour le nouvel an“, bei dem die unterschiedlichen Timbres der vier Damen und fünf Herren im Vergleich zu manch anderem, auf diese Weise zusammengestelltem, Ensemble relativ gut harmonierten, und dem abschließenden „I gondolieri“ in sehr guter Abstimmung und Harmonie, gab es immer wieder Überraschungen, neben „guter und sehr guter „Hausmannskost“ auch feinste „Zubereitung“ für echte Gourmets. Es war sehr erfreulich, zu erleben, mit welcher Intensität und Fähigkeit sich die jungen Künstler dem Belcanto-Gesang, einer beinahe untergegangenen Spezies widmeten und die Besonderheiten dieses nicht leichten Gesangsstils erfasst und praktiziert haben, allen voran die junge, aus St. Petersburg stammende Julia Muzychenko, Gewinnerin zahlreicher Erster Preise bei internationalen Wettbewerben.

Mit glockenreiner Sopranstimme und leichten, lockeren Koloraturen, eben echtem Belcanto-Gesang, wie er immer seltener wird, brillierte sie an diesem Abend mit Rossinis kleinen Meisterwerken. Schon im Eröffnungs-Ensemble gab sie nicht vordergründing, aber im richtigen Maß den guten Ton an, veredelte etwas später in dem Lied „La fioraia fiorentina“ mit bewundernswerter Leichtigkeit und hübschen Verzierungen als armes Blumenmädchen die angebotenen Blumen, wofür ihr bestimmt niemand „einen Korb“ hätte geben können, verwandelte sich zusammen mit der russischen Mezzosopranistin Anna Kudriashova-Stepanets, die ebenfalls mit guter Diktion, jedoch zurückhaltender und für den Opernraum fast etwas zu leise, später „La regata veneziana“ sang, in „Le gittane“ in zwei lebenslustige Zigeunerinnen und zuletzt als Zugabe gemeinsam bzw. in Konkurrenz mit ihr im „Katzen-Duett“, einer köstlichen Parodie, in zwei selbstverliebte Kätzchen alias Diven, keineswegs „Katzenmusik“, sondern schönster Belcanto-Gesang bis zum naturalistischen Fauchen und köstlichem Gestenspiel.

Die junge zierliche Japanerin Mariya Taniguchi, seit vergangener Saison Mitglied des Jungen Ensembles, überraschte ebenfalls mit sehr sauberen, klangschönen Koloraturen und echtem Belcanto-Gesang in der traurigen “Elegie“, und die israelisch-amerikanische Mezzosopranistin Michal Doron, ebenfalls Preisträgerin mehrerer Wettbewerbe, seit zwei Spielzeiten im Jungen Ensemble und seit 2019/20 im Ensemble der Semperoper, brachte ihren warmen Mezzosopran in ein Duett aus „Die Italienerin in Algier“ mit dem türkischen Bariton Doğukan Kuran ein – als Erinnerung an den normalen Spielbetrieb der Oper.

Das abwechslungsreich gestaltete Programm, durch das Kai Weßler mit Sachkenntnis und sehr sachlicher Stimme, inclusive einem Gespräch in deutsch/englisch mit Julia Muzychenko und Mert Singü, führte, sah vor, dass ungefähr gleichverteilt, jeder Mitwirkende solistisch und in einem Duett bzw. Terzett sein Können präsentieren konnte. Kuran sang das traurige „L’ultimo ricordo“ und trat zusammen mit den beiden Bassisten Alexandros Stavrakakis aus Griechenland und dem stimmgewaltigen Polen Mateusz Hoedt, der dem Terzett der drei Titanen „Le chant des Titans“ im Kampf gegen Jupiter titanisches Gewicht verlieh und zuvor das wehmütige „Il fanciullo smarito“ gesungen hatte, auf. Der südkoreanische Tenor Beomjin Kim steuerte das poetische „La Iontananza“ bei, und der türkische Tenor Mert Singü überraschte mit sehr klarer Diktion in „Roméo“, Romeos Klage über Julias vermeintlichen Tod.

Am Klavier begleiteten Thomas Leo Cadenbach und David Preil, der auch das Harmonium spielte, das nicht nur in der „Petite messe solennelle“ eine Rolle spielt, aus der Mariya Tanaguchi und Michal Doron das innige „Qui tollis“ sangen, sondern neben dem Klavier auch die drei Titanen begleitete.

Es war ein kurzweiliger, interessanter Abend mit sängerischen Überraschungen und großen Hoffnungen für die Zukunft, aber auch zum Kennenlernen einer kleinen Auswahl der Rossinischen „Alterssünden“, über die viel gesprochen wird, aber die man nur selten live erleben kann.

Ingrid Gerk

 

 

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