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DRESDEN/ Semperoper: NORMA von Vincenzo Bellini. Neuinszenierung

06.10.2021 | Oper international

Dresden / Semperoper: NEUINSZENIERUNG DER „NORMA“ VON VINCENZO BELLINI  – 5.10.2021

Oper-Kritik: Semperoper Dresden – Norma | concerti.de
Yolanda Auyanet. Foto: Semperoper Dresden/ Ludwig Olah

 „Norma“ von Vincenzo Bellini, eine jener Belcanto-Opern, bei der eine dramatisch sich zuspitzende Handlung vorwiegend dazu dient, große Gefühle, starke Emotionen, große Spannungsbögen zu entwickeln, auf denen sich „Schöngesang“ mit allen gesangstechnischen Raffinessen entwickeln kann, ohne banal zu wirken, erlebte jetzt seit Bestehen der Semperoper ihre erste Premiere in szenischer Umsetzung. Bisher gab es nur eine dreimalige konzertante Aufführung mit erstklassigen Weltstars – lang, lang ist’s her. Die Premiere fand jetzt am 2.10.2021 statt und wurde mit Spannung erwartet. Hier handelt es sich um die erste Vorstellung nach der Premiere (5.10.).

Bei seiner Inszenierung setzt Peter Konwitschny auf drastisches Hell-Dunkel im wahrsten Sinne des Wortes, Kronleuchter an – Kronleuchter aus – „Historie“ und moderne Gegenwart als Parallele, aber nicht immer ganz stimmig.

Zunächst werden die Besucher im gut besetzten, nur halbhellen Zuschauerraum überrascht, indem der große Kronleuchter aufflammt und in hellem Licht die Ouvertüre begleitet, von der Sächsischen Staatskapelle Dresden in mittelstarker Orchesterbesetzung unter der Leitung von Gaetano d’Espinosa, der bei der Kapelle schon als Konzertmeister tätig war, lautstark, kontrastreich, fröhlich beschwingt, eher wie Rossini, auch etwas nervös und aufgeregt und weniger mit der gewohnten Intensität gespielt. Man hatte zunächst nicht den Eindruck, dass sich hier eine ernsthafte Handlung entspinnen könnte, und doch setzte sie spätestens mit den Sängerinnen und Sängern ein, wobei sich dann das Orchester in schöner Weise mit dem Gesang verband und so manche Arie, so manches gefühlvoll endende Duett wunderbar nach- und ausklingen ließ.

Für den ersten Akt wird es wieder dunkel im Saal und der Vorhang öffnet sich langsam zur Musik. Rote, gemalte Eichen-Baumstämme vor „blauem Dunst“, pardon Hintergrund, füllen das Bild, an dessen oberem Rand ein grünlicher Spitzenvorhang das Laubwerk der Bäume vortäuschen soll. Blond-bezopfte gallische Mannen und Weiblein in gleichen dunklen Kutten kommen von beiden Seiten und kämpfen mit langen roten Stöcken als Waffen wie in einem Comic mit- und gegeneinander, bis sie sich erkennen und ein gemeinsames großes Heer gegen die Römer bzw. dessen einzelnen Vertreter, den römischen Prokonsul in Gallien, Pollione im weißen Flattergewand mit Stahlschwert bilden, dessen Religion und Kultur sie nicht annehmen wollen.

Dann kommt die „keusche“ Oberpriesterin Norma von oben im Ballonkorb herabgeschwebt, verteilt Mistelzweige als Friedensbotschaft und schminkt sich anschließend, halb in einer „Falltür“ mitten im Wald „klemmend“, ab- oder an und bedient sich moderner Kosmetik als Übergang zu ihrer Privatsphäre, für die der Vorhang halb hochgezogen wird und den Blick in eine ungemütliche, bescheiden möblierte, unterirdische (?) Wohnung freigibt; zu der diese Falltür führt. Dort wickeln dann Norma und ihre Vertraute namens Clothilde (Roxana Incontrera), Normas Puppenkinder oder Kinderpuppen. Wenig später erscheint Normas Widersacherin, Konkurrentin, Feindin und auch Freundin Adalgisa, und es wird klar, dass beide Frauen den gleichen Mann, den römischen Prokonsul Pollione lieben, der schließlich auch noch erscheint, was zu wunderbaren, hoch dramatischen Duetten und Terzetten Anlass gibt.

Im zweiten Akt avanciert Norma plötzlich zur Chefin eines sehr modernen, sehr teuren, sterilen Großraum-Luxus-Büros der obersten Chefetage, in der sie in (für sie unvorteilhaftem) Hosenanzug (weshalb Polliones Abkehr verständlich erscheint) und alle Gallier und Gallierinnen korrekt und einheitlich im grauen Anzug bzw. Businesskostüm agieren (Bühnenbild und Kostüme: Johannes Leiacker). Nur der alte (blonde) Zopf ist aus der Gallierzeit geblieben und eine bäuerliche Sichel, mit der Norma ihre Kinder umbringen will und der nonchalante, überhebliche, sich Playboy-haft gebende Pollione mit Selbstmord droht, sowie der von Norma angekündigte Scheiterhaufen (hier vielleicht abgeleitet von ihrem „Scheitern“, da sie ihre Macht für ganz persönliche Belange missbraucht).

Wie passt das alles zusammen? Selbst für eine emanzipierte Frau sind doch heutzutage uneheliche Kinder, ganz gleich von welchem Mann, kein Thema mehr, das war früher einmal. Wozu dann der ganze Aufruhr: Die Musik drückt große Gefühle aus, die in einer Zeit voller religiöser, kultischer und gesellschaftlicher Zwänge entstanden und zu Bellinis Zeiten eine große Rolle spielten, jetzt aber kaum mehr in die Gegenwart passen.

Die Handlung teilt sich bei dieser Oper voll und ganz, unmittelbar und unbewusst durch die Musik mit und bedarf keiner zusätzlichen Deutung, denn die Spannung liegt voll in der Musik. Die Handlung bietet bestenfalls einen historisierenden Rahmen, und wenn sie aus ihrer Verankerung gerissen wird, verliert alles an Brisanz, denn alles ist so untrennbar ineinander verwoben, dass jede Veränderung dieses emotionsgeladene Geflecht „zum Einsturz“ bringen kann.

 Man erfreut sich an der großartig erfundenen Musik Bellinis, bei der sich die Handlung als Abfolge großer Gefühle entwickelt. Dazu braucht es kein auf den ersten Blick Aufsehen erregendes Großraumbüro, das diese Gefühle aus seiner ursprünglichen gesellschaftlich bedingten Situation in die Neuzeit reißt und dann in seiner klinischen Sterilität auf die Dauer eines ganzen Aktes eher ermüdet als ermuntert und von der Musik ablenkt, der Sänger und Orchester zum bleibenden Eindruck verhalfen.

Ausgeglichen, sehr kultiviert, mit klangvoller Stimme, mühelosen Koloraturen in sehr guter, natürlich wirkender Gesangstechnik gestaltete Stepanka Pucalkova die Partie der Adalgisa in allen Phasen souverän. Sie kann ihre geschmeidige Stimme wie ein Instrument auch als Ausdruck großer Gefühle einsetzen.

Die Hauptpartie der Norma erschien bei Yolanda Auyanet mitunter etwas zwiespältig. Die lyrische Seite der Partie lag ihr sehr, auch konnte sie dramatische Gefühlsausbrüche sehr überzeugend gestalten, während die schwierigen Koloraturen mitunter nur mit großer Anstrengung gelangen und auch das berühmte „Casta Diva“ nicht ganz so schmelzend dahinfließen konnte, wie erwartet. Insgesamt hinterließen beide Frauen aber vor allem in den dramatisch gestalteten Duetten, wo sie völlig übereinstimmten und ihre Stimmen im Klangrausch verschmolzen, einen nachhaltigen Eindruck, ebenso in den Terzetten mit ihrem, von beiden gleichermaßen geliebten und gehassten Römer Pollione, dem Dmytro Popov als ebenbürtigen Gegenspieler und Mitgestalter sängerisch und darstellerisch Profil verlieh.

Alexandros Stavrakakis verkörperte das würdige Oberhaupt der Gallier namens Oroveso stimmlich und darstellerisch überzeugend. Sehr gut ergänzte und vervollständigte der Sächsische Staatsopernchor Dresden (André Kellinghaus) die Szenen.

Allgemein wurden alle Darsteller durch eine  Personenregie, die alles bewusst auf ein niedriges Niveau heruntertransformiert, mit Vorliebe auf den Fußboden, ausgebremst. Mitunter müssen sie lange in einer Position wie Marionetten ihres Schicksals oder gesellschaftlicher Zwänge ausharren (in diesem Fall unabhängig voneinander drei Frauen auf dem Fußboden!), was jedoch in schroffem Gegensatz zu der zeitlos grandiosen Musik und den sehr guten sängerischen Leistungen stand und nur bedingt beeindrucken konnte, zumal dieses Konzept nicht mehr neu ist. Zu großen Gefühlen, wie sie Bellini in seiner Musik ausdrückt, passt nun einmal kein kleinliches Verhalten, aber die Musik und ihre sehr gute Ausführung überstrahlten alles.

Ingrid Gerk

 

 

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