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DRESDEN/ Semperoper: NABUCCO mit Placido Domingo

10.06.2019 | Oper

Dresden / Semperoper: “NABUCCO“ MIT PLACIDO DOMINGO“ – 9.6.2019

Jahrzehntelang haben die Dresdner gehofft und gewartet, dass sich der große Placido Domingo einmal die Ehre geben würde, auch in ihrer Stadt zu singen. Jetzt war es endlich soweit. Am Ende seiner großen und langen Karriere wollte und sollte er endlich sein Hausdebüt an der Semperoper geben und in der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis „Nabucco“ (Pr.: 25.5.2019) an drei Abenden die Titelpartie singen (5., 9., 15.6.). Als er 2003 in Madrid in dem von Dresden übertragenen „Ring“ sang, sagte er in einem Gespräch: „Die Semperoper ist das einzige der berühmten schönen Häuser, in dem ich noch nicht aufgetreten bin“. Nach seiner Jahrzehnte umfassenden Karriere als strahlender Tenor baut er sich jetzt eine zweite als Bariton mit „alten Herren“ und alternden “Helden“ auf. Von Natur aus Bariton, schaffte er es durch Technik und Training zu eben dieser Tenorkarriere mit dem leicht dunkelgetönten Timbre, das seiner Stimme den besonderen Reiz verlieh. Jetzt hat die Stimme zu ihrer natürlichen Tonlage zurückgefunden, aber ihre Geschmeidigkeit und seine Bühnenpräsenz und Gestaltungskraft sind geblieben.

Zunächst stand sein Dresden-Debüt unter keinem guten Stern. Wie vielen berühmten Sängern (u. a. Montserrat Caballé) erging es auch ihm. Die feuchte Elb-Luft machte ihm zu schaffen und ließ ihn in seiner ersten Vorstellung (5.6.) nur bis zur Pause singen. Markus Marquart rettete dann die Vorstellung. Vor seiner zweiten Aufführung (9.6.) wurde er zwar auch als indisponiert angekündigt, aber, wie nach einer alten Theaterregel einer misslungenen Generalprobe eine besonders gute Premiere folgt, überzeugte sein zweiter Auftritt auch den letzten Skeptiker. Domingo versteht es nach wie vor, eine zentrale Szene so zu gestalten, dass man mit jeder Faser an seinen Lippen und Gesten hängt. Er braucht keine extreme Lautstärke, seine „Worte“ „stehen im Raum“ und können noch immer wahre Begeisterungsstürme auslösen, die nicht nur seinem Ruhm und Namen gelten, sondern immer wieder neu erworben werden – wie an diesem Abend.

Über was für ein Potential muss er verfügen, dass er noch immer so singen und spielen kann nach dieser langen Weltkarriere. Wenn es auch mancher nicht hören will, es war eine weitere Glanzleistung, die er an diesem Abend zu seinen vielen Rollen und glanzvollen Auftritten in den vielen Jahrzehnten seines Wirkens hinzufügte. Mit seiner Gestaltungskraft, seiner Leidenschaft, mit der er sich in jede Rolle vertieft, seiner Einheit von Gesang und Darstellung und nicht zuletzt mit seiner mühelos tragenden Stimme, die in höchster dramatischer Zuspitzung auch ohne schrille Lautstärke auskommt, vermag er immer wieder große Oper zu „zelebrieren“ und war damit auch in jüngster Zeit immer mal wieder aufgefallen, u. a. als Vater Miller in „Luisa Miller“ von Verdi im Londoner ROH (Live-Übertragung), wenn er auch bei einer anderen Live-Übertragung als Giorgio Germont an seine derzeitigen Grenzen stieß.

Der Startenor, der in seiner Karriere als Künstler wohl so ziemlich alles erreicht hat, u. a. 150 Rollen in über 3300 Aufführungen, möchte nicht aufhören, und nach diesem Nabucco wäre es auch sehr schade, denn jüngere Sänger können von ihm noch sehr viel lernen! Beide Eltern Domingos waren (Zarzuela‑)Sänger, und er kann nicht anders als zu, singen“, singen, singen…, wie er sagt. Die Dresdner waren glücklich, ihn endlich einmal in der Semperoper zu erleben, und auch für ihn wurde damit ein lange gehegter Traum wahr.

Er gestaltete die „Bekehrung“ des Nabucco vom selbsternannten Gott-König und der Verzweiflung als verwirrter, gefangener Herrscher in der Erinnerung an seine menschlich besseren Zeiten („Wer bringt mir die Zeit zurück“) gesanglich und darstellerisch so intensiv, dass man, ob man wollte oder nicht, einfach gerührt war, und bis zur Wandlung zum humanen Herrscher nur noch Augen und Ohren für ihn hatte. Diese ausdrucksstarke Geschmeidigkeit hat nur er in der Stimme. Mit dieser Vorstellung fügte er seinen vielen glanzvollen Opernaufführungen auch jetzt noch eine weitere hinzu (was wahrscheinlich nur die glauben, die es miterlebt haben). Eine solche Faszination geht nur von sehr wenigen Sängern aus.

Da waren die vielen Bravos am Ende keine Reminiszenz an den Namen oder die Erinnerung an seine Glanzzeiten, sondern die Begeisterung für die wunderbare Leistung an diesem Abend, an dem der Spanier Jordi Bernàcier die Sächsische Staatskapelle Dresden (für den erkrankten Omer Meir Wellber), eingangs sehr dezent, dann – wie jetzt allgemein üblich –  krass und laut, hart und seelenlos leitete, bis die Kapelle zu ihrer gewohnten Qualität, sehr klar, durchsichtig und schlüssig, aber auch mit dramatischer Steigerung und einer hinreißenden Einleitung des letzten Aktes, vor allem aber zu dem gewünschten Konsens mit Domingo fand, wofür er sich am Schluss mit seinem zielgerichtet aus dem Publikum geworfenen Blumenstrauß (den auch alle anderen Protagonisten erhielten) bedankte.

Obwohl Nabucco in dieser Oper, in einer, von der biblischen Historie stark abweichenden, Wendung zu einem humanen Herrscher mutiert (das nahm man früher in der Oper nicht so genau, schließlich entspricht es einer Wunschvorstellung von Librettist, Komponist und auch des damaligen Publikums, die Menschheit zu bessern), verlegt sich David Bösch in seiner Inszenierung (Bühnenbild: Patrik Bannwart) wieder einmal sehr auf Blut und Gewalt, um die Handlung in die östliche Gegenwart zu ziehen. Früher durfte das Publikum noch selbst die Parallelen von der (meist) historischen Opernhandlung zur Gegenwart ziehen, jetzt soll es den Erkenntnissen des Regisseurs folgen. Das Volk (Chor) steht zunächst wie erstarrt in einem Vier-Etagen-Babel-Wohnturm-Tempel, nur eine Frau trägt langsam ihr totes Kind vorbei und legt es in den Sarg, eine zweite folgt ihr – mit lebendem Kind.

Dann kommt langsam Bewegung in die Starre. Es wird oft geschossen und manchem die Kehle durchgeschnitten oder mitunter auch nur fast. Selbst der altersweise Zaccaria setzt Abigaille das Messer an den Hals, besinnt sich aber und verhindert anschließend, dass ein Jugendlicher sie ersticht. Spätestens, als der junge Ismaele von den eigenen Leuten gesteinigt werden soll, weiß man, warum bisher so viele Steine in des Tempels Mitte herumlagen. Wenn die Juden von Nabucco singen „Er steigt nicht mal vom Pferd herab“, entsteigt dieser einem Militärjeep, aus dem später ein geschächteter Riesen-Stier entladen wird und, an die Decke gehängt, lange im Sichtfeld bleibt. Abigail wirft die Brandflasche in den Tempel der Juden, wo dann (nur) friedliche Feuer in metallenen Kübeln brennen (Brandschutz). Da gibt es aber andere Möglichkeiten, um einen brennenden Tempel darzustellen! Für wen wird da eigentlich eine Oper inszeniert? Wer so etwas sehen will, geht doch nicht in die Oper, sondern lieber ins Kino!

Die Kostüme von Meentje Nielsen verraten wenig Fantasie. Die Protagonisten sind noch einigermaßen in charakterisierendes Outfit gehüllt, der Chor aber wieder in die übliche Alltagskleidung, manche Herren sogar mit Krawatte – und das in der Gefangenschaft, auch wenn es sich um Intellektuelle handeln soll.

„Nabucco“ ist aber nicht nur eine Oper über Religionen und Krieg, sondern auch des Belcanto, ein Stück für Gesangsstars. Saioa Hernández brachte als Abigaille für ihre anspruchsvolle Partie genügend Empörung, Herrschaftsanspruch und Kampfgeist um den Thron mit und meisterte die expressiven Belcanto-Arien mit viel Kondition, Bravour und Verve. Trotzdem musste sie noch als militante Kämpferin auftreten, mit der Maschinenpistole in die Luft schießen und sich selbst den Revolver an die Schläfe halten.

Vitalij Kowaljow gestaltete die Rolle des Zaccaria gesanglich sehr überzeugend, ohne Hürden und mit profunder Tiefe. Byung Gil Kim (für den erkrankten Alexandros Stavrakakis) war der Oberpriester des Baal. Das Liebespaar, das in solchen Opern die Sympathie-Rollen verkörpert, erschien hier mit Christina Bock als Sympathieträgerin Fenena und Massimo Giordano  als Ismaele trotz gutem Gesang weniger dominant und leidenschaftlich. Der Chor der Sächsischen Staatsoper sang unter Jörn Hinnerk Andresen großartig von expressiv bis hinreißend schön – auch den Gefangenenchor Va, pensiero“, der sonst die Besucher anzieht, hier aber aufgrund großartiger sängerischer Leistungen nicht dominierte. Wenn es auch in dieser Inszenierung weniger zur Geltung kam, endet die Oper doch mit einem allgemeinen happy end. Für die glücklichen Besucher, die um den Auftritt des Domingo gebangt hatten, bestand das happy end aber vor allem darin, dass er bis zu Ende gesungen hatte – und wie!

Ingrid Gerk

 

 

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