Dresden / Semperoper: MYUNG-WHUN CHUNG IM 1. KAMMERABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN („VARIATION“) – 20.9.2020
Die Sächsische Staatskapelle Dresden bleibt auch in der gegenwärtigen Situation ihrem geplanten Programm weitgehend treu und wandelt die Konzerte als „Variation“ nur so weit ab, wie nötig. So brachte der 1. Kammerabend, wie vorgesehen, Kammermusik von Ludwig van Beethoven und Franz Schubert. Akustisch mag die Semperoper nicht unbedingt der ideale Raum für Kammermusik sein, aber wenn man dann erlebt, wie sich die Künstler in die zu interpretierenden Werke vertiefen, vergisst man das sehr schnell.
Myung-Whun Chung ist der Sächsischen Staatskapelle Dresden als Dirigent sehr verbunden und wird auch das „Gedenkkonzert zum 472. Bestehen“ des Orchesters am 22.9. im Konzertsaal des Kulturpalastes dirigieren. Ab der Spielzeit 2012/13 wurde er als Erster zum Ersten Gastdirigent (und bisher einzigen) ernannt – ein Novum in der langen Geschichte des Orchesters. In seiner Vielseitigkeit setzt er sich auch gern einmal ans Klavier und trat als Zeichen seiner Verbundenheit mit den Orchestermusikern im 1. Kammerabend der Staatskapelle nun schon wiederholt als Pianist auf. Er übernahm den Klavierpart im „Klavierquintett A-Dur (D 667 – op. post. 114) von Franz Schubert, auch als „Forellenquintett“ bekannt und beliebt, das seinen Namen durch den darin enthaltenen Variationensatz erhielt, durch den sich munter „die Forelle“ aus Schuberts gleichnamigem Kunstlied (nach einem Gedicht von C. F. D, Schubart) schlängelt.
Chung dominierte mit dem Klavierpart von Anfang an. Mit guter Diktion, aber relativ kräftigem, ziemlich hartem Anschlag verlieh er Schuberts heiterem, aber auch sensiblen Quintett einen herzhaften „Anstrich“, bestimmte stellenweise ein sehr zügiges Tempo und setzte, wie der Solist eines Klavierkonzertes dominierende Akzente, wobei sich die vier Mitglieder der Staatskapelle: Jörg Faßmann mit klangschön „singender“ Violine, Anya Dambeck, Viola, Matthias Wilde, Violoncello und Andreas Wylezol, Kontrabass, in kongenialer Abstimmung – untereinander und mit dem Klavier – perfekt einfügten.
Bevor die Forelle im 4. Satz ihren großen Auftritt hatte, wurden in einer längeren Pause zwischen den Sätzen die Instrumente neu gestimmt, denn in atemberaubendem Tempo hätte das Fischlein einen Schwimmrekord souverän gewinnen können. Beim internationalen Publikum kommen solche „sportlichen Einlagen“ gewiss gut an, die Dresdner waren es anders gewöhnt und enttäuscht, dass „ihr“ Forellenquintett eine etwas andere Interpretation erfuhr, auch wenn das Tempo danach wieder moderater wurde, die Forelle wieder „normal“ schwimmen konnte und der 5. Satz sehr munter bewegt, sehr lebhaft und in der, der Komposition angemessenen, Form wiedergegeben wurde. Das ohnehin heitere Quartett wurde frisch und munter in seiner Frische noch weiter „aufgemischt“. Trotz eigenwilliger Interpretation Chungs gab es keinerlei „Brüche“, so perfekt regierten die vier Streicher auf den relativ vordergründigen Klavierpart.
Ohne eine Diskussion über die Geschlechterrollen anstoßen zu wollen, muss man doch konstatieren, dass das, von einer Dame und drei Herren sowie dem Pianisten dargebotene Schubert-Quintett etwas zu viel an untypischer Vehemenz enthielt und das zuvor von drei Damen, Anett Baumann, Violine, Ami Yumoto, Violine, Juliane Preiß, Viola und einem Herrn, Titus Maack, Violoncello, kurz dem Chiaveri-Quartett aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle, interpretierte „Streichquartett e-Moll op. 59 Nr. 2“, das zweite der „Rasumowski-Quartette“, von Ludwig van Beethoven eher etwas zu „lieblich“ geriet, wenn auch sehr exakt, sehr durchsichtig, klar und klangschön. Obwohl nicht mit der Energie eines Beethoven, der in diesem Quartetten fast ungestüm und energiegeladen alle Hörgewohnheiten sprengt, erfüllten die vier Musiker die damit verbundenen spieltechnischen Ansprüche doch gut und ließen in sehr klarer, durchsichtiger Weise die impulsive, „nervöse“ Spannung und die starken Kontraste erkennen – nicht entfremdet aber doch ein wenig zu „zaghaft“, vielleicht aus Ehrfurcht vor dem großen Meister.
Bei dem gut eingespielten Quartett kam die Schönheit des Klanges, z. B, im „Adagio“ (2. Satz) sehr gut zur Geltung. Bei diesen Musikerinnen nebst Musiker könnte man sich sehr gut Mozart, Schubert usw. vorstellen. Das Beethoven–Quartett war wohl eine Reminiszenz an den Jubilar des Jahres.
Ingrid Gerk