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DRESDEN / Semperoper: MUSIK DES FIN DU SIÈCLE IM 5. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN

26.01.2016 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: MUSIK DES FIN DU SIÈCLE IM 5. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 25.1.2016

Am Pult des 5. Symphoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden stand der junge britische Dirigent Robin Ticciati, der für dieses Konzert ein Programm mit Kompositionen des Fine siècle zusammengestellt hatte.

Es begann mit Gustav Mahlers, selten zu hörendem, relativ kurzem Symphoniesatz „Blumine“, der in Zusammenhang mit seiner 1. Symphonie steht. Er drückt nicht nur die euphorische Gefühlswelt in Mahlers jüngeren Jahren aus, sondern auch die seiner Zeit. Die Kapelle spielte mit gewohnter Finesse und Hingabe, sehr gut abgestimmt in allen Instrumentengruppen, mit sehr feinen ersten Violinen, guten Bläsern und sehr einfühlsamer Pauke. Es war ein Schwelgen in „romantischer Naturidylle“ und liebender Sehnsucht, und es war eine Bereicherung, dieses Werk, so interpretiert, zu hören.

In eine ganz andere Geistes- und Gefühlswelt führte das „Konzert für Violine und Orchester d‑Moll“ (op. 47) von Jean Sibelius mit Leonidas Kavakos als Solist, einem sehr feinsinnigen, in sich versunkenen Künstler, dem alle Äußerlichkeiten fern sind und für den nur die Musik zählt. Dennoch fiel er in seinem hellblauen Jackett auf, das ganz im Widerspruch zu Dirigent und Musikern stand, die traditionell im Frack erscheinen.

Ein weiterer Widerspruch bestand in dem äußerst feinsinnigen, virtuosen Spiel des Solisten und dem, das Orchester gern zu mehr Kraft und Lautstärke auffordernden Dirigenten, so dass mitunter die solistische Violine mit der Orchesterbegleitung klanglich zusammenfiel und in einigen wenigen Fällen sogar scheinbar „unterging“. Das Orchester begann äußerst fein, die Solovioline stimmte ebenso ein, sehr zurückhaltend, sehr virtuos, sehr klar, bis es dann öfters zu starken Kontrasten zwischen kraftvollem Orchester und Solist kam, der eigenwillig und kompromisslos in seiner Art fortfuhr. Das sehr schwungvolle Ende des 1. Satzes beschwor sogar vorzeitigen Applaus herauf.

Es gab aber auch sehr feine Passagen. Der 2. Satz begann mit sehr ansprechenden Klängen der in sich gut abgestimmten Staatskapelle in ihrer gewissenhaften Muszierweise und Ausdruckskraft, die oft im Gleichklang mit den weichen, samtenen Tönen der Solovioline stand. Kavakos spielte eher vorsichtig, etwas zurückhaltend, weniger temperamentvoll. Er ließ seine Violinstimme noch lange Zeit aus- und nachklingen. Man sah den Geigenbogen auf der Saite, konnte aber so feine Töne trotz Stille im Raum nicht mehr wahrnehmen.

Der 3. Satz war dann von Kavakos‘ „leichtflüchtiger“ Virtuosität geprägt. Das Orchester spielte unter Ticciatis Leitung zuweilen sehr herzhaft, kraftvoll, „kernig“, wobei Kavakos mit seiner sehr zarten Tongebung nicht die dominante Stellung des Solisten nutzen konnte und so eine leichte Diskrepanz zwischen dem zarten Geigenspiel und dem z. T. gewaltigen Orchester entstand.

Es war eine ungewohnte, durchaus interessante, aber auch zwiespältige Wiedergabe des Violinkonzertes von Sibelius, der nach eigenen Aussagen seine Musik im klassisch-romantischen Stil verstanden wissen wollte. Sein Violinkonzert zählt zu den Klassikern der Gattung. Kavakos spielte den Solopart sehr zart besaitet, mit sensationeller Technik, gekonnten Griffen und feinsinniger Musikalität und doch hatte man den Eindruck, dass der Südländer offenbar ein sehr individuelles Verhältnis zur nordischen Natur und Gefühlswelt und die herbe Schönheit der nordischen Landschaft, wie sie in Sibelius‘ Musik mitschwingt, hat.

In seiner Zugabe widmete sich Kavakos einem mehrstimmigen Satz für Violine solo von J. S. Bachs eine ebenfalls ziemlich ungewohnte Wiedergabe mit sehr sensiblem Klang.

… und wieder ein Sprung in eine ganz andere Welt. Die acht „Valses nobles et semtimentales“ von Maurice Ravel begannen gewaltig tosend und lautstark mit großer Trommel und viel Schlagwerk. Da war es schwer, außer im Titel das Vorbild Franz Schuberts und einen Walzerrhythmus zu erkennen. Bei den folgenden, eher sensiblen, melancholisch betrachtenden und verträumten, von der Kapelle mit dem richtigen Feeling für Ravels individuellen Rhythmus gespielten, „Valses“ wurde das dann schon eher deutlich, bis ein in einem „inneren“ Crescendo langsam wellenartig anschwellendes Temperament in entsprechender Lautstärke übermütig mit großer Trommel gipfelte und dann doch „gemäßigt“ ausklang.

Stürmisch und mit hochschlagenden Wellen ging es bisweilen auch bei Claude Debussys impressionistischem Meisterwerk „La mer“ zu, das mit sehr feinen Streicherklängen eröffnet wurde. Das Orchester hatte den Charakter der Musik in Debussys eigenwilliger Persönlichkeit erfasst und gab ihn mit Gefühl und Verstand in perfektem Zusammenspiel und bestmöglichem Zusammenklang wieder. Die Musiker schienen gemeinsam zu atmen und die Musik zu empfinden und verstanden es auch, sie so wiederzugeben, sowohl in sehr sensiblen Momenten als auch in lautstark temperamentvollen Passagen mit starken Paukenschlägen, schneidenden Bläsern und großer Trommel im tobenden Kampf zwischen Wind und Meer wie in einem Inferno, wieder beschwichtigend zurückgenommen und in neuem Anlauf mit großem Hammer auf großer Trommel, Pauke und Schlagzeug bis zum abrupten „AUS“.

Ingrid Gerk

 

 

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