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DRESDEN / Semperoper: MUSIK DES 20. JHs. IM 7. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT ANDRIS NELSONS UND HAKAN HARDENBERGER

02.03.2016 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: MUSIK DES 20. JHs. IM 7. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN MIT ANDRIS NELSONS UND HAKAN HARDENBERGER – 1.3.2016

Ausschließlich Musik des 20. Jhs. stand auf dem Programm des 7. Symphoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter der musikalischen Leitung von Andris Nelsons. Bereits die ersten Töne der „Passaglia“ (op. 33b) aus dem 2. Akt der Oper „Peter Grimes“ von Benjamin Britten ließen das feinsinnige musikalische Gespür von Dirigent und Kapellmitgliedern für jedes Werk – auch eines des 20. Jhs. – erkennen. Nelsons nutzte die Qualitäten der Kapelle für eine anspruchsvolle Wiedergabe dieses Dialoges zwischen dem, wegen Mordverdacht oder Unglücksfall seines Lehrlings vor Gericht stehenden und von der Gesellschaft ausgestoßenen und geächteten, Fischers Grimes mit einem neuen Jungen aus dem Armenhaus als „Nachfolger“ für diesen Lehrling, den aber ein Geheimnis umgibt und der ebenfalls zu Tode kommen wird.

Schon die ersten Takte stimmten in eine durchdachte Auseinandersetzung mit dieser Episode ein. Mit der Kapelle spürte Nelsons den Gedanken und Emotionen eines verachteten Menschen in seiner Einsamkeit nach. In einer Feinheit und Genauigkeit zwischen sanftem Pianissimo bis zum „Trauermarsch“ und starkem Forte wurden in einer guten Gesamtkonzeption mit sehr schönen, klangvollen solistischen Passagen einzelner Bläser, guter, korrespondierender Streicher und dem schicksalhaft einsetzenden Pizzicato der Bässe realistischer Gehalt und Bedeutung der Komposition nachvollziehbar und erlebbar.

Prominenter Solist des Abends war der schwedische Trompeter Håkan Hardenberger, der nicht nur das klassische Repertoire souverän beherrscht, sondern sich auch der Neuen Musik widmet, in diesem Falle dem einsätzigen “Konzert für Trompete in C und Orchester ‘Nobody knows de Trouble I see‘ „ von Bernd Alois Zimmermann. Ebenfalls sehr feinsinnig, mit leiser, sehr sauber und fein nuanciert geblasener, zuweilen „gestopfter“ Trompete nahm er sich als Meister seines Instrumentes auch dem genreübergreifenden Konzert an, mit dem sich Zimmermann der Ästhetik des „Crossover“ und Elementen des Jazz öffnet, ein Konzert zu scheinbar unbekümmerter Unterhaltung und lustvollem Musizieren, aber auch mit versteckten Botschaften.

Mit einer sehr sensiblen, leicht melancholisch sinnierenden tonalen Zugabe demonstrierte Hardenberger mit vielen anspruchsvollen spieltechnischen Besonderheiten, u. a. zahlreichen „Trillern“, in perfekter Manier noch einmal sein großes Können. Erst seitlich nach der einen, dann nach der anderen Seite geblasen, und schließlich in „normaler“ Richtung, bewies er mit sehr feinem Piano und sehr klarem, hellem Ton, dass er mit diesen leisen Tönen noch mehr ausdrücken kann, als nur mit schmetterndem Trompetenklang.

Neben dem Auftritt von Håkan Hardenberger war die „Symphonie Nr. 8 c‑Moll“ (op. 65) von Dmitri Schostakowitsch Hauptteil und Höhepunkt des Abends. Entgegen der jetzt allgemein „grassierenden“ Unsitte des übermäßig lauten Orchestereinsatzes ließ sich Nelsons vor allem das Werk mit seiner verstandesmäßig-emotionalen Aussage angelegen sein und orientierte bei aller Dynamik auch auf sehr feine Nuancen. Er wirkte als „Spiritus rector“ der Kapelle, die seinen Vorstellungen sehr genau folgte und mit ihrem Können, wunderbaren Details und Feinheiten vom feinsten Pianissimo, einsam im Raum stehend, bis zum temperamentvollen, aber nicht übertriebenen, Forte eine exzellente Ausführung realisierte. Es wurde sehr durchsichtig, mit äußerster Klarheit und Prägnanz musiziert, trotz innerer Zerrissenheit als Ausdruck der Zeit und äußeren Umstände enthaltene melodiöse Phrasen und Melodie-„Fetzen“ herausgearbeitet und jeder der 5 Sätze in seinem besonderen Charakter ausgelotet.

Nelsons arbeitete mit der Kapelle, nutzte die ihr eigenen Fähigkeiten zur Feinabstimmung zwischen den größeren und kleineren Solo- und Tutti-Passagen sowie innerhalb und zwischen den Instrumentengruppen und ließ den äußerst zuverlässigen, sehr feinen Bläsern und guten Streichern die Möglichkeit, sich besonders klangschön und ausdrucksvoll mit viel Empfindung und allen technischen Feinheiten zu entfalten zwischen scheinbarer Heiterkeit und Trauer bis zu jazzigen Anklängen, mit viel Pauke und gewaltigem Paukenwirbel und Einsatz von Becken und Schlagzeug, aber immer ganz im Sinne des Werkes und trotz mitunter geforderter „Derbheit“ und Wucht immer auch im richtigen Maß. Ein Sonderlob gebührt dabei dem Paukisten, der an diesem Abend „viel zu tun“ hatte und immer den richtigen „Ton“ fand, auch im orchesterbegleitenden Fortissimo, wo die Pauke selbst dann nicht „das Ohr beleidigte“, wie es Mozart seinerzeit ausgedrückt hat, wenn es hart „zur Sache ging“.

Nelsons spannte große musikalische Bögen und hatte immer die Gesamtheit der Symphonie im Auge. Er nutzte das Potenzial der Kapelle für eine sehr gute, werkgerechte Wiedergabe, die bis in die geistigen Tiefen vorstieß und das Werk in seiner Vielseitigkeit dem Publikum noch weiter erschloss. Wie ein „Klangmagier“ hielt er die Spannung vom Anfang bis zum Ende, strebte in großer Dynamik einem furiosen Höhepunkt mit Pauke und Schlagzeug zu, ließ die Symphonie dann versöhnend ausklingen und forderte danach das Publikum mit geschickter Geste zu längerer „Stille“ und Innehalten auf, um Schostakowitschs gewaltiges Werk noch einige Zeit nachklingen zu lassen.

Ingrid Gerk

 

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