Dresden / Semperoper: „MOZART UND DER TOD“ IM 8. SYMPHONIEKONZERT („PALMSONNTAGSKONZERT“) DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER MANFRED HONECK – 10./11.4.2022
Es war in mehrfacher Hinsicht ein sehr ungewöhnliches Programm für ein „Palmsonntagskonzert“ (8. Symphoniekonzert), dessen Tradition auf ein Konzert Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgeht, das der damalige Hofkapellmeister der Italienischen Oper, Francesco Morlacchi (1784-1841), mit einer Aufführung der 9. Sinfonie von L. v. Beethoven zugunsten der Witwen und Waisen des Orchesters am Palmsonntag veranstaltete.
Im Mittelpunkt des diesjährigen Programmes stand Wolfgang Amadeus Mozarts letztes Werk, das „Requiem“ in einer speziellen Aufführungsversion. „Was geschah am Tag nach Mozarts Tod?“ fragte sich Manfred Honeck, der schon mehrmals in Dresden gastierte und zu diesem Konzert ans Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden zurückgekehrt war. Im Nachdenken über Mozarts frühen Tod und den Tod im Allgemeinen ließ er sich von dem Spannungsfeld zwischen Musik, Gregorianik und Wort zu einem außergewöhnlichen Programm inspirieren.
In einem sehr persönlichen Zugang zu dem „Requiem“, das das sich immer noch hartnäckig haltende Klischee von Mozarts ewig heiter-tändelndem Wesen endgültig ad absurdum führt und das vielen Musikfreunden als Mozarts persönliches Vermächtnis gilt, setzte sich Honeck mit den letzten Dingen des Lebens auseinander.
Trotz der Kürze des Werkes wird es wegen seiner dramatischen Intensität und ergreifenden Wirkung allgemein als einziges Werk an einem Abend aufgeführt, bei dem am Ende nicht selten nach dem Verklingen des letzten Toners „der Saal den Atem anhält“ und man die sprichwörtliche Nadel zu Boden fallen hören könnte, so ergriffen sind die Zuhörer von dieser unmittelbaren persönlichen Auseinandersetzung Mozarts mit dem Tod. Obwohl Mozart sein „Requiem“ unvollendet hinterließ, weil ihm der Tod die Feder aus der Hand nahm, strahlt es so viel dramatische Dichte aus, dass es eigentlich keiner Ergänzung oder Erweiterung bedarf.
Mozarts Schüler, die an seinem Sterbebett gesessen und ihm beim Komponieren assistiert hatten, wagten nicht, das Werk auf Bitten von Mozarts Frau Constanze nach den vorliegenden Skizzen fertigzustellen. Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayr schufen dann eine stilistisch passende Ergänzung im Sinne Mozarts, bei der bei guter Interpretation kaum Brüche zu spüren sind.
Honeck hatte keine Probleme mit einer „Ergänzung“ im Sinne einer umfangreichen Programmerweiterung, ein „Einbetten“ des etwa 50-minütigen Requiems in einen musikalisch-literarischen „Resonanzraum“ (Dauer insgesamt zwei Stunden – mit Pause). Er „bereicherte“ das Programm mit Kompositionen, die zeitlich oder ideell in Zusammenhang dazu stehen, mit weiteren Kompositionen Mozarts, einer Symphonie von Joseph Haydn, seinem Lehrer und besten Freund, aber auch Gregorianischen Chorälen sowie zwei Gedichten von Nelly Sachs und Auszügen aus der „Offenbarung des Johannes“ (Bibel).
Honeck begann den Abend energiegeladen mit der ziemlich forsch, frisch und fröhlich und sehr kontrastreich bis zum triumphalen Schluss dargebotenen Ouvertüre zu Mozarts sehr diesseitiger Krönungsoper „La clemenza di Tito (KV 621), der die “Symphonie Nr. 93 D‑Dur (Hob I:93) von Joseph Haydn folgte, bei der er die ersten Takte mit ungewöhnlichen Ritardandi „auskosten“ ließ, mit für Haydn untypischen Kontrasten zwischen „Forte“ und kaum hörbarem „Pianissimo“, sehr klangschönem „Rondo cantabile“ (2. Satz) und eher volkstümlichem „Menuetto – Trio“ (3. Satz) auch Haydns sprichwörtlichen Humor hervorblitzen ließ und schließlich mit fein getupfter Passage im „Finale“ (4.Satz) an Mozarts heiteren Stil erinnerte. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ heißt es in einem alten Kirchenlied.
Der zweite, ernstere Teil des Konzertabends wurde von drei „Glocken- bzw. Schellentönen eingeleitet, die später auch den Abend beschlossen. Der Dresdner Kammerchor hatte hinter dem Orchester Patz genommen, die Solisten zwischen Chor und Orchester, was für die Ausführenden zwar günstig ist, die Ausstrahlung ins Publikum jedoch meist einschränkt.
Ein „Gregorianischer Choral“, von jungen Männern des Dresdner Kreuzchores (Leitung: Karl Pohlandt) erstaunlich klar, mit gut klingenden Stimmen und ohne klösterliche Erstarrung unsichtbar und wie aus der Ferne hinter geöffneten Türen gesungen, leitete über zu Mozarts sehr klangschön musizierter „Maurerischer Trauermusik“, die er zum Gedenken an zwei verstorbene Logenbrüder schrieb. Im weiteren Verlauf erklangen diese Choräle, ebenso zuverlässig gesungen, als Trennung und zum Innehalten zwischen den Teilen des, auch von Lesungen unterbrochenen „Requiems“.
Die Texte waren als Ergänzung gut gedacht und ausgewählt. Sie jedoch von einem Schauspieler mit dem gegenwärtigen Trend einer speziellen Lesart aus persönlicher Distanz und leicht latentem Sarkasmus lesen zu lassen, ist nicht unproblematisch. Ulrich Tukur las, seitlich postiert, zunächst aus Mozarts Brief an seinen Vater (vom 4. April 1787), worin er den Tod als den „wahren, besten Freund des Menschen“ bezeichnet.
Obwohl Tukur ins Mikrofon sprach, war seine Stimme nicht gut zu verstehen. Später las er die ins Programm eingestreuten Gedichte von Nelly Sachs mit ihren lyrischen Betrachtungen über Tod und Sein und Auszüge aus der „Offenbarung des Johannes“, zu denen er keinen direkten persönlichen Zugang zu haben schien, in moderner schauspielerischer Manier, die nicht so recht zur Ernsthaftigkeit der Musik und ihrer hervorragenden Interpretation passen wollte. Bei der Ausdruckssteigerung durch Lautstärke geriet die menschliche Sprechstimme naturgemäß an ihre Grenzen.
Die Musik bietet da ganz andere Möglichkeiten. Man denke nur an das gewaltige „Dies irae“, bei dem Chor und Orchester höchste Ekstase auszudrücken vermochten, ohne hörbar an ihre Grenzen zu stoßen. Sie konnten alles ausdrücken, vom feinsten, lyrischen „Pianissimo“ bis zu höchst dramatischer Lautstärke, ohne „das Ohr zu beleidigen“; wie es Mozart ausdrückte.
Die vom Dresdner Kammerchor (Einstudierung: Tobias Mäthger) hervorragend, mit schönen Stimmen, ausdrucksstark und klangschön gesungenen und von der Staatskapelle ebenso gestalteten Teile des „Requiems“, das mit seiner musikalisch-geistigen und emotionalen Wirkung das Zentrum bildete, hoben sich spürbar von allem Übrigen ab, nicht nur durch die besondere Güte der Komposition, sondern auch die Interpretation. Allein der Frauenchor mit seinen schönen Stimmen ließ aufhorchen. Hier konnte man von einer idealen Wiedergabe sprechen, wo alles bis in die letzten Nuancen stimmte.
Der bestens vorbereitete Chor mit seinen Qualitäten, die wunderbar spielende Staatskapelle und die beiden Solistinnen bildeten eine „organische“ Einheit, worin sich alles gegenseitig mit unmerklichen Übergängen ergänzte und alles, von den verhaltenen, sanften, lyrischen Betrachtungen bis zu dramatischer Wucht, die dem „Requiem“ innewohnt, in getragenem oder rasantem Tempo stets mit größtmöglicher Klarheit und Ausdrucksstärke dargeboten wurde.
Die Sopranistin Nikola Hillebrand brachte das nötige Potential mit, um die dominierende Sopranpartie zu gestalten und der Wiedergabe Glanz zu verleihen. Sie verfügt nicht nur über eine sehr schöne, tragfähige Stimme, sondern auch das richtige Stilempfinden. Trotz der akustisch weniger günstigen Position, kam sie mühelos über das Orchester und verlieh der Aufführung Strahlkraft, ohne vordergründig dominant zu sein. Sie stellte sich mit angemessener Leidenschaft ganz in den Dienst des Werkes. Die kleine Altpartie gestaltete Marie Henriette Reinhold mit ihrer warmen, gut klingenden Stimme ausgeglichen und wirkungsvoll.
Die beiden Herren konnten sich infolge der Aufstellung zwischen Orchester und Chor nicht wirklich durchsetzten, der Tenor Sebastian Kohlhepp, der mit seiner Oratorien-Erfahrung und der richtigen Diktion sang, noch eher als der Bassist Mikhail Timoshenko. Im „Tuba mirum“ übernahm der, im Hinblick auf die Posaune des Jüngsten Gerichts auch optisch hervorgehobene, Solo-Posaunist der Staatsapelle (Nicolas Naudot) die stimmliche Führung. Er führte seinen Solopart, einschließlich des unbegleiteten Solos, hervorragend aus und verlieh anstelle des Bassisten diesem Teil den besonderen Glanz.
Den stimmigen Abschluss dieses umfangreichen Programmes bildete die vom Chor sehr feinsinnig gesungene und vom Orchester mit sanften Streicherklängen untermalte Motette Mozarts „Ave verum corpus“.
Corona hat allgemein Lücken in die Reihen und das Interesse des Publikums gerissen, so dass nur die ungewohnt reduzierte Zahl der aufmerksam lauschenden Besucher in den Genuss dieses ungewöhnlichen, aber sehr beeindruckenden Konzertabends kam.
Ingrid Gerk