Dresden / Semperoper: „MESSA DA REQUEM“ VON GIUSEPPE VERDI IM 6. SYMPHONIEKONZERT / GEDENKKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE – 13.2.2025
Das 6. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden war gleichzeitig das alljährlich stattfindende Gedenkkonzert in memoriam der Zerstörung Dresdens am 13.2.1945 bei zwei Luftangriffen. Seit am 13.2.1951 in einem Konzert der Staatskapelle unter Rudolf Kempe mit der „Messa da Requiem“ von Giuseppe Verdi der totalen Zerstörung der Dresdner Innenstadt mit mehr als 25 000 Toten und der Vernichtung unwiederbringlicher Kunstschätze gedacht wurde, findet an diesem Tag (jetzt an zwei Tagen) alljährlich ein Gedenkkonzert statt, bei dem ein geeignetes Werk, meist ein Requiem, aufgeführt wird.
Andere Orchester und Chöre folgten, so dass jetzt jedes Jahr an mehreren Orten solche Gedenkkonzerte stattfinden. In diesem Jahr führte die Dresdner Philharmonie das „War-„Requiem“ von Benjamin Britten auf, in der Kathedrale erklang das „Requiem“ von W. A. Mozart und beim Dresdner Kreuzchor ein neues Requiem mit dem Titel „Requiem A“ (wie Anfang) von Sven Helbig, kombiniert mit der Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ des damaligen Kreuzkantors Rudolf Mauersberger, geschrieben nach dem unmittelbaren Erlebnis des Luftangriffs.
Die Sächsische Staatskapelle entschied sich unter Chefdirigent Daniele Gatti für die „Messa da Requiem“, wie im allerersten Konzert, das die Tradition begründete und auch in den vergangenen Jahrzehnten neben den Requien von Brahms, Mozart, Berlioz, Britten u. a. mehrmals aufgeführt wurde. Gatti gastierte erstmals 2000 bei der Sächsischen Staatskapelle. 2005 dirigierte er das „Verdi-Requiem“ im Gedenkkonzert. Jetzt – genau 20 Jahre später – leitete er die beiden Aufführungen (12./13.2.) dieses Werkes erneut, das in opernhafter Ausführung die tiefe persönliche Religiosität Verdis widerspiegelt. Er komponierte, wie er komponieren musste und setzte die Texte nach seinen Empfindungen und seiner Auffassung in einen Strom emotionaler und geistiger Verkündigung um, was beim Dresdner Publikum Erinnerungen an jenes schmerzliche Ereignis wachrief, das auch jetzt noch, nach 74 Jahren, nicht vergessen ist, denn es hat tiefgreifende Spuren hinterlassen.
Mit Eleonora Buratto, Sopran, Szilvia Vörös, Mezzosopran, Francesco Meli, Tenor und Michele Pertusi, Bass, stand ein erlesenes, kompetentes Solisten-Ensemble mit bewundernswerter Kondition und großem Einsatz zur Verfügung, intonationssicher, technisch versiert und ausdrucksstark bis zum Schluss. Die Stimmen klangen in Anbetracht der Schwierigkeit der Ausführung vor allem im Fortissimo mitunter auch hart, aber immer ausdrucksvoll und in den empfindsameren Abschnitten auch weicher und vor allem bei Szilvia Vörös seelenvoll. Mit kraftvoller Stimme, erstaunlicher Sicherheit und Transparenz meisterte Eleonora Buratto die mit technischen Schwierigkeiten gespickte Sopranpartie, und auch Meli und Pertusi überzeugten bei ihren Solo-Einsätzen.
Der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: Jan Hoffmann), erstmalig mit Mitgliedern der EuropaChorAkademie Görlitz, wartete in den unterschiedlichen Gruppierungen (vierstimmig, oft mit mehrfach geteilten Stimmen und im „Sanctus“ als Doppelchor mit zwei vierstimmigen Chören) mit Höchstleistung an Präzision, Flexibilität, feiner Differenzierung, Dynamik und Ausdruckskraft auf.
Die Musiker der Staatskapelle setzten sich in der Orchesterbesetzung eines Opernorchesters (ähnlich dem im „Don Carlo“) mit Leidenschaft, Stilsicherheit und ihren besonderen Fähigkeiten einer brillanten, äußerst feinsinnigen, klangvollen Musizierweise ein und folgten minutiös den Intentionen ihres Chefs. Sie bewegten sich auf gleicher Wellenlänge mit ihm. Orchester und Chor bildeten das prädestinierte, erfahrene Fundament für die grandiose Aufführung dieses Werkes, das, obwohl Text und Ablaufplan mit marginalen Abweichungen fast durchgehend der römisch-katholischen Liturgie entsprechen, für den Konzertsaal gedacht ist.
Die Aufführung begann mit leisen, feinen Tönen fast wie ein jenseitiger Hauch. Gatti führte den großen Aufführungsapparat in kontinuierlicher Steigerung bis zum erschreckenden „Dies irae“ („Tag des Zorns“), das mit brachialer Wucht hereinbrach, und weiter in ständigem Fluss von Satz zu Satz, wobei die hoch dramatischen Sätze „die Luft erbeben“ ließen, aber auch sensible Passagen aus diesem musikalischen Fluss erwuchsen, bei denen sich die Stimmen der Solisten in ihrer Klanglichkeit entfalten konnten, wie bei dem seelenvollen, sehr sensiblen „Salva me“.
Gatti, dem das „Verdi-Requiem“ offenbar eine Herzensangelegenheit ist, führte alle Ausführenden mit nur den notwendigen Gesten zu einer überwältigenden, in sich ausgewogenen Aufführung. Er inspirierte sie zu impulsiver Einfühlung und farbenreicher Darstellung in einer ausgeglichenen Balance von Religiosität und weltlicher Empfindung, Demut vor der Unausweichlichkeit des Todes, des Schuldbewusstseins gegenüber einer höheren Macht und der unerschütterlichen Hoffnung auf Erlösung in höchster Perfektion, ausgefeilt bis ins letzte Detail und in völliger Übereinstimmung mit allen Beteiligten.
So wie die Besucher der Tradition begründenden ersten Aufführung 1951 vor Ergriffenheit nicht in der Lage waren zu applaudieren, wird jedes Jahr in einer (langanhaltenden) „Schweigeminute“, bei der sich Ausführende und Publikum still von ihren Plätzen erheben, des Anlasses gedacht und in Anbetracht der zur gleichen Zeit in der Innenstadt und vor dem Opernhaus demonstrierenden feindlich gesinnten Demonstrationszüge der Hoffnung auf Frieden Ausdruck verliehen.
Ingrid Gerk