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DRESDEN/ Semperoper: MEISTERKURS „DIRIGIEREN“ MIT CHRISTIAN THIELEMANN UND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE

20.03.2021 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper: MEISTERKURS „DIRIGIEREN“ MIT CHRISTIAN THIELEMANN UND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE – 18.3.2021

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Christian Thielemann. Foto: Sächsische Staatskapelle

Immer noch befinden sich Opernaufführungen sowie Symphoniekonzerte, Aufführungs- und Kammerabende der Sächsischen Staatskapelle Dresden (letztere mit einigen Ausnahmen) im Rahmen des Lockdowns an der  Semperoper erzwungenermaßen im „Dornröschenschlaf“, aber Chefdirigent Christian Thielemann und seine Kapelle schlafen nicht. Sie nutzten die Zeit und veranstalteten in konstruktiver Zusammenarbeit mit der Dresdner Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ (HfM) und ihrem Rektor, Axel Köhler, einen Meisterkurs „Dirigieren“ für Studierende, um ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die kommende Dirigenten-Generation weiterzugeben.

Seine eigenen Erfahrungen und Fähigkeiten, die man über die Jahre gesammelt hat, an junge Dirigenten weiterzugeben – das ist mir als Chefdirigent eines so traditionsreichen Orchesters wie der Staatskapelle Bedürfnis und Verantwortung zugleich“, sagte Thielemann im Vorfeld, „Ich freue mich auf den Austausch mit den Studierenden und hoffe, ihnen wichtige Impulse für ihre Arbeit mitgeben zu können. Auch ich werde viel an diesem Tag lernen.“

Thielemann, seit 2012 Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, seit 2013 Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg, seit 2015 Musikdirektor der Bayreuther Festspiele, Gastdirigent bei den großen Orchestern Europas, den Vereinigten Staaten, Israel und Asien, Ehrenmitglied der Royal Academy of Music in London, Ehrendoktor der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar und der Katholischen Universität Leuven (Belgien), ist seit Oktober 2020 auch Honorarprofessor der HfM.

Jetzt, bereits wenige Monate später, realisierte er zusammen mit der Staatskapelle einen ersten Meisterkurs mit ausgewählten Studierenden im Bachelor- oder Masterstudiengang der Fachrichtung „Orchesterdirigieren“ (Professoren Ekkehard Klemm und Georg Christoph Sandmann). In einer Probe konnten fünf angehende Dirigenten  im Umgang mit einem großbesetzten Orchester auf der Bühne der Semperoper ihre Fähigkeiten schulen und erweitern.

Jeder Teilnehmer konnte jeweils zwei Werke bzw. Symphonie-Sätze der romantischen Konzertliteratur, Carl Maria von Webers „Freischütz“-Ouvertüre oder einen Satz aus Robert Schumanns „Zweiter Symphonie“ vorbereiten, um dann unter Thielemanns Anleitung den „Feinschliff“ zu erhalten.

Es war ein ungewohnter Anblick, die Staatskapelle ohne Frack oder festliches Schwarz auf der Bühne der Semperoper zu sehen, so ganz „in Zivil“ und lockerer, bunter Vielfalt und Thielemann in einem seiner gestreiften Designer-Pullover. Die Begrüßung der Orchestermitglieder fand per Geigenbogen oder Zunicken statt. Die vorgeschriebenen Abstände bei der Sitzordnung wurden großzügig eingehalten, die größte Variante des aufgebauten „Konzertzimmers“ und die Orchesterstärke bei Werken der Romantik machten es möglich. Das Publikum musste draußen bleiben.

Es spricht für die Qualitäten der Kapelle, wie die Musiker auf das individuelle Dirigat der jeweiligen Studierenden sofort reagierten und deren Werkvorstellungen umsetzten. Dann bewirkte Thielemann mit seinen Hinweisen noch eine Qualitätssteigerung.

Die beiden Teilnehmer die sich als erste vorstellten (Ulrich Graba und Tim Fluch), hatten bei Webers „Freischütz“-Ouvertüre in jugendlichem Überschwang zunächst ein übertrieben langsames Tempo gewählt, jeder in einer etwas anderen Auffassung, der erste sehr sanft, der zweite schon etwas selbstbewusster, um die Spannung extrem „auszukosten“ und etwas Geheimnisvolles als Vorahnung auf die Opernhandlung hineinzulegen, was die bekannte Ouvertüre zunächst seltsam fremd erscheinen ließ, und danach in extrem harten Kontrasten mit plötzlichem Orchestereinsatz fortzufahren.

Die entsprechend geheimnisvolle Stimmung und eine viel intensivere Wirkung entstand aber erst durch Thielemanns „Eingreifen“ mit wohlwollenden Hinweisen und der Wiederholung bestimmter Passagen, wobei er teilweise sogar hinter dem Rücken des jeweiligen Studenten mitdirigierte, um ihm das richtige musikalische Gefühl und wichtige Verständnis für das Stück zu vermitteln. Schon nach wenigen Änderungen war der Qualitätsunterschied deutlich, der Einfluss eines guten Dirigenten spürbar. Jugend neigt zu Extremen, aber Thielemann, der ein Werk, mit dem er sich beschäftigt, intensiv erfasst, führte sie „auf den Weg der Tugend“ zurück. Vital und von Musik durchdrungen, machte er deutlich, wie sehr wirkliche Ausdrucksstärke nicht im Extremen liegt, sondern dass oft mit weniger mehr erreicht werden kann.

Dann folgte zweimal der ditte Satz (Jan Arvid Préel und Katharina Dickopf) aus Schumanns „Zweiter Symphonie“, später der zweite. Die einzige Frau unter den Teilnehmern erreichte mit ihren geschmeidigen, anmutigen Dirigierbewegungen ohne sensationelles Auftreten oder übertriebene Gesten und ohne extreme Kontraste zauberhafte Klangwirkungen und kam damit den Idealen der Staatskapelle mit ihrer spezifischen Klang- und Empfindungswelt sehr nahe. Sie hatte den Duktus dieses Satzes erfasst. Thielemann war mit dieser Klangentfaltung zufrieden und ergänzte hier und da noch ein wenig.

Mit überschäumendem Temperamt, „zackig“ und mit zwingenden Gesten, erschien der zweite Satz der Symphonie (Dionysos Pantis) zunächst fast so, wie man ihn kennt, nur etwas übertrieben, vor allem hinsichtlich des übereilten Tempos, bei dem folglich der Klang des Orchesters etwas spröder wurde. Thielemann bremste das jugendliche Temperament, und schon wirkte der Satz viel intensiver und plausibler.

Thielemann griff immer an den entscheidenden Stellen ein, gab Hinweise und Empfehlungen und ließ manches Detail ausfeilen, wodurch der Gesamteindruck eine erstaunliche Wendung und auffallende Qualitätssteigerung erfuhr. Nebenbei boten die unterschiedlichen Auffassungen der angehenden ´Dirigenten bei den gleichen Stücken auch Vergleichsmöglichkeiten, und das Ausfeilen mancher Details erschloss eine viel intensivere Sichtweise.

Immer wieder fiel die besondere Klangschönheit der Staatskapelle auf, insbesondere bei den Bläsern der „Freischütz“-Ouvertüre. Man weiß zwar nicht, wie ein anderes Orchester unter den jungen, angehenden Dirigenten reagiert hätte, um ihre Fähigkeiten zu beurteilen, aber in diesem Fall war es für sie ein großes Erlebnis und eine Orientierung bei ihrem späteren Weg in die Praxis. Dank Thielemanns Können, Erfahrungen und pädagogischem Geschick war es ein voller Erfolg. Selbst der unbeteiligte Zuhörer konnte etwas dabei  hinsichtlich Werkverständnis neu erfahren, zum Beispiel wie sehr jedes, wie selbstverständlich wirkende, Detail erst ausgearbeitet werden muss, dann aber die Wirkung des gesamten Werkes beeinflussen kann.

Ingrid Gerk

 

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