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DRESDEN/ Semperoper: „MEFISTOFELE“ VON ARRIGO BOITO – EINE „FAUST“-OPER, DIE GOETHES TRAGÖDIE SEHR NAHE KOMMT

26.10.2024 | Oper international

Dresden/Semperoper: „MEFISTOFELE“ VON ARRIGO BOITO – EINE „FAUST“-OPER, DIE GOETHES TRAGÖDIE TEIL I UND TEIL II SEHR NAHE KOMMT – 24.10.2024

Der „Faust“-Stoff übte schon immer einen magischen Reiz auf die Kunstschaffenden aller Genres aus, weshalb er mannigfaltig in Musik, Literatur, Malerei und Bildender Kunst als Sujet diente. Faust und Mephisto zieren sogar die Außen-Balustraden der Semperoper. Als Vorlage für Opern diente dieser Stoff nicht nur Charles Gounod („Margarethe“), Louis Spohr („Faust“), Ferruccio Busoni (“Dr. Faust) und Hector Berlioz für seine „Légende-dramatique“ („La damnation de Faust“), sondern auch Arrigo Boito für seine Oper „Mefistofele“. Er schrieb nicht nur seine eigenen Libretti, sondern auch welche für Amilcare Ponchielli und Giuseppe Verdi, und übersetzte Wagners „Tristan“ für die italienische Erstaufführung sowie die „Wesenock-Lieder“ und Webers „Freischütz“..

Die Musiktheater-Vertonungen nach Goethe (und auch Schiller) sind sehr unterschiedlich und entstanden nur im Ausland, in Deutschland wagte sich kein Komponist daran – aus Ehrfurcht. Berlioz konzentrierte sich auf den Künstler Faust. Charles Gounod rechtfertigt das Gretchen, indem er das Aufrichtige mit dem Sinnlichen in ihrem Gesang verschmelzen lässt. Arrigo Boito orientiert auf das Metaphysische und kommt in seiner Oper, in der er beide Teile von Goethes „Faust“ in einem Prolog, vier Akten und einem Epilog verarbeitet, mit seiner Musik dem Charakter von dessen „Großem Welttheater“ wohl von allen Komponisten am nächsten. Goethe selbst meinte zu seinem Sekretär Eckermann: „Mozart hätte den ’Faust’ komponieren müssen“ und konstatierte: „Aber Mozart ist bereits seit 37 Jahren tot“.

Das ursprüngliche „Faust“-Thema, das 1587 dem damals dominierenden christlichen Dogma entsprach und in der Gestalt des gelehrten Doktor Faust als Inbegriff eines Menschen, der über das ihm zugestandene Maß an Gelehrsamkeit und Erkenntnis hinausstrebt, zu diesem Zweck einen Pakt mit dem Teufel schließt und als drohende Warnung an alle, die sich frevelhaft über die Religion erheben wollten, ein schreckliches Ende nimmt, wurde in den verschiedenen Epochen den jeweils geltenden Paradigmen angepasst und in seinem Charakter und seiner Aussage entsprechend verändert. Faust wollte, wie es im Volksbuch heißt, „alle Gründ am Himmel vnd Erden erforschen / dann sein Freyheit vnd Leichtfertigkeit stache vnnd reitzte jhn …“. Für Goethe wurde Faust zum Inbegriff der menschlichen Geisteskraft. Er ließ den nach dem Sinn des Lebens Suchenden im Sinne seiner Zeit (und der Zukunft) optimistisch enden.

Nun war man sehr gespannt auf die Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr, die damit ihr Debüt an der Semperoper (Pr.:  28.9.2024) gab. Besucht wurde die siebente und nun schon letzte Aufführung in dieser Spielzeit (und hoffentlich nicht schon die letzte überhaupt). Es ist nicht leicht, diesen Stoff in der heutigen Zeit auf die Bühne zu bringen, um allem und allen gerecht zu werden, dem Stück, den gegenwärtigen Sichtweisen der Regisseure – und dem Publikum.

Bühnenbild & Video von Momme Hinrichs (Licht: Olaf Freese) bieten vor allem im Hintergrund viel Sehenswertes, das dem Thema sehr entgegenkommt. Die Verwendung der Drehbühne (was an der Semperoper selten vorkommt), auch in Schräglage, macht die problematische Darstellung des Himmels mit Engeln und Teufel, in die sich auch die Menschen mischen, in anspruchsvoller Weise anschaulich, ohne naiv zu wirken und zeigt Vermischung und Verwandlungen der Dinge als natürliche Vorgänge, was in der Vielfalt des Wechsels nicht unbedingt jedem Besucher sofort klar wird, zum Beisiel, dass sich der Chor, der diese transzendente Welt verkörpert, öfters umziehen muss, um das Wechseln und Verschmelzen beider Seiten darzustellen. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Jan Hoffmann) und der Kinderchor der Semperoper Dresden (Claudia Sebastian-Bertsch) sangen beide, sehr gut einstudiert, prägnant und in perfekter Harmonie.

Als Regieeinfall öffnet sich am Ende des ersten Teils der „Himmel“ und ein Ausschnitt des Schmuckvorhangs wird, sich langsam nach unten senkend, sichtbar, später auch noch einmal der Mittelteil des Vorhangs, der als elysische Szene (der Künste) ins Bühnenbild passt. Im weiteren Verlauf wird das Bühnenbild zunehmend vielschichtiger und wirkt mitunter überfrachtet und auch verwirrend, was nicht gerade geeignet ist, die Handlung einer Oper transparent zu machen und den Besuchern nahe zu bringen, zumal wenn sie weitgehend unbekannt ist. Es lenkt auch von den sängerischen Leistungen ab.

Die Kostüme von Julia Rösler bieten nur selten eine Assoziation zu Inhalt und Sinn dieser Oper. Der Liebesengel wirkt zum Beispiel mit seinem Outfit und „Gefieder“, dessen sich später Faust bedient, etwas plump. Bühnenwirksam ist anders. Hingegen verfehlen die verschleierten weißen Damen im 2. Teil ihre Wirkung nicht. Dass Faust und Mefistofele im Straßenanzug und einer Art Trenchcoat fast gleich gekleidet sind und sich nur durch Haarfarbe, mit und ohne Brille und unterschiedliches Benehmen unterscheiden, mag Absicht sein, ist aber nicht genug und manchmal verwirrend. Es nimmt der Handlung die Brisanz.

Mefistofele benimmt sich anfangs wie manch gegenwärtiger Jugendlicher, isst auf der Bühne, was früher als Unglück bringend galt, zerreißt die Blätter einer kleinen Bibel seitenweise (ein größeres Exemplar wäre eindrucksvoller gewesen) und absolviert einige „Purzelbäume“, zum Beispiel, wenn er sich zwischen das Liebespaar Faust und Gretchen kriechend hindurchzwängt. Da wären ein paar Anleihen aus der Kiste der Theater-Tricks und Tipps und ein lebhafteres Agieren des ins Geschehen eingreifenden Mefistofeles als „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ gewinnbringend gewesen. Schließlich ist er auch die Titelfigur.

Das ist aber nicht dem gut singenden polnischen Bass Krzysztof Bączyk anzulasten. Den Faust sang José Simerilla Romero zum zweiten Mal (vorher Pavol Breslik bzw. Cosmin Ifrim) mit italienischer Leidenschaft. Marjukka Tepponinen sang die Rolle der Margherita mit Engagement, wenn auch ihre Stimme wenig von der Sensibilität eines Gretchens im Goetheschen Sinn hatte. In weiteren Rollen sangen und agierten Nicole Chirka als Marta, Omar Mancini als Wagner, Dominika Škrabalová als Pantalis, Clara Nadeshdini als Elena und Jongwoo Hong als Nereo. Als „eine Frau“ las die Schauspielerin Martina Gedeck zusätzlich Goethe-Texte mit stumpf klingender Stimme durchs Mikrofon, was gegenüber den Stimmen der Sängerinnen und Sänger matt wirkte und wenig zur Geltung kam. Was für die Oper der Gesang ist, sollte für Schauspieler die Sprache sein – auch ohne Mikrofon.

Die Musikalische Leitung lang in den Händen von Andrea Battistoni, der das entsprechende Gespür für diese Musik mitbrachte und die Sächsische Staatskapelle Dresden mit Power und Feingefühl leitete, die ihrerseits hinreißende lyrische Passagen beisteuerte.

Ingrid Gerk

 

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