COTTBUS/ Staatstheater: MARTHA ARGERICH MIT ROBERT SCHUMANNS KLAVIERKONZERT BEIM LAUSITZ FESTIVAL – 11.9.2021
Einige Künstler, die bereits im vergangenen Jahr beim 2. Lausitz Festival für Furore sorgten, waren auch in diesem Jahr wieder mit dabei. Zu ihnen gehörte eine der bekanntesten Pianistinnen der Welt, Martha Argerich. Sie spielte das „Klavierkonzert a Moll“ (op. 54) von Robert Schumann mit dem Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Cottbus unter der Leitung von Jacek Kaspszyk, der einige der renommierten Orchester, wie die Berliner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks, das Orchestre de Paris, die Wiener Symphoniker und viele andere dirigiert hat.
Das Orchester ist vier Jahre jünger als das Theater, das 1908 eingeweiht wurde, ein aus heutiger Sicht sehr gewöhnungsbedürftiger Bau in sezessionistischem Stil, der als das reifste Werk des Architekten Sehring gilt, wuchtig, trutzig, mit verschwindend klein wirkenden Figuren und dekorativem Schmuck, bei denen die traditionellen Theaterdekorationen Pate standen und als Vorbild für freie Nachschöpfungen oder Kopien dienten und in und an dem wuchtigen Bau fast verschwinden. Die Innenräume des Theaters deuten ebenfalls Theater-Prunk und Pracht an, sind aber ebenfalls dem sezessionistischen Stil angepasst, unter anderem bilden unzählige Glühbirnen im Foyer eine Kuppel, die beinahe an italienische Vorbilder erinnert.
Ganz gleich, wo die Argerich auftritt und mit welchem Orchester sie musiziert, sie zieht alles in ihren Bann. Graziös und zierlich kommt die jugendliche, sehr vitale Achtzigjährige zum Flügel und, kaum dass sie Platz genommen hat und die ersten Tasten berührt, sprüht sie vor Energie und durchlebt die Musik, die sie spielt mit allen Fasern.
Schumanns Klavierkonzert verfehlt seine Wirkung nie, und erst recht nicht, wenn die unvergleichliche Martha Argerich am Flügel sitzt und ihre Finger voller Innigkeit mit klingendem, beim Hörer nachklingendem, Anschlag über die Tasten gleiten, fast streicheln lässt, oder kraftvoll mit hartem Anschlag den Widerstreit der Gefühle, den Schumann seinen beiden Gestalten, dem stürmischen Florestan und dem träumerischen Eusebius (zwei Seiten einer Seele) zugeordnet hat, bis zum Kampf der beiden auslotet.
Bei ihr ist alles im Fluss. Sie vollzieht eine Einheit zwischen Komponist, seinem Werk und ihrem Gefühl und Verstand, verzichtet auf übertrieben betonte, effektheischende Kontraste und lässt hinreißend schöne lyrische Phrasen mit kraftvollen wechseln, ohne zu übertreiben, und sich logisch aus der Komposition heraus entwickeln, verbunden durch feines Crescendo oder Decrescendo. Pedal setzt sie unmerklich, aber sehr wirkungsvoll ein, beschleunigt auch gelegentlich gewollt das Tempo, um die Spannung zu erhöhen und steigert sich immer hinein in die Musik, die sie gerade spielt. Bei allem, was sie tut, hat man den Eindruck, dass ihr dieses Werk besonders am Herzen liegt. Hier war es Schumanns einziges Klavierkonzert, mit dem sie in besonderer Weise verbunden scheint. Sie gestaltete es nach ihrem inneren Empfinden, ganz Musikalität und Verständnis für das Werk.
Mit ihrem großartigen Solopart ohne Orchester, schönen Arpeggien und erst recht mit der großen, brillant und virtuos gespielten Solokadenz, dem Kulminationspunkt des umfangreichen ersten Satzes, verzauberte sie das Publikum.
Ihr Temperament und ihr Engagement strahlten auch auf das Orchester aus, das nach anfänglicher leichter Diskrepanz sich sehr schnell auf ihr Tempo und ihre Besonderheiten eingestellt hat, den Solopart des Klaviers zunächst dezent und zurückhaltend in klassischer romantischer Orchesterbesetzung begleitete und zunehmend konform mit dem Klavierpart musizierte, das Pendant dazu bildete und in den gleichberechtigten Orchesterpassagen, den Melodiebögen folgend, zu schöner Eigenständigkeit fand, im 3. Satz mit gutem Bläserklang.
Für das begeisterte Publikum spielte die Argerich noch eine Zugabe aus Schumanns „Kinderszenen“, ließ sich aber verständlicherweise zu keiner weiteren bewegen, sondern nahm schließlich ihre FFP2-Maske und ging.
Nach der Pause öffnete sich mit Mierczyslaw Weinbergs „Symphonie Nr. 4 a Moll“ (op. 61) eine ganz andere Welt. Mit riesigem Orchesteraufgebot beschreitet hier Weinberg klassisch-romantische Wege, teils spielerisch, teils lautstark, aber auch mit sanften Tönen. Mitunter war die Nähe zu Dmitri Schostakowitsch zu spüren, ohne dass er dessen Kompositionsstil nachahmt, auch nicht dessen motorische Elemente, die mitunter andeutungsweise aufblitzten. Weinberg war kein Epigone Schostakowitschs. Beide Komponisten waren befreundet und beeinflussten und ergänzten sich gegenseitig.
Das Orchester folgte dem Dirigenten in jeder Situation und musizierte exakt. Einzelne elegische Solo-Bläser und eine sauber gespielte Trompete, aber auch das Violinsolo des Ersten Konzertmeisters ließen die Wehmut in Weinbergs ungewöhnlich hartem Leben anklingen, das jedoch auch in dieser Symphonie kaum dominiert.
Mit Engagement und Leistungswillen widmeten sich die Musiker dem, vom Dirigenten gut herausgearbeiteten, unterschwelligen Zwiespalt und Sehnsüchte nach einem „normalen“, freiheitlichen Leben ohne politische Zwänge.
Ingrid Gerk