Dresden / Semperoper: MARCELO GOMES IN FREDERICK ASHTONS BALLETT „THE DREAM“ – 26.6.2019
„Was gibt’s für Zeitvertreib an diesem Abend? Was für Musik und Tanz?“ wird in William Shakespeares meistgespielter Komödie „A Midsummer Night’s Dream“ gefragt – die Antwort: Es gab einen zweiteiligen Ballettabend mit dem neoklassizistischen Ballettklassiker “The Dream” des britischen Choreografen Frederick Ashton und der Neukreation für das Semperoper Ballett (2012) mit dem Titel “The Four Seasons” von David Dawson, dem Meister des tänzerischen Ausdrucks von Zwischenwelten und des schwerelosen Dahingleitens, ein Ballettabend der kontrastreichen Gegensätze.
Gefielen im ersten Teil die romantischen Bühnenbilder und noch romantischeren Kostüme in sehr gut abgestimmter, dezenter Farbigkeit von David Walker wie aus Gemälden dieser Zeit mit der feinen Ironie eines Carl Spitzweg entsprungen, und der, das tänzerische Treiben der Protagonisten, Elfen, Handwerker usw. in einem verzauberten Wald nahe Athen untermalenden Schauspielmusik zu „Ein Sommernachtstraum“ von Felix Mendelssohn-Bartholdys (arrangiert von John Lanchberry), dargeboten von der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Benjamin Pope, der seinerseits wiederum starke Kontraste vom sanften Säuseln bis zu kräftigen Passagen bevorzugte, waren “The Four Seasons” von dem abstrakten, fast spartanischen Bühnenbild Eno Henzes aus wechselnd beleuchteten und beweglichen geometrischen Gebilden und den Kostümen, d. h. Trikots in schwarz, braun und dunkelrot bis zu hautfarbenen Fast-Nichts-Kostümen von Yumiko Takeshima und der “Rekomposition” der “Vier Jahreszeiten” von Max Richter nach Antonio Vivaldi, die den sphärischen Klangteppich webt, geprägt.
Das Besondere an diesem Abend aber war der Auftritt des Ausnahmetänzers Marcelo Gomes in “The Dream“, der nur in zwei Vorstellungen (22. u. 26.6.) zu sehen und zu erleben war und bereits bei seinem erfolgreichen “Hausdebüt” als Prinz Siegfried in „Schwanensee“ (24., 27., 29.5.) seinen guten Ruf bestätigte. Er besticht nicht nur durch seine Bühnenerscheinung mit Top-Figur, groß und schlank, von ihm geht eine besondere Faszination aus. Er ist nicht nur ein exzellenter Tänzer, sondern auch ein beeindruckender Darsteller. Sein Auftritt ist geprägt von Ästhetik, Kunstfertigkeit und Hingabe, einer Kombination aus technischem Können und feiner Schauspielkunst (auch das gehört zu einem guten Solotänzer) mit schönen Pirouetten, Drehungen und Sprüngen und vor allem sehr guter Körperhaltung und Bühnenerscheinung.
„Es gibt nichts Besseres als einen guten Partner auf der Bühne zu haben“ meint er, und den hatte er zunächst in dem äußerst agilen Houston Thomas als Puck, ein „Energiebündel“ voller Elastizität und Schnelligkeit, der mit hohen, dynamischen Sprüngen, witzigen Posen und scheinbarer Leichtigkeit, quicklebendig tanztechnische Schwierigkeiten meisterte. Mit minutiöser Abstimmung bildeten die beiden kontrastierenden Partner eine perfekte Einheit.
Eine Partnerin ganz anderer Art war Elena Karpuhina als Titania, die Gomes‘ bühnenwirksamem Agieren in einem sehr schönen Pas de deux Zartheit und Anmut entgegenzusetzen wusste und schließlich mit seinen Bewegungen in schöner Harmonie verschmolz.
Eine Extra-Leistung zeigte Skyler Maxey-Wert als Esel (Bottom) zum Schluss, als er nicht nur lange auf Spitze tanzend, mitunter auch nur auf einer, ein Bein kontinuierlich abgespreizt, mit dem anderen sekundenlang ohne Bodenberührung fast ein verblüffendes Schweben assoziierte.
Das Ganze war eben auch mit feinem Humor gewürzt, köstlich z. B. auch, wie die beiden Heiratskandidaten Demetrius (Casey Ouzounis) und Lysander (Christian Bauch) ihre beiden, streitenden und sich raufenden Angebeteten Helena (Svetlana Gileva) und Hermia (Aidan Gibson) auseinander zu bringen suchten.
Anmutig und fein tanzten die Elfen Ayaha Tsunaki, Gina Scott, Kanako Fujimoto, und Susanna Santoro ihren Reigen, unterstrichen von dem Gesang der beiden Sopranistinnen Ute Selbig und Roxana Incontrera sowie dem Sinfoniechor Dresden, Extrachor der Sächsischen Staatsoper.
Und schließlich war auch die Company des Semperoper Ballett ein guter Partner, die dann ihre Wandlungsfähigkeit und Meisterschaft in „The Four Seasons“ bewies und mit gleicher Intensität und Hingabe tanzte. Zunächst blieb da nicht viel übrig von Vivaldis Musik, bis dann doch etwas von den originalen „Jahreszeiten“ anklang. Es wurde auch barfuß auf Spitze getanzt, sehr leichtfüßig und rasant. Die Körper schienen zeitweise entmaterialisiert. Es gab Meisterleistungen an Körperbeherrschung, Schnelligkeit, Kraft und Hingabe, solistisch und in Gruppen. So wie alle in gleichen Kostümen auftreten, so wird von allen die gleiche Exaktheit und Körperbeherrschung verlangt, die Solisten haben jedoch mehr und größere Schwierigkeiten zu bewältigen. Da läuft z. B. ein Tänzer mit Hebefigur über die Bühne, gibt es gute Sprünge und ausdrucksvolle Begebenheiten, ein sich ständiges Finden und Gruppieren und wieder verlieren. Oft durchmessen Tänzer leichtfüßig laufend die Bühne. Jeder kann auch zeigen, was er Besonderes in petto hat, und das alles zu oft motorischer Musik, die das Ganze, an ein Perpetuum mobile erinnernd, untermalt, mehr Sound als Musik, bei der nur selten Vivaldi anklingt.
Gemäß dem Goethe-Wort: „Wer Viel(seitig)es bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht zufrieden aus dem Haus“ waren die Klassik- und Romantik-Fans nicht in der Pause gegangen, sondern aufgeschlossen dem modernen, abstrakten Ballett gegenüber geblieben, und die Freaks der Moderne dem Traditionellen schon wegen der tänzerischen Leistungen nicht abgeneigt.
Ingrid Gerk