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DRESDEN/Semperoper:   „L’ORFEO“ VON CLAUDIO MONTEVERDI MIT ROLANDO VILLAZÓN IN DER TITELROLLE

13.05.2023 | Oper international
Dresden/Semperoper:  „L’ORFEO“ VON CLAUDIO MONTEVERDI MIT ROLANDO VILLAZÓN IN DER TITELROLLE – 12.5.2023

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AnastasiyaTaratorkina (Euridice) und Rolando Villazón (orfeo) mit ihren Puppenvertretern. Foto: Ludwig Olah/Semperoper

 
Claudio Monteverdis, vor über 400 Jahren (1607) im herzoglichen Palast zu Mantua sehr erfolgreich uraufgeführte, Oper „L’Orfeo“ wird oft noch (fälschlicherweise) als die älteste Oper angesehen, obwohl nachweislich schon Jahre zuvor zwei Opern von Jacopo Peri in ähnlicher Art uraufgeführt wurden („La Dafne“ 1598 und „Euridice“ 1600). Monteverdis „Favola in Musica“ in 5 Akten und einem Prolog gilt jedoch mit ihrer Verbindung von Gesang, Instrumentalmusik und Tanz unbestritten als entscheidender Beitrag für die Entwicklung der Bühnenkunstform Oper im 17. Jahrhundert mit Wirkung bis in unsere Gegenwart. Sie ist die älteste, auch heute noch allgemein populäre Oper, die aus historischem Interesse, aber auch, weil Musik und Sujet noch immer beeindrucken, gespielt wird.
 
Für das Libretto bediente sich Alessandro Striggio der Jüngere in freier Bearbeitung der griechischen Sage von Orpheus und Eurydike. Eine deutsche Neufassung schuf Carl Orff, deren erste Version 1924 in Mannheim und die zweite und endgültige 1940 in Dresden unter Karl Böhm uraufgeführt wurde. Für die, bereits für die Spielzeit 2020/21 geplante und wegen Corona verschobene, hauseigene Neuproduktion der Semperoper (Pr.: 30.4.2023) wurde die Originalfassung in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln gewählt.

Ein Trommler eröffnet im Orchestergraben mit harten, dominanten Trommelschlägen den „Prolog“, steigt dann mit „La Musica“, der in große goldrot braune Robe gehüllten, personifizierten „Musik“ und einigen weiteren Musikern im Gefolge auf die Bühne. Der Schmuckvorhang hebt sich und Alice Rossi vom Jungen Ensemble erzählt vor dem roten Samtvorhang, zusätzlich noch in rotes Licht (Fabio Antoci) getaucht, mit beachtlicher sängerischer Leistung die Geschichte des berühmten Sängers, der mit seiner Sangeskunst selbst wilde Tiere bezwang, unsterblichen Ruhm errang und nach langem, schmerzlichem Sehnen auch seine Euridice zur Hochzeit bewegen konnte. Am Schluss der Oper erscheint Alice Rossi noch einmal als Echo, womit sich der Kreis von Orfeos menschlichem Dasein schließt.

 Der gebürtige Grazer Regisseur Nikolaus Habjan gab mit dieser Inszenierung sein Hausdebüt und entführt das Publikum in seiner Lesart nach einem ausgelassenen Hochzeitsfest, wo die Sektpfropfen in Arkadien knallen, mit teilweise klangschön singendem Chor (Sächsischer Staatsopernchor, Einstudierung: Jonathan Becker) und Ballett (Choreographie: Esther Balfe) in goldenen Kostümen, Hirten und Nymphen in Weiß und eine Nymphe, in strahlendem Blau, in die Unterwelt der griechischen Mythologie, wo alles im Dunkel versinkt und nur die personifizierte Hoffnung (La Speranza), verkörpert von dem bärtigen, mit hoher Frauenstimme singenden Eric Jurenas (Rollendebüt), in Weiß leuchtet und beide mit viel Dampf empfangen werden.

Die Kostüme schuf der im Kongo geborene, freischaffende Kostümbildner Cedric Mpaka, der schon mehrmals mit Habjan zusammengearbeitet hat und endlich einmal auf die fast schon obligatorisch gewordene Alltagskleidung verzichtet.

Die spektakuläre Ausstattung besorgte der österreichische Bühnenbildner, Regisseur und Produzent Jakob Brossmann in immer neuen, wirkungsvollen Bildern. Bestimmendes Element ist eine übergroße, kreisrunde Öffnung, die den Blick auf die Unendlichkeit des Weltalls richtet, beim Hochzeitsfest zur strahlenden Sonne wird, sich sukzessive verdunkelt, wenn Štěpánka Pučálková als Nymphe und Euridices Freundin, hier als „eine Botin“, mit leicht gutturaler, aber ausdrucksvoller Stimme Euridices Tod verkündet, beim Eintritt in die Unterwelt wie bei einer Sonnenfinsternis erscheint und am Ende den strahlenden Sonnengott Apoll (Simeon Esper) wie Kaiser Augustus präsentiert, der Orfeo in die Götterwelt aufnimmt. Darunter befindet sich eine große runde Treppe, die aufwärts in die Höhen des Lebens und der Gefühle führt und abwärts in den Hades, denn „höchste Höhe und Abgrund liegen nah beieinander“.

In der Mitte steht ein knorriger alter Olivenbaum, dessen weitverzweigte Wurzeln nach Drehung der Treppe eine bedrohliche Unterwelt bilden, wo überlebensgroße Puppen mit beleuchteten Händen und Gesichtern erschreckend wirken sollen. Am Rand des Bildes befinden sich abgebrochene weiß-grau-schwarze Basaltsäulen, eine symbolische Andeutung, dass ein Vulkan von unten plötzlich in das friedliche Leben auf der Erde einbrechen kann, Unterirdisches und Oberirdidsches miteinander verwoben und meist unbeachtet in Bewegung sind.

Habjan stellt Orfeo und Eurydike zwei lebensgroße bewegliche Figuren in weißen Gewändern an die Seite, die von Puppenspielern und den eigentlichen, in schwarz gehüllten Protagonisten geführt werden. Letztere scheinen dabei im Schatten dieser markant gestalteten und lebensnah geführten Puppen zu stehen, die zu den eigentlichen Akteuren werden, da auf sie gezielt das Augenmerk gerichtet wird.

Warum müssen eigentlich Puppen die Handlung übernehmen? Das ist nicht unbedingt neu und hat schon in anderen Inszenierungen und an anderen Opernhäusern Rätsel aufgegeben. Hat Orfeo in seiner großen Liebe zu Euridice solche Berührungsängste, dass er sie nicht selbst darstellen soll oder soll verdeutlicht werden, wie sehr die Menschen in Glück und Unglück Marionetten des Schicksals sind?

Als sich Rolando Villazón, der jetzt sein Herz für alte Musik entdeckt hat, als sagenhafter Sänger Orfeo, der mit seiner Kunst nicht nur Menschen und Tiere und die Furien der Unterwelt (und auch das Publikum) betören konnte, sondern auch den unerbittlichen Fährmann Carone einzuschläfern vermochte, sich endlich von seinem Puppen-Pendant, dem ausschließlich nur liebenden „Ich“, trennen konnte, um nur noch der Tugend zu leben, blühte seine Stimme auf, gestaltete er emotional ausdrucksstark und nach allen Regeln der Alten Musik, mit sehr natürlich und wie selbstverständlich erscheinenden Verzierungen im Fluss seines wohlklingenden Gesanges mit berührender Innigkeit und entfesselter Leidenschaft sehr nachhaltig einen schillerenden Titelhelden, und auch seine Darstellung und Rollengestaltung konnten noch freier und eindrucksvoller werden.

Für Euridice bleibt in dieser Oper, bei der ausschließlich Orfeo und seine Gefühle im Mittelpunkt stehen und sie vor allem in seiner Reflexion erscheint und sehr bald an einem Schlangenbiss stirbt, fast nur eine „Episoden“-Rolle. Anastasiya Taratorkina konnte bei ihrem Hausdebüt vor allem der Puppe ihre Stimme leihen und ihr gesanglich Leben einhauchen.

Ebenfalls als Hausdebüt verlieh Bogdan Talos mit profunder, gut klingender Stimme und guter Gesangstechnik dem unerbittlichen Styx-Fährmann Caronte Nachdruck.

Dem noch grimmigeren Totenfürst Plutone als bedrohlich schwarzem Ritter mit Leuchtaugen verlieh Tilmann Rönnebeck überzeugend Stimme und Gestalt. Er konnte nur durch den einschmeichelnden Gesang der mitleidvollen Proserpina, die sich selbst opfert und darauf verzichtet, einmal im Jahr auf die Erde zurückzukehren, beschwichtigt und zur Freigabe Euridices bewegt werden. Ute Selbig glaubte man mit ihrer schönen Stimme und innigem Hirneinversenken in die Rolle gern, dass sie mit Lieblichkeit und Charme selbst einen Plutone umstimmen konnte. Es war ein sehr erfreuliches Wiedersehen mit ihr, auf das die Opernfreunde lange gewartet haben und hoffen, ihr bald wieder auf der Bühne der Semperoper zu begegnen.

Ebenfalls vom Haus und lange auf der Bühne vermisst, überzeugte auch Christiane Hossfeld als (weitere) Nymphe mit ihrer fundierten Gesangskunst.

Als Hirten und Geister doppelt besetzt, fungierten Antonio Sapio und Ilya Silchuk vom Jungen Ensembles sowie Aaron Pegram und Justyna Olów.

Die für historische Aufführungspraxis spezialisierte lautten compagney BERLIN unter der Leitung ihres Gründers Wolfgang Katschner, die mit dieser Oper ebenfalls ihr Hausdebüt  gab, bildete mit dem warmen, weichen Klang ihrer alten, zum Teil ungewohnten und nur noch bei Alter Musik eingesetzten, Instrumenten das ideale Fundament. Mit Lieblichkeit und Klangschönheit untermalten und unterstrichen sie die Gesangsnummern und trugen wesentlich zu einer sehr vitalen und emotionalen Aufführung bei, die beim Publikum im schon lange vorher ausverkauften Haus Begeisterung auslöste, wie man sie so bei Alter Musik nicht erwartet.

 

Ingrid Gerk

 

 

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