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DRESDEN/ Semperoper: LES HUGUENOTS / DIE HUGENOTTEN” VON GIACOMO MEYERBEER IN DER LESART VON PETER KONWITSCHNY

14.07.2019 | Oper

Dresden / Semperoper: “LES HUGUENOTS / DIE HUGENOTTEN” VON GIACOMO MEYERBEER IN DER LESART VON PETER KONWITSCHNY – 13.7.2019

Bei Gewitter und Sturm strebten die Besucher der Semperoper zu, zur fünften und letzten Vorstellung vor der Sommerpause von „Les Huguenots/ Die Hugenotten“ von Giacomo Meyerbeer in der Regie von Peter Konwitschny, der letzten Neuproduktion der Saison 2018/19, die schon bei der Premiere (29.6.2019) für heftige Diskussionen hinsichtlich „Originalfassung“ und gravierender Striche gesorgt hatte. Nach seiner sehr umstrittenen Inszenierung der „Csárdásfürstin“ (1999) kehrte Konwitschny nach nunmehr fast 20 Jahren auf Einladung des neuen Intendanten Peter Theiler an die Semperoper zurück.

Jaja, die Regisseure haben es heutzutage schwer! Sie wollen und sollen die Kunstform „Oper“ modernisieren, aber auch das überwiegend konservative Publikum, zu dem erstaunlicherweise auch die Jugend, die beruflich nichts mit Theater zu tun hat, gehört, bei Laune halten und sich andererseits in Fachkreisen unter Beibehaltung der gegenwärtig üblichen Inszenierungs-Elemente und -orientierungen als epochemachende Neuerer beweisen.

Konwitschny hat sich die, 1836 als Auftragswerk der Grand Opéra in Paris uraufgeführte und danach sehr oft gespielte Oper, die zum Schlüsselereignis der Operngeschichte wurde, so zurechtgeschneidert, wie er sie für seine Darlegungen braucht. Er hat die, von ihren ursprünglichen Verfassern für eine vom 17. bis 19. Jahrhundert beliebte, konfliktreiche Handlung einer Liebesbeziehung mit mehreren Beteiligten als Hintergrund zurechtgeschnittene, brisante Historie in den Vordergrund gerückt, in seiner Lesart aus psychologisierender Sicht „weiterentwickelt“ und ihr dafür große Teile der Musik geopfert, Arien gekürzt und Musik umgestellt sowie große Teile des 5. Aktes gestrichen. Im 1. Akt lässt er die Musik zweimal anhalten, um jeweils eine kurze, stumme Szene einzufügen. Außerdem, fügt er die hier (eigentlich überflüssige) historische Gestalt der Maria Medici, die maßgeblich für das Massaker an den Hugenotten verantwortlich war, ein und nennt das Ganze dann „Originalfassung“. Die ursprüngliche Oper findet nur zu etwa 2/3 statt und erscheint so kaum mehr als die „Grand Opéra“.

Der Begriff „Original“ (Originalfassung, Originalklang usw.) wird jetzt von Regisseuren und Musikern gern benutzt und arg strapaziert. Von der Originalfassung einer Oper sollte man nur sprechen, wenn auch eine Uraufführung in dieser Fassung stattgefunden hat. Für den Auftritt der Maria Medici hat Meyerbeer zwar etwas komponiert, aber noch vor der Uraufführung wieder verworfen. Bei den von Eugène Scribe und Émile Deschamps in französischer Sprache verfassten, Text(teil)en hält man sich insofern an das Original, als in französischer Sprache (mit deutschen und englischen Übertiteln) gesungen wird.

Zusammen mit dem Opern- und Schauspielausstatter Johannes Leiacker schuf Konwitschny seine eigene Version dieser Oper. Den Besucher empfängt auf dem Vorhang Leonardo da Vincis berühmtes Gemälde, das „Abendmahl“, als Synonym für Liebe und Gemeinschaft, wobei auch hier der Verrat in Gestalt des Judas lauert. Vor jedem neuen Akt wird das Bild kleiner, so wie die Hoffnung auf Gemeinsamkeit und Toleranz schwindet, sich die Handlung zuspitzt und der Konflikt zu eskalieren droht. Die große Tafel, an der die Jünger sitzen, findet sich dreidimensional auf der Bühne wieder, wenn Katholiken, eingeladene Hugenotten oder ausgelassene, bis zum Ausufern feiernde Studenten (darunter auch welche im mindestens 40. Semester) bei entsprechenden Anlässen Platz nehmen und das Brot, da die Oper in Frankreich spielt, natürlich die Baguette teilt, bis die Stücke durch die Luft fliegen.

Die Katholiken werden als übermäßig lebenslustig, feierfreudig und dem genussreichen Leben bis zum Überdruss zugetan, dargestellt, die Hugenotten als spartanische, fanatische, unversöhnliche, auf Kampf eingestellte „Fundamentalisten“, so dass die Sympathie des Publikums auf keiner Seite ist, und auch die ehrliche, unter diesen Bedingungen zum Scheitern verurteilte Liebesgeschichte oft plakativ wirkt und nicht wirklich „zündet“. Der Zuschauer bleibt weitgehend ungerührt.

Anstelle der einst opulenten Bühnenausstattung – wie sie u. a. auch in einer der Lünetten im Foyer der Semperoper zu sehen ist ‑, blieben nur abstrahierte Räume. Das Bühnenbild wird vor allem durch die Kostüme dominiert, bei denen die Katholiken in spanisch-französischen Renaissance-Fantasie-Kostümen aus purpurrotem Samt mit verschiedenen weißen Kragen oder angedeuteter spanischer Halskrause zu erkennen und die führenden Protagonisten äußerlich nur durch bestimmte Accessoires von den übrigen, selbst den Studenten, zu unterscheiden sind, und die Hugenotten an schlichtem, strengem Schwarz. Stereotyp ergeben sich immer wieder diese zwei, sich feindlich gegenüberstehenden, Fronten.

Flüchtig betrachtet, vermitteln die Kostüme, ein mehrarmiger Silberleuchter mit echten brennenden Kerzen sowie die Verschiebung von Räumen, für die endlich einmal wieder die leistungsfähige Bühnentechnik eingesetzt wird, fast den Eindruck einer stilgerechten Inszenierung, aber natürlich dürfen da moderne Verfremdungen nicht fehlen. Der ganz passabel singende und locker spielende Page (Stepanka Pucalkova) muss seine Nachricht mit einem Bündel Luftballons überbringen.

Die als „Novum“ erscheinende katholische Catherine de Médicis, Regentin von Frankreich (Sabine Brohm) verkündet wie eine unbestimmte „Queen Mum“ in altmodischem Kleid, Hut und Mantel, den ihr einer der beiden „Bodyguards“ wie ein Kavalier abnimmt, entsprechend Gegenwart von einem schmalen Rednerpult aus ihren Aufruf zum Mord an Tausenden Hugenotten in nur einer Nacht im Paris des Jahres 1572 und trinkt ein Glas Wasser (nur, wer Böses dabei denkt!). Deren Tochter, Marguerite de Valois, Königin von Navarra (Venera Gimadieva), empfängt die offiziellen Besucher in einer freistehenden Badewanne mit Löwenfüßen, in der sie auch geschmeidig und locker, mit kühler Brillanz, ohne Übertreibung ihre Bravour-Arie singt, umgeben von ihren Hofdamen in Sauna-Outfit und einer Harfenspielerin.

Zwei Hugenotten kriechen zwecks verschwörerischer Absprache wie in einem Kinderbuch unter dem Tisch hervor. Raoul de Nangis (John Osborn) alter, treuer Diener Marcel in den besten Jahren scheint hier überhaupt keinen Charakter zu haben oder nur den eines aggressiven Kampfgeistes. Der hünenhafte, sich gegen seinen relativ kleinen, aber sich gesanglich zu großer Form aufschwingenden Herren wie ein Goliath der Reformation ausnehmende John Relyea, muss noch auf den Tisch steigen, um seiner aggressiven Gesinnung mit seinem frommen Kampflied wie bei allen seinen anderen Auftritten mit lauter Stimme, volltönend und mit (fast immer) entsprechender Tiefe Nachdruck zu verleihen, wobei er sich nach gutem Wissen und Gewissen in seine Rolle vertieft.

Es gibt zwar keine der sonst üblichen Stühle, aber in einer Kampfszene gehen die Männer immerhin mit Hockern statt Schwertern aufeinander los. Kurz vor Schluss gibt es noch ein gut gesungenes Liebesduett zwischen Valentine, Raoul und seinem Diener, der die beiden traut, etwas zu kraftvoll, was bei der Akustik der Semperoper nicht nötig gewesen wäre. Tilmann Rönnebeck kann als Graf de St. Bris mit guter Darstellung und Gesang aufwarten. Auch kann es Konwitschny nicht lassen, dass sich die, von Raoul zweimal verlassene Braut Valentine, die stimmgewaltige, auch expressiv singende, Jennifer Rowley, als er sie unsanft zurückstößt, um für seine Brüder zu kämpfen, liebevoll an ihren toten Gatten, den Grafen de Nevers (Christoph Pohl, der mit guter, kraftvoller Stimme sang, als er noch „lebete“), den sie Raouls wegen verlassen hat, liebevoll kuschelt, um bei ihm Liebe und Zuflucht zu suchen (!) – makaber wie einst der „kopflose“ Tanz in seiner umstrittenen Inszenierung der „Czárdasfürstin“.

Zuflucht suchen auch die Hugenotten, Männer, Frauen und Kinder, im arg gestutzten 5. Akt (original in einer Kapelle auf dem Friedhof), bei Konwitschny/Leiacker in einem schwarzen Raum mit hellen Lichtstreifen und Blick auf den blutgefärbten, von Fackeln erhellten Himmel und werden „auf der Flucht erschossen“, sogar mit Maschinengewehr-Salven. Entgegen dem ursprünglichen Schlussbild, bei dem der Page die Ankunft der Königin von Navarra ankündigt, um dem Blutbad ein Ende zu bereiten, während der Pöbel weiter rast, schreitet ein Bassklarinettist durch die Menge der Toten ein trauriges Solo, eine verwehende, berührende Abschiedsmelodie auf seinem Instrument spielend (die aus der Mitte des 5. Aktes ans Ende verlegt wurde.

Da die Oper in Dresden 1921 zum letzten Mal gespielt wurde, gibt es für viele Besucher kaum Vergleiche, sofern sie die Oper nicht schon an anderen Opernhäusern gesehen haben. Sie bewundern die für sie überraschend gute Musik des in Dresden mehr namentlich und in Verbindung mit Richard Wagner, als durch seine Musik bekannten Meyerbeer und die Sängerleistungen und nehmen an, dass alles so sein müsste, obwohl durch die Kürzungen und Striche Brüche entstehen und die Handlung abrupte Wendungen erfährt.

Unter der Leitung von Stefan Soltész begann die Sächsische Staatskapelle Dresden sehr feierlich die Ouvertüre mit dem Zitat des Luther-Chorales „Ein feste Burg ist unser Gott“, der die Oper, vielfältig variiert, durchzieht und die Auftritte der Hugenotten wie eine „Erkennungsmelodie“ begleitet (was Richard Wagner später zu seiner Leitmotivik angeregt haben mag), obwohl zwischen Hugenotten und Lutheranern wie auch allen anderen reformatorischen Strömungen eine mindestens so unversöhnliche Feindschaft bestand, wie gegenüber dem gemeinsamen katholischen Erzfeind, und das nur wegen einiger unterschiedlicher Begriffe, Wortdeutungen oder Bibelauslegungen. Man stritt „um des Kaisers Bart“ bis aufs Messer (aus Machtstreben), obwohl doch alle zu dem gleichen Gott beten! Dass Meyerbeer Luthers Choral den Hugenotten in den Mund legt, wurde lange Zeit als Affront empfunden, aber in der Oper nahm man es mit der Original-Historie früher, vor allem auch im Ausland, nicht so genau. Da kam es vor allem auf theatralische Wirkung an.

Im weiteren Verlauf vermisste man dann allerdings im Orchestergraben mehr Inspiration seitens des Dirigenten. Die Herren des Staatsopernchores, die im 1. Akt vor allem laut gesungen hatten, enttäuschten später mit ihrem unscharfen, rauen und farblosen „A‑capella-Gesang“ in beiden scharf gegeneinander sich abgrenzenden Lagern. Der „Jungfrau Maria“-Chor als reiner Chor der katholischen Frauen wirkte hingegen sehr klangschön und innig, obwohl dabei zwei Mädchen (Petra Havrankova und Brynne McLeod) die Hugenotten mit Mitra und Nonnenhut zu provozieren suchten – ohne Erfolg.

Bei den Solisten gab es vorwiegend Zustimmung und viel Applaus nach ihren anspruchsvollen Arien. Mag es an den Wetterunbilden oder sonst etwas gelegen haben, es dauerte etwas, bis sie sich in ihre keinesfalls leicht zu singenden Bravour-Arien steigerten.

Ingrid Gerk

 

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