Gregory Kunde, Emily Magee. Foto: Youtube
Dresden / Semperoper: PREMIERE: „LA FORZA DEL DESTINO / DIE MACHT DES SCHICKSALS“ – 28.4.2018
Für die neueste Inszenierung an der Semperoper „La forza del destino/Die Macht des Schicksals“ von Giuseppe Verdi wird in Dresden mit Großpostern, auf denen der „Berg der Kreuze“ in Litauen, ein katholisch und touristisch geprägter Wallfahrtsort, zu sehen ist, geworben. Keith Warner erzählt die Geschichte adliger Personen zwischen Ehre, Krieg, realistischen und seelischen Kämpfen und Zuflucht in Glauben, Kirche und klösterlicher Weltferne ganz „im Sinne des Kreuzes“.
In der Entstehungszeit der Oper waren Ehrgefühl und Rachedurst noch stärker als Freundschaft und Dankbarkeit, selbst die Rettung des eigenen Lebens wurde hintenangestellt. Eine Versöhnung war unmöglich, wenn die Protagonisten in ihren Emotionen gefangen und Ehrbegriffen erstarrt waren. Deshalb werden Don Carlo di Vargas, Donna Eleonoras Bruder, und Don Alvaro, der Fremde, ihr Geliebter und angeblicher „Verführer“, sich selbst zum Schicksal. Sie’s drum, Verdis Musik, für die diese Handlung der „Aufhänger“ ist und die auch heute noch wie damals „zündet“ und die Gemüter bewegt, ist auf jeden Fall eine Inszenierung wert. Und so stand denn auch die Musik mit außerordentlichen Interpreten im Mittelpunkt dieser Premiere.
Warner verzichtete darauf, die Oper „gegen den Strich zu bürsten“ oder in fremde Gefilde und Zeiten zu verlegen, denn dann hätte sie an Brisanz verloren. Er bringt die Handlung, über die man in heutiger Zeit geteilter Meinung sein kann, in bewegenden Szenen auf die Bühne. Was dargestellt wird, entspricht dem, wovon gesungen wird. Zum ersten Mal gab es seit längerem keine Buh-Rufe am Premierenende für das Regie-Team. Nur der notorische „Bravuh“-Rufer, der sich entweder nicht entscheiden kann, oder nur Aufsehen erregen möchte, fand sich – wie bei allen besonderen Opernereignissen – auch hier ein.
Zunächst empfangen den Besucher auf der Bühne zwei bedeutungsvolle Gestalten, dargestellt von zwei Komparsen, die eine Meisterleistung im regungslosen Stillstehen vollbringen, als Tod dräuender Inka mit Totenschädel in der Hand und (lt. Programmheft) ein Engel (ohne Flügel) in Madonnengestalt, zwei Gegenpole für Alvaros‘ und Leonoras‘ Herkunft und Familienbande, aus denen Befangenheit in Ehrgefühlen resultiert. Dazwischen ein Kreuz. Auf dem Boden liegen zwei, sich diagonal kreuzende „Laufstege“, die ebenfalls als Kreuz gedeutet werden können und auf denen, durch unterschiedliche Beleuchtung unterstrichen, die wesentlichen, emotional betonten, Begegnungen der jeweils Agierenden stattfinden.
Grundelement der Bühnengestaltung (Julia Müer) ist ein großes Haus, das in verschiedene Richtungen geöffnet werden und je nach Situation mit glatten oder ausgezackten Rändern den Blick in einen Innenraum, dunkle Gestalten beim Glückspiel, Lazarett usw. freigeben kann. Es wird innerhalb und außerhalb dieses Gebäudes gespielt, auch gleichzeitig. Hier wurden die gegenwärtig üblichen Gestaltungselemente auch verwendet, aber sinnvoll und folgerichtig eingesetzt. Das Bühnenbild entspricht in allen Phasen dem, wovon gesungen wird. Die Kostüme von Tilo Steffens sind realistisch und sorgen für entsprechende Assoziationen. Für die Choreografie, in die Handlung integrierter, theaterwirksamer Kampfszenen sorgte Ran Arthur Braun.
Die großartige Sängerbesetzung ließ keine Wünsche offen. Es gab gleich mehrere hervorragende Männerstimmen, allen voran Stephen Milling als Marchese di Calatrava und später als Il Padre Guardiano, kraftvoll, dramatisch singend, und dennoch mit sehr noblem Timbre, desgleichen Alexey Markov als Don Carlo di Vargas, der bis zum Schluss bei aller Dramatik und hohen Anforderungen mit wohlklingender Stimme begeisterte. Für den amerikanischen Tenor Gregory Kunde, einen der erfolgreichsten Sänger der internationalen Opernbühne und führenden Vertreter vieler Verdi-Rollen, gehört der Don Alvaro, dem er seine kräftige, dramatische Stimme lieh, zu den Höhepunkten dieser Saison.
Für den sängerischen Glanz einer Oper sorgt naturgemäß die Sopranstimme, in diesem Fall eine der bedeutenden Stimmen der jüngeren Generation, die der amerikanischen Sopranistin Emily Magee, die mit großem Rollenrepertoire von Mozart bis Wagner international mit großem Erfolg auftritt und an der Semperoper bereits Ariadne und Tosca gesungen hat. Mit ihrer strahlenden, kraftvollen Stimme, die auch dann noch klingt, wenn sie die schwierigsten Passagen bewältigt, gestaltete sie die Rolle der Donna Leonora hochdramatisch und ausdrucksstark und bekrönte sie mit ihrer großen Arie in dem Wunsch nach innerem und äußerem Frieden.
Selbst die kleineren Rollen waren mit guten Stimmen und Sängern mit entsprechendem Gestaltungsvermögen besetzt. Christina Bock hätte man lediglich bei ihrem Auftritt als Zigeunerin Preziosilla – sie sang auch die Zofe der Leonora namens Curra – noch etwas mehr „Zigeunerblut“ und Temperament gewünscht. Pietro Spagnoli und Alexandros Stavrakakis gaben als Fra Melitone und Un Alcade den „kleinen Leuten“ aus dem Volke, die im Kloster die „niederen“ Tätigkeiten verrichten und ihrem Unmut unverhohlen Luft machen, Profil.
Die „gehobenere“, die Handlung kommentierende „Stimme des Volkes“ vertrat der gut und zuverlässig singende, von Jörn Hinnerk Andresen sehr gut vorbereitete Sächsische Staatsopernchor Dresden, verstärkt durch den Sinfoniechor Dresden.
Die Sächsische Staatskapelle Dresden korrespondierte unter der Musikalischen Leitung von Mark Wigglesworth einvernehmlich mit den Sängern und ließ ihnen alle Möglichkeiten zur freien Entfaltung.
Diese Premiere war zweifellos ein Höhepunkt der Saison und lässt die musikalische Welt wieder nach Dresden an die Semperoper blicken.
Ingrid Gerk