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DRESDEN/ Semperoper: LA BOHÈME – immer wieder berührend

20.01.2018 | Oper

Dresden / Semperoper: „LA BOHÈME“, IMMER WIEDER BERÜHREND – 19.1.2018

Es dürfte die älteste Inszenierung sein, die an der Semperoper noch läuft, und sie läuft gut, die 1983, noch bevor die Semperoper (1985) wieder eingeweiht wurde, am damaligen Großen Haus, jetzt Schauspielhaus, von Christine Mielitz eingerichtete realistische Inszenierung von Giacomo Puccinis tragischer Oper „La Bohème“. Sie ist noch immer zugkräftig, wie auch die 337. Vorstellung bewies. Vor dem Opernhaus wartete eine lange Besucherschlange. Das Haus war dann bis in den obersten Rang gut besetzt, im Publikum zahlreiche Jugendliche.

Inzwischen wurden in der Regie einige Details hinzugefügt oder verändert und das Ganze auch ein bisschen frivoler „aufgemischt“ (Spielleitung: Gunda Mapache), aber die Bühnenbilder mit Dachkammer über den Dächern von Paris (1. und 4. Akt), das Café Momus (2. Akt) und die triste Straßenfront vor den Toren der Stadt (3. Akt) sowie die Kostüme von Peter Heilein mit Anleihen vom Ende des 19. Jahrhunderts blieben erhalten, was den Reiz dieser Inszenierung ausmacht, die vom Publikum immer wieder gern angenommen wird.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden – am Pult John Fiore – spielte hingebungsvoll und brachte die „Liebe über den Dächern von Paris“ den Besuchern emotional nahe. Fiore eröffnete zwar jeden Akt lautstark, offenbar gewohnt, in anderen Opernhäusern das Publikum zur Ruhe zu zwingen, was in Dresden (bis auf sehr wenige Ausnahmen) nicht nötig ist. Hier erwartet das Publikum distinguiert die Aufführung. Nach vehementem „Auftakt“ bei jedem Akt sorgten das hingebungsvolle Spiel der Musiker und der berührende Klang der Kapelle während des gesamten Abends für eine emotional aufgeladene Aufführung, obwohl die Herren der Sängerriege allgemein ziemlich nüchtern sangen und agierten.

Die künstlerische Randgruppe der Bohèmiens war durch Dmytro Popov als Dichter Rodolfo und John Chesi als Maler Marcello, beide mit großer, etwas harter Stimme, Sebastian Wartig als profilierter Musiker Schaunard und Martin Nijhof als Philosoph Colline, der seinen treuen Mantel besingt, bevor er ihn ins Leihhaus bringt, vertreten. Bei Popov hätte man sich vor allem in den Arien mehr Schmelz in der Stimme gewünscht, was bei Puccini nun einmal dazugehört. Chesi war ein praktischer, bodenständiger Typ, ein geradliniger Marcello ohne große Emotion und Leidenschaft, was aber eigentlich zur Rolle gehört, schon damit seine immer wieder auf eine harte Probe gestellte Liebe zur Musetta glaubhaft wird.

Gute Charakterstudien zeigten trotz kleinerer Rolle Hans-Joachim Ketelsen, der gut bei Stimme, mit sehr guter Artikulation und plausibler Darstellung eindrucksvoll einen Hausbesitzer Benoit von Format zeichnete, und Bernd Zettisch, der den Staatsrat Alcindoro als typischen, verliebten alten Trottel charakterisierte.

Den stärksten Eindruck hinterließen die Frauen. Maija Kovalevska legte die Rolle der Mimi sehr sensibel mit der Naivität eines einfachen, ehrlichen jungen Mädchens an, das, von Krankheit gezeichnet, eine aufrichtige Liebe mit allen Höhen und Tiefen erlebt. Sie sang mit Leidenschaft und vertiefte sich ganz in die Rolle, bei der sie die sanften Seiten mit zarter Empfindung und entsprechender Feinheit betonte.

Im Gegensatz dazu verkörperte Emily Dorn die raffinierte Musetta, mit leistungsfähiger Stimme, frivol und eigenwillig und zeigte am Ende ein gutes Herz und viel Mitgefühl für die sterbende Mimi im tragischen Finale.

Puccini wollte „die Welt zum Weinen bringen“, was ihm mit dieser Oper zweifellos gelungen ist, zumindest, wenn die Sächsische Staatskapelle so eindrucksvoll den großen Gefühlen Ausdruck verleiht.

Der Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: Cornelius Volke) und der Kinderchor bildeten wie immer mit (gespielter) Natürlichkeit einen sinnvollen Rahmen für die Handlung, vor allem in den bewegten Szenen des Weihnachtstrubels (2. Akt).

Ingrid Gerk

 

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