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DRESDEN/ Semperoper: JANÁCEK, PROKOFJEW, MARTINU UND BRAHMS IM 6. KAMMERABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN

26.04.2024 | Konzert/Liederabende

Dresden/Semperoper: JANÁCEK, PROKOFJEW, MARTINU UND BRAHMS IM 6. KAMMERABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 25.4.2024

 

Die im Rahmen der orchestereigenen Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle stattfindenden Kammerabende gehen auf eine Selbstverpflichtung von Kapellmitgliedern im Jahr 1854 zurückgeht und erfreuen sich gegenwärtig größter Beliebtheit. So viel Zuspruch hat Kammermusik bisher selten erlebt. Die Ausführenden, Mitglieder der Staatskapelle und mitunter auch Gäste, treten, nur durch einen „Unkostenbeitrag“, das sogenannte „Frackgeld“, „entlohnt“, auf und bringen unbekannte und bekannte, ungewohnte und beliebte, alte und neue, sehr selten gespielte oder noch nie öffentlich aufgeführte, in jedem Fall aber stets interessante Werke der Kammermusik in hoher Qualität zur Aufführung.

Auf dem Programm des 6. Kammerabends der Saison, standen zunächst drei kleinere Werke großer Meister des 20. Jahrhunderts in unterschiedlicher Besetzung, bei denen die Instrumentierungskunst und das Spiel mit Klangfarben und feinen Nuancen bestach, sowie zum Abschluss ein klassisch-romantisches Kammermusikwerk.

Der Abend begann mit einem Rückblick, „eine Art Erinnerungen an die Jugend“, wie der fast siebzigjährige Leoš Janáčeks seine Suite „Mládi“ für Flöte, Oboe, Klarinette, Bassklarinette, Horn und Fagott charakterisierte. Wie Richard Strauss widmete er sich nach seinen erfolgreichen Opern im Alter nur noch der Instrumentalmusik und machte sich mit der, 1924 bei einem Sommeraufenthalt in seinem Geburtsort, dem kleinen ostmährischen Dorf Hukvaldy, im „klassizistischen“ Stil komponierten, Suite selbst das schönste Geschenk zu seinem 70. Geburtstag. Er fasst darin, umrahmt von der auf Instrumente übertragenen Sprechmelodie des volkstümlichen Rufs „Mládi, zlate Mládi!“ („Jugend, goldene Jugend“) als Thema im ersten und letzten Satz, seine Erinnerungen an seine Kindheit und Jugendzeit in Töne, die ihm vielleicht unbeschwerter und hoffnungsvoller erschien, als sie in der Realität war, aber das haben Jugenderinnerungen so an sich.

Sechs Bläser der Staatskapelle (Bernhard Kury, Flöte, Volker Hanemann, Oboe, Jan Seifert, Klarinette, Christian Dollfuß, Bassklarinette, Andreas Börtitz, Fagott, Klaus Gayer, Horn) spielten die sechs Sätze heiter und beschwingt, sehr exakt und sehr sauber, transparent, sehr harmonisch und gut untereinander abgestimmt. Da klangen auch die Schattenseiten in der etwas düsteren Stimmung des zweiten Satzes an, wobei in freien Variationen auch so mancher Lichtblick durchschimmerte. Im dritten Satz mit seinem, kurz zuvor für seinen Kopisten komponierten Marsch „Blaukehlchen“ wurde die Erinnerung an seine Zeit im Alt-Brünner Augustiner-Stift wahr, dessen Schüler er war. Wegen ihrer blauen Uniformen und weil sie mitunter singend und pfeifend durch die Stadt marschierten, wurden die Schüler „Blaukehlchen“ genannt.

Allgemein und insbesondere im munter-temperamentvollen Finale entstand ein heiter verklärender Blick auf Janaceks Jugendzeit und vielleicht auch auf dessen späte platonische Liebe zu Kamila Stösslová, der er ein verjüngendes Lebensgefühl verdankte, sehr plastisch, frisch, mit scharfsinnigem Humor und vor allem liebenswürdig geschildert, wobei auch die folkloristischen Anklänge an die mährische Volksmusik immer wieder aufblitzten.

Das kam beim Publikum sehr gut an, das auch begeistert, ja euphorisch das ganz anders geartete „Quintett g-Moll“ von Sergej Prokofjew aufnahm. Ursprünglich 1924 in Paris in sehr kleiner Besetzung für eine erfolgreiche Produktion der Balletts russes entstanden, in der der Choreograf Boris Romanow unter dem Titel „Trapez“ Episoden aus dem Zirkusleben vorstellt, die auch in Deutschland und Italien gezeigt wurden und sich großer Beliebtheit erfreuten, entstand daraus drei Jahre später in Moskau eine Musik für den Konzertsaal, die vom Publikum ebenfalls mit Begeisterung damals wie heute aufgenommen wurde. 1972 griff das Bolschoi-Theater die ursprüngliche Ballett-Fassung in einer Neuproduktion auf, die auch verfilmt wurde.

In der Fassung für Oboe, Klarinette, Violine, Viola und Kontrabass (op. 39) brachten fünf Musiker (Volker Hanemann, Jan Seifert, Robert Lis, Violine, Florian Richter, Viola, Klaus Gayer, Kontrabass) die sehr modern anmutende Musik, sehr gut und mit viel Verständnis und Einfühlungsvermögen zum Ausdruck. Auch hier dienten volkstümliche Elemente, modern geschärft, als Inspiration. Hier war tatsächlich Zirkus-Atmosphäre eingefangen worden, zuweilen fast ein bisschen klagend, melancholisch, dann wieder witzig, quirlig, fast getupft, so dass unwillkürlich die Tanzschritte, die Bewegungen und die Rhythmik der Tänzerinnen und Tänzer assoziiert wurden. Rhythmisch betont, sehr transparent, immer wieder auch ein wenig gefällig und insbesondere im letzten Satz sogar fast „lieblich“, aber immer auch grotesk und „schräg“, mit humorvollem „Häkchen“ am Ende eines Satzes, mit einer Art Kontrabass-Solo und manchmal fast flüchtig wie ein Hauch, mit dem es schließlich leise ausklang und im Nichts entschwand, entstand durch die Umsetzung der Musiker eine bizarre Welt, die die Fantasie in der Vorstellung eines Ballettes anregte.

Zurück zur tatsächlichen Jugend, den jungen Jahren von Bohuslav Martinů, in denen er noch unbeschwert, tonal und in traditioneller Harmonik, vital und tänzerisch und in enger Beziehung zur tschechischen Volksmusik schrieb. Seine „Bergerettes“ („Schäferstückchen“), fünf Stücke für Violine, Violoncello und Klavier sind heitere, rhythmisch und klanglich raffinierte Scherzi, die nichts von der Enttäuschung, dass sich für ihn gerade eine Professur am Prager Konservatorium wegen politischer Ereignisse zerschlug, ahnen lassen, sie sind heiter vergnügt, locker und tänzerisch orientiert, vielleicht auch von der Liebe zu seiner Schülerin getragen.

Zwei versierte Mitglieder der Kapelle, eine sehr feinsinnige Geigerin (Annika Thiel) und ein erfahrener, sehr gut gestaltender Cellist (Friedwart Christian Dittmann), sowie ein junger, hoch begabter, sehr einfühlsam mitgestaltender Pianist als Gast, der trotz seiner Jugend bereits über eine außergewöhnlich gestalterische Reife verfügt (Nikolaus Branny) setzten die lebhaften Abschnitte, die sprühende Leichtigkeit der rhythmischen Kapriolen und die ruhigen, innig gesanglichen, versonnenen Passagen, die möglicherweise Züge des Porträts dieser Schülerin darstellen, in einer sehr klaren, die einzelnen musikalischen Linien gut verfolgbaren Weise um und ließen in ihrer sehr guten, flüssigen Spielweise diese Stücke leicht und locker in ihrer eigenwilligen Melodik und der für Martinù typischen Rhythmik, die eine reizvolle Spannung zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Elementen aufbaut, zuweilen sogar ein wenig „klangschwelgerisch“, alles in ungeheurer Leichtigkeit, zum Höhepunkt des Abends werden.

Es war ein ungewohnter Martinů, so melodisch und ansprechend kannte man ihn bisher nicht. Es waren auch seine letzten Kompositionen in dieser Art und sein Abschied von einer Phase der Unbeschwertheit. In seinen nächsten Kompositionen schlug er ganz andere Töne an.

Nach so viel Musik des 20. Jahrhunderts ging es mit den gleichen Interpreten zurück zur Romantik des 19. Jahrhunderts und dem „Klaviertrio Nr. 2 C‑Dur“ (op. 87) von Johannes Brahms, was nach den mit Hingabe gespielten „Bergerettes“ von Martinů eine größere gedankliche und empfindungsmäßige Umstellung für Musiker und Publikum bedeutete. Es war nicht unbedingt der Brahms, wie man ihn kennt, sondern eine etwas andere, aber in dieser Interpretation durchaus akzeptable Lesart, Brahms einmal aus einer etwas anderen Sicht des gut eingespielten Trios, das die freundliche Seite des Komponisten, die fein ziselierte Struktur dieser kammermusikalischen Kostbarkeit betonte.

 

Ingrid Gerk

 

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