Dresden/Semperoper: Premiere: „INTERMEZZO“ VON RICHARD STRAUSS – 1.11.2024
Maria Bengtsson, James Ley. Copyright: Monika Rittershaus
Vor 100 Jahren, am 4.11.1924 wurde in Dresden im Schauspielhaus die achte Oper von Richard Strauss, „Intermezzo“ uraufgeführt und mit großem Beifall aufgenommen. Danach verschwand sie – bis auf einige Ausnahmen – wieder weitgehend von den Spielplänen. Jetzt, 100 Jahre nach der Uraufführung, fand in Erinnerung daran fast auf den Tag genau, die Premiere dieser bürgerlichen Komödie mit sinfonischen Zwischenspielen in zwei Aufzügen (op. 72, TrV 246) in einer Neuinszenierung von Axel Ranisch, Filmemacher, Podcaster, Opernenthusiast und begeisterter Richard-Strauss-Fan, in Anwesenheit der beiden Urenkelinnen von Richard Strauss und weiterer Familienmitglieder in der Semperoper statt.
Strauss wollte eine „ganz moderne, absolut realistische Charakter- und Nervenkomödie“ als Gegenpol zu seinen historisch orientierten Opernstoffen schaffen und fand das Sujet im eigenen Haus. Er setzte die kuriose Episode fast eins zu eins um und verfasste das Libretto selbst, da Hugo von Hofmannsthal ablehnte und ihm kein anderer Librettist geeignet erschien.
Es war nicht das erste Mal, dass er sich und seine Umgebung zum Gegenstand seiner Kompositionen machte. In der zuvor komponierten Tondichtung „Sinfonia Domestica“, einer „Rhapsodie“ über sein Familienleben in friedlicher Form, und wenn man so will, auch schon mit „Ein Heldenleben“, wo er sich mit seiner musikalischen Umgebung, selbstironisch auseinandersetzt, wählte er ein Thema aus seinem Alltag. Schließlich meinte er lakonisch: „Ich finde mich ebenso interessant wie Napoleon und Alexander“ und schildert in „Intermezzo“ über 2 ¼ Stunden einen handfesten, aus einer Verwechslung resultierenden, Ehekrach entsprechend einer Episode im Hause Strauss.
Für die Uraufführung holte Adolf Mahnke mit seinem Bühnenbild die Raumästhetik der Garmischer Villa auf die Bühne. Anstelle der Villa des Hofkapellmeisters Storch, Rodelbahn am Grundlsee, Salon in Wien und Prater in Wien, wie sie Strauss angab, legten Ranisch und die Bühnenbilderin Saskia Wunsch mit Videokünstler Falko Herold die Szene(n) jetzt räumlich in zwei Ebenen an und beleuchteten mit freundlichem Humor das Geschehen um das „Ehedrama Storch“ beziehungsweise „Strauss“ aus verschiedenen Perspektiven . Das „echte“ Ehepaar Strauss, dargestellt von Schauspielerin Katharina Pittelkow und Schauspieler Erik Brünner, verfolgt in einer historisierenden Theaterloge, stumm kommentierend und leicht gestikulierend, wie sich das Opern-Ehepaar Storch wegen einem vermeintlichen Seitensprung auf der Bühne streitet.
Doch bevor das Ehedrama beginnt, wird der Zuschauer mit einer ganz anderen Szene überrascht. „Pauline Strauss“ singt, am Flügel begleitet, das ihr gewidmete Lied „Wenn du es wüsstest, was Träumen heißt“ mit Anmut, Sinn und Verstand, doch im Privatleben zeigt sie sich danach aufbrausend, sehr temperamentvoll und bestimmend. Vor allem, wenn es um den Verdacht des Ehebruchs geht, ist sie nicht mehr aufzuhalten. Mit ihrem kapriziösen, launischen Wesen entfacht sie oft Streit mit ihrem Ehemann, und seine ruhige Art beschwichtigt sie immer wieder. Strauss brauchte diesen spannungsreichen Zustand als „Aufmunterung“. Sie brauchten einander, wie es in einer begleitenden Ausstellung im Foyer in einer Graphic Novel von Jonas Sáldre auf humorvolle Weise dargestellt wird.
Maria Bengtsson verkörpert die vermeintlich betrogene Christine als hysterisch streitende eifersüchtige Ehefrau mit energischer Sprech- und entsprechend scharfer Singstimme, und Christoph Pohl gibt den vermeintlich betrügenden Ehepartner, Hofkapellmeister Robert Storch als Gemütsmensch, der mit schöner runder, wohlklingender Stimme und entsprechender Darstellung immer wieder beruhigt.
Auch kleinere Rollen können uns entzücken, wenn sie so wie die der etwas vorlauten Kammerzofe Anna von Ute Selbig ein wenig kess, mit sehr schöner Sprech- und Singstimme, Bühnenpräsenz und sehr guter Textverständlichkeit dargestellt werden und das Gesamtkonzept bereichern.
Bei Strauss gibt es elf Personen. Jetzt agierten wesentlich mehr auf der Bühne, nicht nur die ursprünglich vorgesehenen: Hofkapellmeister Storch und seine Frau Christine, Franzl, ihren kleinen Sohn (Leander Wilde) und die Kammerjungfer Anna, Baron Lummer, der in dem zerrütteten Eheleben als unbegabter Schürzenjäger finanziell Fuß zu fassen wagt (James Ley), Kapellmeister Stroh (Jürgen Müller), Notar (Bernhard Hansky), die Frau des Notars (Sabine Brohm), Kommerzienrat (Anton Beljaev), Justizrat (Martin-Jan Nijhof) und einen Kammersänger (Tobias Kehrer).
Zusätzlich wurden noch weitere Personen eingeführt: Resi / Therese (Sofia Savenko), Marie (Lucie Lange) und Köchin (Frauke Wilke) und außerdem noch 5 Herren und sieben weibliche Gestalten aus Opern von Strauss, die ebenfalls in Dresden uraufgeführt wurden: Freihild (Karolin Uhr), Salome (Elisa Fuganti Pedoni), Elektra (Franziska Körner), Marschallin (Carola Schwab), Helena (Valeria Bobke), Arabella (Katharina Lukas) und Danae (Rika Yotsumoto).
Die sieben Frauengestalten deuten, in den „Rängen“ stehend, ein Opernhaus an und sitzen, wenn Strauss in seiner Skatrunde seine Frau rühmt, aber auch erwähnt, wie schön es ist, wenn keine Frauen vom Nebenraum aus stören, nebenan in farblich gut abgestimmten Kostümen (Alfred Mayerhofer) auf einem Hubpodium (da sage man nicht, dass die komfortable Bühnentechnik der Semperoper nicht genutzt würde!). Die Kostüme dieser „alltäglichen Geschichte“ sind erfreulicherweise nicht die noch immer in vielen Inszenierungen übliche Alltagskleidung, sondern der Mode am Anfang des 20. Jahrhunderts angepasst und führen ohne weitere Ausstattung in die richtige Zeit.
Die Vielzahl der Personen und die ineinander übergehenden und sich vermischenden Aktionen eines komplexen Bühnengeschehens mit vielfachen optischen Reizen, die von so manchem subtilem Detail der musikalischen Gestaltung ablenken, machen es dem Besucher nicht leicht, alles sofort zu verstehen und jede Nebenhandlung zuzuordnen, vor allem, wenn die Oper weniger bekannt ist.
Musikalisch ist „Intermezzo“ ein Meisterwerk der orchestralen Malerei und die Sächsische Staatskapelle Dresden als Strauss-Orchester bekannt. Unter der Leitung des österreichischen Dirigenten, Pianisten und Komponisten Patrick Hahn, der damit sein Semperoper-Debüt gab, kam beides nur bedingt zur Geltung. Es war kein Schwelgen in raffinierter, komplexer Orchestrierung und die psychologischen Nuancen der Charaktere nicht ohne weiteres erkennbar. Die sinfonischen Zwischenspielen, die eigentlichen „Intermezzi“, schimmerten nur gelegentlich als musikalische Glanzlichter hindurch, so dass es bei einem „Konversationsstück“ blieb.
Ingrid Gerk