Dresden / Semperoper: „IL BARBIERE DI SEVILLA“ ZUM SAISONAUSKLANG – 9.7.2015 (Pr. 12.4.2008)
Die Spielzeit der Semperoper neigt sich mit einigen Repertoire-Aufführungen (eine „Zauberflöte“ und viermal „Il barbiere di Seviglia“) dem Ende zu. Äußerlich zeigt die „Il‑barbiere“-Inszenierung von Grischa Asagaroff (Bühne und Kostüme: Luigi Perego) keine „Abnutzungserscheinungen“. Sie hat nichts von ihrer heiter-fröhlichen „Auffächerung“ der Handlungsabläufe im wahrsten Sinne des Wortes verloren. Unter häufigem Einsatz der Drehbühne werden in raschem Wechsel immer wieder andere (Damen-)Fächer, in denen sich die einzelnen Szenen abspielen, sichtbar, gerade oder abgewinkelt, hell oder dunkler, aber immer sehr elegant und dem Charakter der Szenen entsprechend – eine nette Bühnenwelt, leicht und luftig, nicht immer ganz realistisch und mit viel Augenzwinkern – mit spitzer Feder gezeichnet, eben wie ein Spitzenfächer.
Anders verhielt es sich mit der musikalischen Seite. Bei der Ouvertüre, bei der ein besonders schöner, auf den Vorhang projizierter, Fächer die Zuschauer auf eine heitere, leichte, nicht ganz ernst zu nehmende Aufführung einstimmen soll, machte sich unter der Leitung von Matteo Beltrami im Orchester eine leichte Nervosität bemerkbar, wie sie sonst wohl kaum bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden vorkommt. Mit ausladenden Gesten, die bei diesem Orchester wirklich nicht vonnöten sind, schon gar nicht bei einer Repertoire-Oper, die die Musiker „im Schlafe“ spielen und noch dazu perfekt, waltete Beltrami seines Amtes.
Er nahm das Tempo vor und während Almavivas Ständchen extrem langsam und forcierte es später, so dass Davide Luciano trotz seines Temperamentes seine berühmte Arie nicht ganz aussingen und die Vorzüge als Faktotum nur noch geschickt andeuten konnte. Er sang mit sehr kräftiger Stimme, und brachte, sehr agil und beweglich, ab und an auch etwas „Schwung“ in die nicht allzu „spritzige“ Aufführung, was ihm in seiner Rolle als Barbiere gut zu Gesicht stand.
Merto Süngü sang als Conte d’Almaviva sein „Ständchen“ vor Rosinas Balkon gerade so in etwa und trotz Entgegenkommen seitens des Dirigenten nicht gerade zum Verlieben. Da fehlte aller Schmelz. Seine Koloraturen waren gewöhnungsbedürftig und sein Spiel sehr zurückhaltend. Als eigentlicher Haupt-Protagonist wirkte er verhalten und sprühte nicht gerade vor Liebesglut. Das schien auch seine angebetete Rosina nicht gerade zu beeindrucken und aus der Reserve zu locken.
Anfangs schien auch die immer sehr sichere Anke Vondung etwas durch den Dirigenten irritiert. Sie sang und spielte die Rosina sehr gut, sang ihre Arien, einschließlich sehr sauberer Koloraturen, mit schöner, aber verhaltener Stimme und hielt sich im allgemein doch etwas zurück. Dennoch war sie ihrem Partner weit überlegen.
Ihr Vormund, Dr. Bartolo alias Michael Eder war kein alter Trottel, wie er oft dargestellt wird, sondern ein Mann in den besten Jahren, der weiß, was er will. Eder hatte auch Sinn für Humor, z. B. wenn er die 5 (statt 6) Blätter des Schreibpapieres genau nach der Musik abzählt oder Rosina nachahmt. Seine gut klingende, volltönende Stimme passte gut zur Rolle, und er sang gewissenhaft jeden Ton.
Evan Hughes vom Jungen Ensemble beeindruckte mit einer ausgeglichenen „Verleumdungs-Arie“ seiner dunkel timbrierten, geschmeidigen Bassstimme mit gut klingender Tiefe und ausgeglichener stimmlicher Gestaltung.
Mit sehr schöner Stimme sang auch Roxana Incontrera die Berta und wartete mit guter Rollengestaltung und Glaubwürdigkeit auf. Sie ließ sich noch nie irritieren und machte diese kleinere Rolle zu einer der Stützen der Aufführung. Mit ihrem hellen, klaren Sopran verlieh sie den Ensembleszenen die entsprechenden hohen Glanztöne, wie man sie leider lange nicht mehr gehört hat. Den Ensembleszenen ohne Berta „fehlte“ dagegen „etwas“.
Als Dr. Bartolos Adept versieht Peter Küchler schon seit vielen Jahren und schon in der 2. Inszenierung treu seinen Dienst mit Gewissenhaftigkeit und Spielfreude, immer dezent, ohne zu übertreiben, sehr glaubhaft, mit immer gleich guter Rollengestaltung und „echter“ Geschäftigkeit.
Man hat den „Barbiere“ in der Semperoper schon in „Star“-Besetzung, aber auch weniger guter Besetzung erlebt. Dieser Aufführung fehlte vor allem etwas mehr Inspiration und Temperament, wenn man bedenkt, dass die Oper in Spanien spielt.
Ingrid Gerk