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DRESDEN/ Semperoper, Frauenkirche, Kreuzkirche, Kulturpalast: GEDENKKONZERTE ANLÄSSLICH DER ZERSTÖRUNG DRESDENS GEGEN ENDE DES 2. WELTKRIEGES

16.02.2019 | Konzert/Liederabende

Dresden / Semperoper, Frauenkirche, Kreuzkirche, Konzertsaal im Kulturpalast: GEDENKKONZERTE ANLÄSSLICH DER ZERSTÖRUNG DRESDENS GEGEN ENDE DES 2. WELTKRIEGES – 9. ‑ 15.2.2019


Venera Gimadieva, Elisabeth Kulman, Pavol Breslik und René Pape als Solisten im „Stabat mater“ von Antonín Dvořák. Fotograf: Matthias Creutziger

Gute Traditionen, wie die Konzerte im Gedenken an die Zerstörung Dresdens am 13./14. Februar 1945, sollte man pflegen, auch wenn der Anlass schon länger zurückliegt. Schließlich sind es gerade die langjährigen Traditionen, die am meisten von der Öffentlichkeit wahrgenommenen werden. Man denke nur an das „Hejnał“, das noch immer vom Turm der Marienkirche in Krakau geblasen wird und jäh abbricht zur Erinnerung an den Turmwächter, der damit 1241 vor der drohenden Gefahr der herannahenden Tataren warnte und von einem tödlichen Pfeil getroffen wurde – Legende oder Wahrheit, die Tradition lebt.  

Nach vehementem Für und Wider im Jahre 1995, ob die Dresdner Gedenkkonzerte in Erinnerung an die Vernichtung unwiederbringlicher Kunstschätze und vor allem die vielen Toten unter der Zivilbevölkerung, den Kriegsgefangenen aus aller Herren Länder und ungezählten Flüchtlingen, die gerade erst in zwei Trecks angekommen waren (darunter auch der ungarische Komponist Peter Eötvös als einjähriges Kind mit seinen Eltern, die wie durch ein Wunder überlebten), nach 50 Jahren weitergeführt werden sollten oder nicht, entschieden sich die Dresdner Orchester und die Mehrheit der Bevölkerung für die Fortführung, allen voran die Sächsische Staatskapelle Dresden, die als erstes Sinfonieorchester 1951 dieses musikalische Gedenken mit der „Missa da Requiem“ von G Verdi unter Rudolf Kempe ins Leben rief.

Diese Konzerte, bei denen ein Requiem, eine Messe oder eine geeignete Sinfonie aufgeführt wird, sind fest im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Allen Versuchen einer Politisierung wird dabei erfolgreich entgegengewirkt. Dieses stille Gedenken beeindruckte auch Christian Thielemann, als er 2003 nach Dresden kam, zum ersten Mal ein Gedenkkonzert („Ein Deutsches Requiem“ von J. Brahms) leitete und am Schluss Totenstille herrschte – kein Applaus, und als er sich umsah, war das Publikum still aufgestanden und verharrte in einer (bzw. mehreren) „Gedenkminute(n)“, die Kapelle erhob sich und Thielemann schloss sich an. Das hat ihn stark beeindruckt, auch, dass die Menschen danach still zur Frauenkirche gingen – „ruhig, nicht larmoyant“, wie er sagte – und Kerzen anzündeten. Später dirigierte er weitere Gendenkkonzerte (2013 Verdi: „Messa da Requiem“, 2010 und 2016 Beethoven: „Missa solemnis“). Dieses Jahr stand Christoph Eschenbach am Pult der Staatskapelle bei der Aufführung des

 „STABAT MATER“ VON ANTONÍN DVORÁK IM 7. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN

an drei Abenden (13. und 14.2. Semperoper, 15.2. Frauenkirche). Unter seiner Leitung (14.2.) begann die Sächsische Staatskapelle, die nach ihrer erfolgreichen Tournee nach Wien, Baden-Baden, Frankfurt und Hamburg wieder pünktlich zum Gedenkkonzert in Dresden war, die orchestrale Einleitung mit ungewohnt lauten, harten Klängen, fand aber sehr bald zu ihrem  feinsinnigen Klang mit leisem, klangschönem Piano und folgerichtiger Steigerung bis zum Mezzoforte und Forte in unauffälligem Crescendo, um der Trauer Ausdruck zu verleihen, die in keinem anderen „Stabat mater“ so menschliche Züge trägt wie bei Dvořák, dem während der Arbeit an diesem Werk innerhalb von zwei Jahren drei seiner Kinder starben. Fein differenzierend, Trost und Zuversicht spendend, mit sanften, dezenten Bläsern bereitete die Kapelle die Basis, auf der sich Chor und Solisten entfalten konnten, bis hin zu dramatischer Stärke und einem „sieghaften“ Ende als Überwindung des Todes.

Der Sächsische Staatsopernchor Dresden setzte in der Einstudierung von Jörn Hinnerk Andresen mit sehr feinem Pianissimo ein und steigerte sich mit großer Spannbreite in wunderbarer Klarheit, schönen Stimmen im Frauenchor und dem danach einsetzenden Chor der Herren im „Virgo viginum praeclara“ bis zu dramatischer, das Geschehen kommentierender, Wucht. (In der Frauenkirche am 15.2. sang dann der Chor des Bayrischen Rundfunks.)  

Das Solistenensemble war prominent besetzt. Während die Österreicherin Elisabeth Kulman, Alt, der aus der Slowakei gebürtige Tenor Pavol Breslik und der Dresdner René Pape mit der deutschen Aufführungspraxis der Kirchenmusik eng vertraut sind, dürfte es für die junge russische Sopranistin Venera Gimadieva relativ neu gewesen sein, aber sie sang makellos und mit der bewundernswerten Klarheit ihrer klangvollen Stimme, die in der Höhe aufblüht und einen besonderen Klang entwickelt und die Ensembleszenen überstrahlte.

Elisabeth Kulman widmete sich mit der Gestaltungskraft ihrer warmen, farbenreichen Stimme, großer Innigkeit und Seele der Alt-Partie, die sie sehr bewusst und mit menschlicher Anteilnahme großartig interpretierte. Ebenfalls für sehr gute Gestaltung und auch Dramatik engagierte sich Pavol Breslik. Mit großer Intensität gestaltete René Pape, der im Dezember 2018 in Wien einen weiteren, den österreichischen Kammersängertitel, erhielt, die Bass-Partie. Seit seiner Jugendzeit im Dresdner Kreuzchor ist ihm die Aufführung sakraler Großwerke bestens vertraut. Ihm dürfte es ein Anliegen gewesen sein, dieses Gedenkkonzert in seiner Heimatstadt mitzugestalten. Er sang sehr kultiviert, stellte die breite Palette seiner Ausdrucksmöglichkeiten vom feinsten Pianissimo bis zum großen dramatischen Ausbruch mit kraftvoller Stimme ganz in den Dienst einer intensiven Gestaltung und „zelebrierte“ mit edlem, starkem Ausdruck jedes Wort und jeden Ton – eine Idealinterpretation.

Die am 15.2. im Hörfunk (mdr Klassik/mdr Kultur) gesendete Aufnahme vom 13.2., bei der vor allem Feinheit und Innigkeit der Musik berührend zum Ausdruck kamen, wich in vieler Hinsicht von der live erlebten Aufführung am 14.2. ab.

Eröffnet wurde die Reihe der Dresdner Gedenkkonzerte schon vorher in der Dresdner Frauenkirche, wo man sich nach dem Wiederaufbau dieser Tradition gern anschloss, mit einem

 

GEDENKKONZERT MIT NEU ENTDECKTEN SAKRALEN WERKEN VON LUIGI CHERUBINI (9.2.2019).

Frauenkirchenkantor Matthias Grünert, der bereits 2017 seine besondere Wertschätzung für Luigi Cherubini (1760-1842) mit einer CD-Aufnahme des „Requiems c-Moll“ und zweier weiterer Werke zum Ausdruck brachte, hatte für sein Gedenkkonzert ausschließlich kirchenmusikalische Werke dieses Komponisten ausgewählt, der seine kompositorische Tätigkeit mit geistlichen Werken begann, dann Opern schrieb, aber auch wieder zurückkehrte zu sakralen Kompositionen.

Felix Mendelssohn-Bartholdy schätzte ihn sehr. Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven, der sich von dessen Oper „Der Wasserträger“ zu seiner Oper „Fidelio“ inspirieren ließ, äußerten sich enthusiastisch über ihn als bedeutenden dramatischen Komponisten nach der Aufführung einer seiner Opern, die er 1805 schrieb, als er von Napoleon, der gerade im Schloss Schönbrunn in Wien logierte, für einen musikalischen Winter zum Leiter der Schlosskonzerte eingesetzt war. Erst seit den letzten Jahrzehnten wendet sich die Musikwelt wieder diesem Komponisten zu, einer Schlüsselfigur im Austausch zwischen den europäischen Musikzentren im frühen 19. Jahrhundert und Wegbereiter der Romantik, einst ein glänzender Stern am Musikerhimmel, dann jedoch schnell verblasst.

Für das in Zusammenarbeit mit der Internationalen Cherubini-Gesellschaft initiierte Gedenkkonzert, dessen Live-Mitschnitt als „Weltersteinspielung“ beim Label Rondeau erscheinen wird, hatte Grünert aus gegebenem Anlass nur geistliche Werke Cherubinis ausgewählt und es so gestaltet, dass die gesamte Bandbreite von dessen stilistisch sehr unterschiedlichem kirchenmusikalischem Schaffen, das sich stilistisch auch sehr deutlich von dem seiner Opern unterscheidet, beleuchtet wurde. Unter den aufgeführten Werken befanden sich drei, die nach über 200 Jahren erstmals wieder erklangen, sehr klangschöne, packende, beeindruckende Kompositionen für sehr unterschiedliche Besetzungen, die seit dem 18. Jahrhundert unentdeckt in der Pariser Bibliothèque nationale de France schlummerten.

Für die Aufführung standen Grünert auf diesem Gebiet bewährte Interpreten zur Verfügung: sein, vorwiegend aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden bestehendes ensemble frauenkirche dresden, das auch bei dieser Aufführung wieder die klanglichen Glanzpunkte setzte, der von ihm gegründete Kammerchor der Frauenkirche, der in etwas größerer Besetzung, mit schönen, zuverlässigen Frauenstimmen und fundierten Männerstimmen in den, die Kompositionen tragenden Chören, präzise und farbenreich differenzierend, das Gegengewicht zu den Solostimmen bildete, und für die Solopartien, die sich im Stil der Barockmusik folgerichtig aus den Chor- und Orchesterpassagen erhoben und wieder dahin zurückkehrten, zuverlässige Sängerinnen und Sänger.

Sibylla Rubens brachte die Sopran-Soli mit zuweilen klangvoller Stimme und harter, kraftvoller Höhe, aber feinem Pianissimo zum Klingen. Britta Schwarz gestaltete die Alt-Soli mit ihrer weichen, samtenen Stimme bei feinsinniger Orchesterbegleitung. Hier waren auch Bravour und großer Stimmumfang von extremer Tiefe zu ausgefallener Höhe gefragt, was sie mit edler Stimmführung bewältigte. Die Tenor-Partie hatte Tobias Hunger übernommen, und als Bass sang Tobias Berndt mit klarer Diktion und guter Artikulation.

 Es war ein in sich ausgeglichener, sehr eindrucksvoller Konzertabend mit sehr ansprechender Musik voller Melodik, Innigkeit und Emotionalität, temperamentvollen Ausbrüchen in „gesittetem“ Maß, manchmal wie ein Aufschrei der Seele und immer mitreißend. Man kann sich nur wünschen, Cherubinis Musik, auch die neu entdeckte, bald wieder zu hören. Sie ist es wert, wieder stärker ins Bewusstsein der musikalischen Welt zu rücken.

Am weitesten geht die Tradition des musikalischen Gedenkens beim Dresdner Kreuzchor zurück, wo bereits knapp 6 Monate (4.8.1945) nach dem unmittelbaren Erleben der Bombennacht, bei der auch elf Kruzianer den Tod fanden und Schule und Chorarchiv total zerstört wurden, die erste Kreuzchorvesper wieder in der restlos ausgebrannten Kreuzkirche mit der Uraufführung der Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ von Rudolf Mauersberger, dem damaligen Kreuzkantor, der den Chor zu Weltgeltung führte, stattfand. Diese A-capella-Motette, die er nach Texten aus den „Klageliedern Jeremias“ noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Erlebten am Karfreitag komponierte, bedeutete für ihn einen Ausweg, um dieses bestürzende Erlebnis des brennenden Dresden und der völlig zerstörten Stadt zu bewältigen. Seitdem erklingt die Motette jedes Jahr im

 

GEDENKKONZERT DES DRESDNER KREUZCHORES

in der Kreuzkirche, wo noch viele „Narben“ und „Wunden“ im Sandstein als sichtbare Zeugen der Zerstörung erinnern. Bis 1971 folgte danach Mauersbergers, 1947 aus gleichem Anlass komponiertes und von Jahr zu Jahr immer wieder überarbeitetes „Dresdner Requiem“. Es wurde auch „sein eigenes“ Requiem, die letzte Aufführung, die er, schon krank und vom Tod gezeichnet, nach einem langen, stillen Abschied von Kreuzchor, Kreuzkirche und der großen Besuchermenge leitete. Er starb wenige Tage danach.

Jetzt wurde dieses, dem Kreuzchor „auf den Leib“ geschriebene Werk für drei Chöre, Knabensolisten, Blechbläser, Schlagwerk, Kontrabass, Celesta und Orgel voller neuer, und dennoch eingängiger Melodik und eigener, immanenter Harmonie erstmals nach langer Zeit wieder in voller Länge vom Kreuzchor aufgeführt. Durch den sparsamen, aber gezielt wirkungsvollen Einsatz der Instrumente kommen die jungen Stimmen sehr gut zur Geltung. Es lebt vom ständigen Wechsel zwischen einzelnen Chorgruppen und Solostimmen, der Einbeziehung des Glockengeläuts zwischen Trauermotette und Requiem und optischen Eindrücken, wie dem Einzug (und Auszug) der jungen Sänger mit Kerzen und immer wieder symbolhaft wechselnder Gruppierung zwischen kleinen Solo-Gruppen am Altarplatz, wobei u. a. elf Sänger symbolisch für die elf, beim Angriff umgekommenen Kruzianer singen, Hauptchor auf der gegenüberliegenden Chorempore, Fernchor und Einbeziehung der Gemeinde bei den Chorälen (wie zu Bachs Zeiten).

Es ist ein Werk von erschütternder Wirkung, eindringlich und eindrucksvoll. Der Chor sang sehr sauber und mit Ausdruck, aber auch sehr verhalten. Der Hauptchor klang wie aus der Ferne und der Fernchor noch ferner. Die Anwesenden, alte Dresdner, die den Angriff miterlebt hatten, ehemalige Kruzianer, Musikfreunde und Jugendliche, die die Kreuzkirche mit ihren über 3000 Plätzen füllten, waren ergriffen. Ältere Männer hatten Tränen in den Augen – schmerzliche Erinnerungen. Es herrschte andächtige Stille während der gesamten Aufführung und danach. (Selbst die Huster hatten sich bis zum Ende zurückgehalten.) Dieses Requiem ist fest im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, es gehört zu Dresden wie kaum ein anderes.

 

Im GEDENKKONZERT DER DRESDNER PHILHARMONIE

wurde im Konzertsaal des Kulturpalastes (13.2.) unter der Leitung von Michael Sanderling die Sinfonie Nr. 15 A‑Dur“ (op. 141) von Dmitri Schostakowitsch aufgeführt, seine letzte, bei der er 1971, gesundheitlich schon angeschlagen, noch einmal alle Kräfte bündelte und ein Werk voller konzentrierter Ausdruckskraft schuf, das als Quintessenz seines Lebens mit heiteren und traurigen Momenten durch zahlreiche Zitate von Giacchino Rossini („Guillaume Tell“), Richard Wagner („Die Walküre“, „Tristan und Isolde“) und auch aus seinen eigenen Werken betrachtet werden kann, aber keinen Endpunkt darstellen soll.

 Ingrid Gerk

 

 

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