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DRESDEN/ Semperoper: ELEKTRA

24.10.2015 | Oper

Dresden / Semperoper: „ELEKTRA“22.10.2015

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Irene Theorin, Camilla Nylund. Foto: Matthias Creutziger

Nach dem Erfolg der Richard-Strauss-Tage im Strauss-Jahr 2014 finden in dieser Opernsaison aus Anlass der Uraufführung der „Alpensinfonie“ von Richard Strauss durch die Dresdner Hofkapelle vor 100 Jahren erneut Richard-Strauss-Tage an der Semperoper statt, bei denen die Werke von Richard Strauss im Mittelpunkt stehen, die mit Dresden und der Dresdner Oper besonders eng verbunden sind. In diesem Rahmen stand auch zweimal „Elektra“ in der Inszenierung von Barbara Frey, Bühnenbild: Muriel Gerstner und „Kostüme“: Bettina Walter auf dem Programm (16. und 22.10.).

Einige Partien sind neu besetzt. Im Gegensatz zu Evelyn Herlitzius, die die Elektra als rachsüchtige, selbstzerstörerische Tochter des ermordeten Agamemnon und deren desolaten Seelenzustand in den Fokus setzt und in ihrer Art meisterhaft interpretiert, war Iréne Theorin in dieser Rolle keine extrem verkommene und verwirrte, sondern eine eher optimistische, junge Frau, die die Sympathien auf ihrer Seite hatte. Man fieberte mit ihr. Bei ihr schienen Darstellung und Mimik schon den Triumph und die Gewissheit der befreienden Rache-Tat vorwegzunehmen. Ihr Gesang wies sehr farbenreiche Facetten und Differenzierungen auf.

Sie sang nicht immer nur expressiv, sondern auch mitunter fast lyrisch schön und beherrschte auch die feineren, leisen Töne wie beim sehnsüchtigen Ruf nach Agamemnon, am Beginn der Oper, in der Stunde, in der sie mit ihm, auf der Türschwelle sitzend, telepathischen Kontakt aufzunehmen versucht, oder wenn sie das Traumbild von ihrem totgeglaubten Bruder Orest „festhalten“ möchte, und auch in der Wiedersehensszene mit Orest. Sie konnte sich aber auch bis zu dramatischen Ausbrüchen steigern und sich gegenüber dem extrem lautstarken Orchester behaupten. Ihre Stimme behielt auch da ihre angenehme Geschmeidigkeit. Mit einer reichen Palette an differenzierenden Ausdrucksmöglichkeiten sorgte sie für Spannung und Vitalität. Sie war eine Elektra von Fleisch und Blut, herzhaft und mutig, von Rache beseelt, aber nicht „gierig“, sondern sich eher optimistisch ihres Sieges bewusst.

Während sie sich in ihre Rache-Gedanken verrennt, will ihre Schwester Chrysothemis „normal“ leben mit Mann und Kindern, sich dem „prallen“ Leben stellen, bevor ihre Jahre ungenutzt verrinnen. Camilla Nylund verkörperte diese, dem Leben verhaftete, „Gegenseite“ zu Elektra mit wohlklingender, ausgeglichener Stimme und spielte lebensecht und eindrucksvoll, wenn sie z. B. bei der Vorstellung des beabsichtigten Mordes an Klytemnästra und Ägisth vor Schauder zittert und sich in sich zurückziehen möchte. Sehr eindrucksvoll gestalteten auch beide „Schwestern“ mit ihren gegensätzlichen Charakteren das Ringen um die Ausführung der Mordtat, die eine aus Ehr- und Pflichtgefühl, die andere als eine Frau, die das Leben sucht und nicht töten kann.

Als Gegenspielerin betonte Waltraut Meier als Klytämnestra weniger die bösartige, animalisch grausame Herrscherin, wie diese Rolle oft auch interpretiert wird, sondern mehr eine sensible, seelisch fast zerbrechliche, in ihrer exponierten Umgebung verwöhnte, Königin, die unter ihrer Tat schrecklich leidet und aus panischer Angst und Schuldgefühl zu allen Mitteln greift, auch wenn sie an extreme Grenzen stößt. Schuldbewusst versucht sie, ihre Tat reinzuwaschen und durch alle möglichen Opfer, „sobald das rechte Blut geflossen ist“, der Rache zu entkommen. Mit sehr gut klingender Stimme besonders gewissenhaftem Gesang, bei dem kein Detail unbeachtet bleibt und der all diese Seelen- und Gewissensqualen – auch einer „gewissenlosen“ Seele – wiederspiegeln kann, und guter Textverständlichkeit lotete sie die musikalischen Tiefen der Partie aus. Allein ihr detaillierter langer Schrei, der die (vermutlich) dilettantische, sehr zaghaft und zögerlich, voller Skrupel und Unsicherheit ausgeführte Mordtat des zaghaft schüchternen Orest „in allen Einzelheiten“ wiederspiegelte, entsprach ihren großartigen Fähigkeiten.

Alle drei Protagonistinnen bestachen durch ihren Gesang auf höchstem Niveau. Sie profilierten sich sehr unterschiedlich, aber jede auf ihre Art als echte Sänger-Darstellerin mit schöner Stimme und großer Ausdruckskraft. Ihnen zur Seite erschien Markus Marquardt als ebenbürtiger, kraftvoll singender und glaubhafter Orest, der gemeinsam mit Iréne Theorin eine bewegend gesungene und gespielte Wiedersehensszene gestaltete. Der gesungene Text war bei ihm auch ohne Mitlesen der Übertitel gut zu verstehen.

Als Aegisth blieb Stig Andersen sowohl gesanglich, als auch darstellerisch eher zurückhaltend. Als gestrenge Aufseherin, die die Mägde Constance Heller, Angela Liebold, Elisabeth Wilke, Roxana Incontrera und Nadja Mchantaf in Schach hielt, verkörperte Sabine Brohm einen Teil der Machtstrukturen am Königshof. Besonders klar und mit schöner Stimme machte Milcho Borovinov auf sich und die Rolle des Pflegers des Orest aufmerksam.

In weiteren Rollen agierten gute Sängerdarsteller aus dem Ensemble der Semperoper: Andrea Ihle als Vertraute, Christiane Hossfeld als Schleppträgerin, Matthias Henneberg als Alter Diener und Timothy Oliver als Junger Diener. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden sang sehr zuverlässig in der Einstudierung von Jörn Hinnerk Andresen und hatte seinen Anteil an dem guten Gesamteindruck der Aufführung.

Unter der musikalischen Leitung von Axel Kober spielte die Sächsische Staatskapelle Dresden in gewohnter Qualität mit sehr schönen Piano– und Mezzoforte-Passagen, aber einigen Phon zu viel im, von Kober geforderten, Fortissimo, wenn auch folgerichtig in den hochdramatischen Situationen. Kober arbeitete nach dem gleichen Erfolgsrezept wie Christian Thielemann, nur leider ein wenig übertrieben. Es ist gut, beim Gesang sehr zurücknehmen und die Sängerinnen und Sänger „zu Wort“ kommen zu lassen. In reinen Orchesterpassagen darf das Orchester dann schon kräftiger spielen, aber auch da sollten Grenzen gesetzt sein. Ein zu viel an Lautstärke schadet eher.

Weniger Lautstärke bedeutet nicht weniger Ausdruckskraft. Im Gegenteil, bei den intensiven sängerischen und gestalterischen Leistungen an diesem Abend ergab sich die Möglichkeit einer intensiven Beschäftigung mit der Problematik der Oper, aus der man durch allzu viel Lautstärke immer wieder herausgerissen wurde. Die Aufführung wurde bereits mit einem entsetzlichem „Paukenschlag“ – im wahrsten Sinne des Wortes – eröffnet, wenn er auch das Drama vorausahnen ließ. Dennoch war der Gesamteindruck überwiegend positiv, nicht nur weil alle wichtigen Rollen sehr gut besetzt waren und die Protagonisten sich auch mit ihrem Gesang in ihre Rollendarstellung vertieften, sondern auch die Kapelle von sich aus mit bewegenden, klangschönen und empfindsam gestalteten Orchesterpassagen aufwartete.

Ingrid Gerk

 

 

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