Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DRESDEN/ Semperoper: Dresden/Semperoper: NEUBEGINN DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN NACH DER CORONA-KRISE MIT EINEM „AUSSERORDENTLICHEN AUFFÜHRUNGSABEND“

29.06.2020 | Konzert/Liederabende

Dresden/Semperoper: NEUBEGINN DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN NACH DER CORONA-KRISE MIT EINEM „AUSSERORDENTLICHEN AUFFÜHRUNGSABEND“ ‑ 28.6.2020

 Nach der Semperoper startete nun auch die Sächsische Staatskapelle Dresden in der Reihe „Aufklang!“ einen Neubeginn nach der Corona-Krise mit einem „Außerordentlichen Aufführungsabend“, außerordentlich, weil außerhalb des ursprünglichen Programmes und aus außergewöhnlichem Anlass – aber auch in außerordentlich guter Qualität. Infolge der Corona-Krise war auch die Staatskapelle gezwungen, alle, mit Spannung erwarteten, Symphoniekonzerte, Kammerabende, „Kapelle für Kids“ usw. abzusagen. Jetzt keimt mit diesem ersten Konzert wieder Hoffnung.

Wie dieser Abend zeigte, hat sich die Kapelle ihren spezifischen „silbernen“ Klang bewahrt. Die Musiker, die sich bis zu äußerster Hingabe für die großen Orchesterwerke engagieren, haben sich ihre Sensibilität auch für Kammermusik und Kammerorchesterwerke erhalten. Sie gestalteten einen kleinen, aber feinen Abend von etwa einer Stunde mit abwechslungsreichem Programm zu einem klangschönen Ereignis. Eröffnet wurde er mit festlichen (Blech‑)Bläserklängen. Bei der fünfminütigen „Trumpet Sonata in D‑Dur“ (Z.850) von Henry Purcell, bearbeitet für zwei Trompeten und Blechbläser (Horn, Posaune, Tuba) von Frederick Mills, die möglicherweise eine von Purcell selbst umgearbeitete Ouvertüre zu seiner verlorengegangenen Oper „Light of the world“ darstellt, war das kongeniale Zusammenwirken der Musiker trotz gefordertem Abstand von 1,50 m perfekt. Mit strahlendem Glanz führte die erste Trompete die Bläsergruppe an und brillierte mit exakt geblasenen, souveränen Verzierungen.

Danach erschienen 17 Streicher, die Matthias Wollong, Erster Konzertmeister der Staatskapelle, von der Violine aus leitete. Aufgeführt wurde die „Italienische Serenade G‑Dur für Streichorchester“ von Hugo Wolf, eine Hommage an Joseph von Eichendorff – wie eine ironische Ständchen-Szene voller scherzhafter Anspielungen, ursprünglich für Streichquartett konzipiert und in nur drei Tagen komponiert. Nach dem festlichen Bläserglanz wirkte die Komposition allerdings etwas „spröde“.

Voller Poesie und Klangschönheit präsentierte Wollong danach als Solist das „Konzert für Violine und Streichorchester d-Moll“, das der dreizehnjährige hochbegabte, aber auch ideal geförderte Felix Mendelssohn-Bartholdy, dem sogar ein häusliches Streichorchester zur Verfügung stand – neben einem Klavierkonzert für seine Schwester Fanny – für seinen Freund Edouard Rietz komponierte. Bei Wollongs meisterhaftem, ausdrucksvollem Spiel, bei dem auch die kleinen, hübschen Nuancen viel Beachtung und eine feinsinnige Wiedergabe fanden, und einem sehr schönen Piano , mit dem er auch das Konzert ausklingen ließ, wurde Mendelssohns Genialität bereits seiner frühen Jahre offenbar. Dieses frühe Violinkonzert erschien durch die perfekte Wiedergabe ähnlich genial wie das berühmte, viel gespielte „Violinkonzert e‑Moll op. 64  (MWV O 14) – wie dessen „kleinere Schwester“, in kleineren Dimensionen (kein Wunder, dass da schon einmal voreilig applaudiert wurde).

Mit gleicher Streicherbesetzung plus vier Bläsern erklang als Abschluss die „Symphonie Nr. 64“ von Joseph Haydn mit dem Beinamen „Tempora mutantur“ (die Zeiten ändern sich) – wie wahr und wie passend zur gegenwärtigen Situation! Dieses, aus einem lateinischen Sprichwort stammende, Zitat steht auf dem Umschlag der in Frankfurt aufbewahrten Symphonie. Es weist auf das intelligente Spiel Haydns mit den Erwartungshaltungen der früheren Konzertbesucher hin. So wie sich die Zeiten ändern, änderte Haydn auch schon mal die Regeln, ohne zu übertreiben, vielleicht auch ein leichter Vorstoß zu neuen Ufern? Besonders im langsamen Satz verstößt er bewusst gegen grundlegende musikalische Gesetzmäßigkeiten und erregte damit die Aufmerksamkeit der Zuhörer, die damals möglicherweise schockiert waren.

Jetzt, nachdem der Konzertbesucher so manch Schockierendes und „Schräges“ von zeitgenössischen Komponisten ertragen musste, sieht bzw. hört man so etwas gelassen – die Zeiten ändern sich. Brüskieren wollte Haydn seine Zuhörer wahrscheinlich nicht. Das würde nicht zu seinem Image und seinem wohlwollenden Charakter passen, eher zu seinem Sinn für Humor. So wie er mit Paukenschlag und Paukenwirbel überraschte, wollte er hier wahrscheinlich auch für Abwechslung durch besondere Effekte sorgen, mit Neuheiten unterhalten und das Gewohnte ein wenig auflockern. Das brachten die Kapell-Musiker mit ihrer legendären Stilsicherheit, ihrem  Einfühlungsvermögen und ihrem musikalischen Gespür sehr gut zum Ausdruck.

Die Sächsische Staatskapelle hatte für den Neubeginn ihrer Konzerte nicht wie andernorts den Ehrgeiz, eine große Sinfonie in reduzierter Form zu kreieren, um nachdrücklich auf sich aufmerksam zu machen. Hier begann man weniger großspurig und konzentrierte sich auf das, was unter den gegebenen Vorschriften und Bedingungen mit entsprechender Qualität gut machbar wäre, so dass die aus der Not geborene Lösung“ kein Provisorium wurde, sondern den gewohnt hohen künstlerischen Ansprüchen der Kapelle und ihres Publikums entsprach.

 

Ingrid Gerk

 

 

 

Diese Seite drucken