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DRESDEN/ Semperoper: DORNRÖSCHEN – bemerkenswerte Balletturaufführung von Aaron S. Watkon

28.04.2018 | Allgemein

Dresden / Semperoper: BEMERKENSWERTE BALLETTAUFFÜHERUNG VON „DORNRÖSCHEN“ – 27.4.2018

Dresden soll die „Tanzhauptstadt der Welt werden“ meinte der Direktor der Palucca Hochschule für Tanz Dresden in einem Interview – eine hohe Zielstellung in Anbetracht der bekannten europäischen Hauptstädte des Balletts, aber je höher die Ziele, desto mehr kann erreicht werden. Es gibt weltweit Ballettcompanien mit großen Namen und großer Tradition auf speziellen Gebieten, wie das Royal Ballet London, die Ballettcompanien in Paris, St. Petersburg, Moskau usw., aber was die Dresdner auszeichnet, ist die Vielseitigkeit der Tänzer. Sie können beides gleichermaßen hervorragend, klassisches Ballett und modernes, wie erst jüngst der zweiteilige Ballettabend „Ein Sommernachtstraum“ bewies.

Es gibt äußerst günstige Bedingungen in Dresden durch die Palucca Hochschule für die Ausbildung des Nachwuchses, die staatliche Förderung des Studiums und die breite Szene, zu der nicht nur das Semperoper Ballett gehört, sondern auch das moderne Tanztheater in Hellerau, das Europäische Zentrum der Künste Dresden, das Theater für Operette und Musical und die Landesbühnen Sachsen im benachbarten Radebeul. Das Semperoper Ballett hat über 70 Tänzerinnen und Tänzer aus aller Welt und ist weltweit unterwegs. Bei Aufführungen stehen etwa 60 fest angestellte Mitglieder zur Verfügung und dazu Studierende der Palucca Hochschule und Stipendiaten, die bei den Aufführungen bereits Bühnenerfahrungen sammeln können.

Aaron S. Watkon, seit 12 Jahren Ballettdirektor des Semperoper Ballett, ist auf dem besten Weg. Er liebt große Handlungsballette, das Dresdner Publikum und die zahlreichen Touristen auch. Bei der letzten von fünf Aufführungen dieser Spielzeit des „Dornröschen“-Ballettes von Pjotr I. Tschaikowsky, der 64. seit der Premiere 2007, die nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt hat und – wie immer bei abendfüllenden Ballettaufführungen – bei „vollem Haus“ stattfand, sah man erfreulich viele junge Leute – nicht nur Ballett-Eleven – im Parkett bzw. auf den Rängen. Kleinere Kinder saßen mucksmäuschenstill und bestaunten die Bühne, denn es war einfach märchenhaft.

Nicht nur das aufwändige Bühnenbild von Arne Walther mit geschickten Verwandlungen auf offener Bühne und Videoprojektionen, bei denen sich z. B. Bäume scheinbar auf den Zuschauer hin bewegen – ein herrlicher optischer Trick, der zeigt, was alles so auf einer Bühne möglich ist – , raffinierte Beleuchtungseffekte (Jan Seeger) und die farbenprächtigen Kostüme von Erik Västhed, die an die Farbigkeit und den Prunk der „Überraschungs-Eier“ erinnern, die Fabergé einst für den russischen Zarenhof schuf und von denen das Königspaar (Ralf Arndt und Lilia Babina) in immer wieder neuen prunkvollen Roben erschien, und die Leistungen der Tanzenden, sondern auch, was für Ballett-Aufführungen im allgemeinen ungewöhnlich ist, das Orchester, das mit „göttlichen“ Klängen überraschte, machten das Ganze zu einem märchenhaften „Traum“, von dem ein besonderer Zauber ausging.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden spielte in erstklassiger Besetzung unter der Leitung von David Coleman, der es in dramatischen Szenen – wie immer – laut und wuchtig und akzentuiert liebt, hinreißend schön, von wunderbarer, einschmeichelnder Solovioline (Matthias Wollong) dominiert, und inspirierte noch zusätzlich die ohnehin sehr motivierten Tanzenden. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen auf der Grundlage überragender Klangerlebnisse, die die tänzerischen Glanzleistungen noch mehr beflügelten und für eine sehr intensive Wahrnehmung des Bühnengeschehens sorgten.

An vielen Häusern wird die Orchesterbesetzung oft weniger ernst genommen oder die Musik vom Band abgespielt. Hier steigerte sich die Kapelle immer mehr in Tschaikowskys Musik hinein und wurde zu einem wesentlichen Faktor der Aufführung, was allein schon wie ein besonderer Konzertabend den Besuch lohnte. So durchsichtig wie beim Fest anlässlich des 16. Geburtstages der Königstochter Aurora inmitten der festlichen Musik schon unterschwellig das Unheil angekündigt wurde, hat ein Orchester wohl noch nie die Balletthandlung „untermalt“. Die Kapelle „trug“ die Tanzenden, die sich inspirieren ließen und sich genau nach der Musik richteten.

In einer Neukreation für das Semperoper Ballett von Aaron S. Watkin nach Marius Petipa und Francine Watson Colemann aus dem Jahr 2007 werden schon bei den ersten Klängen des Orchesters auf der Bühne die Seiten eines großen Märchenbuches mit dem Text der etwas anders erzählten Handlung aufgeblättert. Wie aus dem Nebel taucht die Fliederfee (Giula Frosi) auf, die die Fäden der Handlung in der Hand hält. Sie tanzt durch die Seiten, bis der Gazevorhang langsam hochgezogen wird und sie inmitten eines üppigen Hofstaates steht, in der auch die Carabosse (Duosi Zhu) als böse Fee, Widersacherin und Vertreterin der bösen Mächte erscheint und die neugeborene Prinzessin Aurora zur Taufe präsentiert und von ihr mit dem folgenschweren Fluch belegt wird. Am Ende wird die reuige Carabosse zur Friedfertigen gewandelt – ein Versuch zur Friedensstiftung?

Die Handlung weicht von Grimms Märchen und älteren Konzeptionen ab und wird von Francine Watson Colemann in eigener Konzeption mit Fantasie und zahlreichen realistischen Details (und mitunter auch etwas naiv) erzählt, aber sehr gut in Tanzszenen umgesetzt. Sie verlegt das “Geschehen“ nach Sachsen, in das aus dem 19. Jh. stammende Schoss Albrechtsberg in Dresden, das mit der Entstehungszeit des 1890 in St. Petersburg uraufgeführten Balletts korrespondiert und dessen Außenanlagen sehr wirksame Bühnenbilder ergeben.

Es gibt immer wieder Gelegenheit zu hochdramatischen Szenen – nicht ohne Anspielungen-, wenn z. B. die Fliederfee den Fluch der Carabosse bricht, die immer wieder dagegen ankämpften will, aber zusehends an Kraft und Macht verliert, zwei Mädchen aus dem Volk geköpft werden sollen, weil sie trotz Spindelverbot Stricknadeln (!) verwendet haben, oder statt der Rosen die Gefährten der Carabosse in einer kämpferischen Szene mit Blitz (ohne Donner) nach 100 Jahren Prinz Florimund daran hindern wollen, Dornröschen wach zu küssen. Rosen umranken nur die Seiten des Märchenbuches und ihr Kleid.

In immer wieder neuen, schönen, optisch sehr wirksamen Bildern bewegten sich die Tanzenden in einer anspruchsvollen Choreografie mit vielen neuen Ideen, bei der die Schwierigkeiten bis zum letzten Akt gesteigert werden, mit Tänzen voller Ausdruck, anspruchsvollen Figuren, Sprungserien, Drehungen und Pas de deux. Mit viel Charme und graziler Anmut setzten sie die brillant gespielte Musik um. Anmut und Grazie waren schon von jeher das besondere Merkmal des Dresdner Ballettes, die hier buchstäblich „auf die Spitze getrieben“ werden. Die Tänzerinnen bewegen sich fast ausschließlich auf Spitze und bewältigen die anspruchsvollen Figuren mit scheinbarer Leichtigkeit, fast „schwebend“, was hartes Training voraussetzt.

Mit auffallender Feinheit und Zierlichkeit setzte Kanako Fujimoto als Prinzessin Aurora die Füße und stellte sich auch sehr schwierigen Tanzelementen. Giulia Frosi sorgte als Fliederfee sowie Zarina Stahnke, Ilaria Ghironi und Natsuki Yamada als die drei guten Feen für beachtenswerte Tanz-„Einlagen“. Julian Amir Lacey beeindruckte als Florimund mit beachtlichen Serien von exakt ausgeführten Sprüngen und Drehungen und Václav Lamparter und Skyler Maxey-Wert als die zwei blauen Vögel mit anspruchsvollen Tänzen in asymetrischer Linienführung. Das Publikum honorierte die Leistungen mit viel Zwischenapplaus.

Das besondere Merkmal des Dresdner Balletts ist die geschickte Verteilung der Rollen, so dass die Tanzenden stets entsprechend ihrer optischen Erscheinung und vor allem ihrer tänzerischen Fähigkeiten eingesetzt werden. Es gibt keine „Fehlbesetzung“. Alles ist immer „im Fluss“. Jeder Auftritt ist exakt, mit sehr guter Körperhaltung, Elastizität und sehr ansprechender Ästhetik, bestechend durch Akkuratesse und bei den Paaren korrekter Synchronität und schönen Hebefiguren.  

Hier konnten Auge und Ohr gelichermaßen schwelgen. Es war „ein Traum, kann nicht wirklich sein“, wie die Staatskapelle musizierte und die Eindrücke von Tanz, Bühnenbild und Kostümen ineinander übergingen, und war doch Realität.

Ingrid Gerk

 

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