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DRESDEN / Semperoper: DON GIOVANNI. Premiere

13.06.2016 | Oper

Dresden / Semperoper: „DON GIOVANNI“ – 12. 6. 2016   Premiere

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Donna Elvira (Aga Mikolaj), Zerlina (Christina Bock), Ottavio (Peter Sonn), Commendatore (Georg Zeppenfeld) in – und Leporello (Guido Loconsolo) auf dem Umzugskarton, Donna Anna (Maria Bengtsson) und Masetto (Evan Hughes) im dekadenten „Festsaal“-Kellerraum. Foto: David Baltzer
 

Im Rahmen des Mozart-/Da-Ponte-Zyklus hatte nach „Cosi“ fan tutte“ (Pr. 22.1.2014: – Inszenierung: Andreas Kriegenburg) und „Die Hochzeit des Figaro“ (Pr. 20.6.2015 – Inszenierung: Johannes Erath ) nun auch als dritte Oper „Don Giovanni“ Premiere, Inszenierung: Schauspielregisseur Andreas Kriegenburg. Etwas wirklich Neues ist ihm  nicht eingefallen, aber man kann die Oper in ihrer Spezifik noch erkennen. Die „Neudeutung“ des Librettos führt zusammen mit dem Bühnenbild von Harald Thor und den  Kostümen (vorwiegend aus dem Kaufhaus) von Tanja Hofmann zu einer gewissen Diskrepanz zwischen Musik und Darstellung, aber Mozart wäre nicht Mozart, wenn seine Musik nicht mit ihrer emotionalen Kraft auch nach mehr als 200 Jahren noch immer „zünden“, die Gemüter bewegen und gegen Sex und Gewalt, die gegenwärtig auch auf den Bühnen der Opernhäuser bestimmenden Elemente, die Oberhand gewinnen und zum immer wieder sich durchsetzenden, berührenden und mitreißenden Element würde.

Wie schon bei den beiden anderen Opern lag auch hier die musikalische Leitung in den Händen von Omer Meir Wellber. Er begann die Ouvertüre – wie jetzt allgemein üblich – ziemlich lautstark, aber bald setzte die Sächsischen Staatskapelle Dresden mit ihrem besonderen Klangbild fort und wurde der Musik W. A. Mozarts in schöner Weise gerecht. Als Bühnenmusik nehmen 4 Kapellmitglieder zu Don Giovannis Fest – je zwei Musiker auf beiden Seiten der Bühne mit Violine, Violoncello und Kontrabass Aufstellung. Die Staatskapelle kann sich mit ihren guten Musikern so etwas leisten, weshalb es auch oft praktiziert wird. Don Giovanni brauchte sein verführerisches Ständchen auch nicht selbst zu „spielen“ oder zu markieren. Dazu saß eine gute Lautenistin auf der Bühne. Dass da zwischen den “Don Giovanni“-Rezitativen plötzlich am Cembalo Frank Sinatras „It was a very good year“ auftauchte, mag für manche eine fröhliche Abwechslung gewesen sein, nötig hat das Mozarts Musik aber eigentlich nicht.

Der Sächsische Staatsopernchor ließ in der Einstudierung von Cornelius Volke bei seinen kurzen Auftritten keine Wünsche offen und reagierte mit minutiöser „Schlagfertigkeit“.

Wenn sich der Vorhang am Abend hebt, steht Guido Loconsolo als Leporello mit (kleinem) Hut und im „feinen Zwirn“ auf der Bühne. Nur die hellen, plumpen Sportschuhe verraten seine Herkunft aus den unteren Schichten der Gesellschaft, denn sie deuten darauf hin, dass er weder Geschmack noch „Stil“ hat, aber er hat ein Girl als Sekretärin, das ihm das besagte Buch – natürlich nicht in Leporello-Faltung – reicht. Offenbar hat er „Karriere gemacht und ist trotz seiner Naivität auf der sozialen Stufenleiter höher geklommen als „Mitwisser“ und nun in „wichtiger“ Position bei einem skrupellosen Herrn und Chef einer Model-Agentur „2064 donne“, bei der die Job-Suchenden im Gleichtakt die Beinchen schwingend auf dem weißen Sofa warten. Seine, Handlung forcierende, Rolle hat er abgegeben. Sein Herr organisiert alles selbst mit Tablet und Handy.

Seitens der Regie werden vor allem Karikaturen bestimmter menschlicher (Durchschnitts‑)Typen mit einem allgemein zu beobachtenden Verhalten gezeichnet, wobei die Musik zuweilen zum „Fremdkörper“ wird. Die Sängerinnen und vor allem die Sänger blieben deshalb bei der  Gestaltung ihrer Rollen oft „blass“. Sie hatten kaum Gelegenheit für eine eigene Persönlichkeitsdarstellung. Gesanglich gab es überraschend gute Leistungen, die jedoch leider infolge besagter Regie mehr oder weniger „vorüberrauschten“.

Lucas Meachem schien sich vor allem auf den gesanglichen Teil seiner Rolle zu konzentrieren. Als Amerikaner kennt er natürlich die zeitgemäßen Verhaltensweisen moderner Bosse bestens und konnte den neu unterlegten Charakter des Don Giovanni lässig und mit Selbstverständlichkeit als willkürlichen, sich über alle Moralvorstellungen hinwegsetzenden Menschen vorübergleiten lassen. Er macht, was er will und „hat immer Recht“. Als Frauenheld und Verführer erschien er entsprechend leichtfertig, egozentrisch und gewissenlos, aber kaum wirklich verführerisch oder „sexy“ in seinem exakten Anzug, ähnlich dem von Ottavio, Leporello und Masetto, der gerade Hochzeit macht (zum Glück aber mal keine Uniformen!).

Wenn er sich den, seit vielen Jahren üblichen Mantel im Militärschnitt überzieht, wirkt das erst recht  nicht neu und auch nicht verführerisch. Da konnten bestenfalls nur wissentlich Macht und Einfluss auf die Frauen zu wirken. In dieser Inszenierung ist Don Giovanni nicht – wie üblich – die zentrale Persönlichkeit der Oper. Ihm fehlt die Ausstrahlung eines Charmeurs, dem die Frauenherzen zufliegen, woraus die Oper seit ihrer Entstehung den prickelnden Reiz bezieht. Dass es hier nicht so war, ist vor allem der Regie anzulasten.

Als Donna Anna beeindruckte die Schwedin Maria Bengtsson mit einwandfreien Koloraturen und viel Ausdruckskraft in der Stimme. Sie bewältigte diese schwierige Partie mit der Vielzahl von Koloraturen scheinbar mühelos ohne Fehl und Tadel und erhielt dafür zu Recht zahlreiche Bravos, aber leider wurde auch sie von der Regie ausgebremst.

Eine sehr glaubhafte, in ihrem Zwiespalt zwischen Liebe, Zorn und Rache pendelnde Donna Elvira, die das auch gesanglich zum Ausdruck bringen konnte, nie zur Furie verkam und immer eine vernünftig denkende Frau blieb, war die Polin Aga Mikolaj. Beide Frauen hatten Charisma. Ihnen waren die wirklichen gesanglichen Höhepunkte zu verdanken.

Christina Bock war keine zierliche kleine Zerlina, sondern eher eine selbstbewusste junge Frau, die gut sang, sich aber für die darstellerische Seite viel Zeit nahm, wie in der unnötig ausgedehnten „Folterszene“, wo sie mit lächerlichen Seilen den armen Leporello zu foltern gedenkt und lange braucht, bis sie ihre Seile geschlungen und später mit einem „echten“ Handwerkskasten kommt, dem sie eine Zange – für eine Folterung wie im Mittelalter entnimmt, und Leporello steht geduldig da und wartet, bis sie endlich weitermacht, statt wegzulaufen und die überflüssige Szene zu beenden. Bei solcher Langatmigkeit „verpufft“ jede Spannung.

Masetto alias Evan Hughes erschien als ein ziemlich schmächtiger Bauer und künftiger Ehemann. Seine gesanglichen „Drohungen“ waren von den Betroffenen nicht gerade ernst zu nehmen. Als Zutat und Anlehnung an andere Passagen in Mozart-Opern tauscht Masetto schon einmal vorab mit dem Kellner seine Kleidung, um Zerlina und Don  Giovanni zu beobachten, was aber auch nicht weiter aufregend ist, denn ein Gag, mehrmals verwendet, verliert an Wirkung.

Nach der resolut, aber mit wenig Schmelz oder Emotion von Peter Sonns gesungenen ersten Arie des Don Ottavio hätte man (trotz des kleinen „Wacklers“) gern auch noch die zweite Arie gehört, aber die fehlte wieder einmal.

Der für den erkrankten Michael Eder kurzfristig eingesprungene Georg Zeppenfeld war mit seiner Stimme prädestiniert für die Rolle des Commendatore. Er ist ein echtes Theatertalent und beindruckt auch mit wenigen, theaterwirksamen Gesten. Allein wie er den Kopf zum „Ja“ als Antwort auf die Einladung“ zum Festmahl neigte, rief den besagten Schauder hervor. Er macht auch aus der kleinsten Rolle eindrucksvolle Szenen. Mit seinem Auftritt kam Spannung ins Bühnengeschehen, und es wurde endlich dramatischer.

Zunächst musste er, da er gerade noch lebte, entsprechend Regie als sehr altersschwacher, gebrechlicher Herr, der noch (kämpfen) will, aber nicht mehr kann, erscheinen, um von Don Giovanni erstochen zu werden, was in diesem Fall nun wirklich keine Heldentat war! Später lugt er mal zwischendurch (als Geist?) kurz aus einem Umzugskarton, im dem er noch etwas später als weiß gekleidete Marmorstatue in sehr gut gelungenem Kostüm sitzt und schließlich mit lässigem Gang zu Don Giovannis letztem Festmahl erscheint, das mit einem Flammeninferno aus zunehmend rotem Licht, das langsam die Bühne „überschwemmt“, endet – auch nicht neu, aber in diesem Fall eine gute Lösung für die Höllenfahrt (Licht: Stefan Bolliger). Der Vorhang fällt. Es gibt kein Schluss-Oktett, was vielleicht bei den sehr unterschiedlichen Timbres auch kein sonderlicher Hörgenuss geworden wäre.

Kriegenburg betrachtet den Titelhelden „aus einem modernen Blickwinkel“, was jedoch der Oper viel von ihrem ursprünglichen Reiz nimmt, der gerade aus Kontrast und Widersprüchen von Verführung und früheren Moralvorstellungen resultiert und mit der Musik eine Einheit bildet. Es entstehen zwei Welten, die sich kaum tangieren. Was in Text und Musik als „Verbrechen“ gilt, ist heutzutage doch bestenfalls „Sport“ und nicht mal mehr ein „Kavaliersdelikt“. Es gehört schon fast „zum guten Ton“. Diese Probleme sind keine Probleme mehr und beeindrucken nur aus der Sicht in eine vergangene Welt. Durch die Regie wirkte alles etwas unterkühlt. Es gibt zahlreiche Ungereimtheiten, z. B. wenn sich die Gestalten angeblich im Dunkeln nicht erkennen, auf der Bühne aber im Scheinwerferlicht stehen.

Das sehr aufwändige, multifunktionale Bühnenbild von Harald Thor, das immer passt, aber nie wirklich gut, zwischen modernen Agentur-Räumen und heruntergekommenem „Festsaal“ mit Kellerromantik und wie Säulen oder „Gassen“, aus alten Theaterinszenierungen entlehnten, gegliederten, aber fleckigen und „verschimmelten“ Beton-Wänden und angrenzendem Extraraum mit gestürztem Grabkreuz oder „Kreuzwegstation“, was auf Dekadenz, Don Giovannis Religionsverachtung oder auf sein bevorstehendes Ende hindeuten kann, hätte man auch mit weniger Aufwand hinbekommen können.

Wer hat endlich einmal den Mut, etwas wirklich Neues, nicht als inhaltliche Umdeutung und Verfremdung, sondern als gekonnte Umsetzung des ursprünglichen Inhaltes zu bringen, ohne die Oper zu beschädigen?  Gegenwärtige Gesellschaftsstrukturen mit den typischen menschlichen Verhaltensweisen hat man schon zu oft in allen möglichen (und unmöglichen) Inszenierungen der verschiedensten Opern „original“ oder epigonenhaft gesehen und ist es nun leid. Fällt denn keinem Regisseur einmal etwas wirklich Neues ein? Selbst die seit mehr als 20 Jahren „obligatorischen Stühle müssten unbedingt dabei sein, auch wenn sie nur funktionslos im Weg herumstehen. Die Kostüme, die das „zynische Treiben in einer dekadenten Modewelt“ unterstreichen sollten, sind nicht einmal das, sondern ganz gewöhnliche Kleidung, treu, brav und bieder, wie man sie im (gehobeneren) täglichen Leben ständig sehen kann.

Die Zimmermädchen in schwarzen Kleidchen und weißen Schürzchen werden immer wieder eingesetzt und Wolkenkratzer, die im Hintergrund durchs Fenster lugen und sterile kalte Möbel, wie sie in jedem Einrichtungshaus zu sehen sind, sind schon lange keine Seltenheit mehr. Und selbst der (verspiegelte) Kühlschrank, aus dem sieh viele bedienen, erscheint überflüssig. Wer will das heute noch sehen?

Warum sollte man eigentlich noch in die Oper gehen, wenn man dort das Gleiche sieht wie im Kino oder Fernsehen? In der Oper möchte man schon etwas Besonderes erleben. Selbst die jungen Leute, die man so gern in der Oper haben möchte, möchten in eine andere Welt eintauchen, Sie können mit der Diskrepanz zwischen ursprünglicher Oper und moderner Deutung kaum etwas anfangen und sind dann meist ratlos. Am ehesten werden solche Inszenierungen noch von den älteren Besuchern, die die Opern schon von vielen stimmigen Inszenierungen her kennen, verstanden. Die Wirkung dieser modernen, früher als bewusst schockierend gedachten, Inszenierungen ist vorbei. Sie bestand im Widerspruch zu den älteren, die es jetzt kaum mehr gibt, und wenn, dann höchstens noch rudimentär. Jetzt ist etwas Neues gefragt. Wirklich neu (wenigstens für Dresden) war nur die „Rutschtechnik“, die ermöglichte, dass, wenn eine Person im Streit von ihrem Widersacher weggestoßen wird, sie dann in einer hochspritzenden Wasserlache weiterschlittert (zweimal angewendet).

Bei Kriegenburgs, zwar nachvollziehbarer Ausdeutung der Handlung, die auf Gedeih und Verderb in die Gegenwart transportiert wurde, fragt man sich oft unbewusst, ob Mozarts Musik eigentlich noch wirklich dazu passt. Diese, aufs Pragmatische gerichteten, Verhaltensweisen unserer Zeit, bei denen Verführung und Leichtfertigkeit schon lange keine „Vergehen“ mehr sind und wohl kaum noch moralisch belasten, bedürfen keiner emotionsgeladenen Erhöhung durch die Musik. Eine moderne Handlung braucht eigentlich andere Ausdrucksformen, wobei dann aber die Oper keine Oper mehr wäre.

 

Ingrid Gerk

 

 

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