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DRESDEN/ Semperoper: DON CARLO von G. Verdi mit einem Prolog und einem Zwischenspiel von Manfred Trojahn

23.06.2024 | Oper international

Dresden/Semperoper:  „DON CARLO“ VON GIUSEPPE VERDI MIT EINEM PROLOG UND EINEM ZWISCHENSPIEL VON MANFRED TROJAHN – 22.6.2024

Giuseppe Verdis grandiose Oper „Don Carlo“ wurde 1885 in Dresden zum ersten Mal aufgeführt und steht seitdem immer wieder in unterschiedlichen Inszenierungen auf dem Spielplan. 2021 hatte die Inszenierung von Vera Nemirova, eine Koproduktion mit den Osterfestspielen Salzburg, an der Semperoper Premiere. Jetzt lief die 8. Vorstellung und letzte vor der Sommerpause.

Nach neuester musikwissenschaftlicher Forschung gibt es von Verdi sieben Fassungen  dieser Oper, hier entschied man sich für eine „achte“, eine „Mischfassung“ aus der gegenüber der fünfaktigen Pariser Fassung kürzeren, nur vieraktigen Fassung in der italienischen Übersetzung von Achille de Lauzières Thémines und Angelo Zanadini von 1884, die früher oft gespielt, inzwischen aber wegen einiger unklarer Handlungsstränge infolge der Striche durch die dritte, wieder fünfaktige, Fassung in italienischer Sprache abgelöst wurde, und „ergänzte“ sie mit einem, die Vorgeschichte des Dramas erzählenden „Prolog für Orchester“, der mit dieser Premiere uraufgeführt wurde, und einem „Zwischenspiel für Violoncello solo“ von Manfred Trojahn, was eine Gesamtaufführungsdauer von vier Stunden ergab.

Zur Musik von Trojahn, die es – wie alle Musik in unmittelbarer Nähe von Verdis psychologisch, emotional und dramatisch die Handlung umsetzender und zwingend ergreifender Musik – nicht leicht hat, empfängt den Opernbesucher ein Video (rocafilm) mit riesigen Bäumen im Wald von Fontainebleau und hungernder und frierender Bevölkerung, die im spanisch-französischen Krieg extreme Not leidet, sowie einem weiß gekleideten Tänzerpaar (Chiara Detscher als junge Elisabetta – Michael Tucker als Carlo) mit naiver Tanzdarbietung (Choreografie: Altea Garrido), das dann am Schluss noch einmal als Erinnerung, wie alles begann, im Hintergrund auftaucht.

Während das wuchtige Bühnenbild (Heike Scheele), das den Betrachter die bedrückenden Verhältnisse hautnah spüren lässt, mit einer überdimensionalen symbolträchtigen Bücherwand, eine mächtige Klosterbibliothek assoziierend, und sehr geschickten, ideenreichen Verwandlungen auf offener Bühne nahtlos die unterschiedlichen Handlungsorte schafft, lässt die Personenregie auch „bei Hofe“ die Protagonisten oft in sehr „volkstümlichen“ Verhaltensweisen agieren und beschränkt sich nicht selten auf das Vorzeigen von Dingen aus dem Text. Die Kostüme (Frauke Schernau) sind wie üblich „gemischt“, für die Damen schöne, elegante Kleidung, für die Herren Fantasie-Uniformen, von denen eine auch der König im „Alltag“ trägt, der jedoch beim Autodafé mit Elisabetta royal erscheinen darf.

Bücher spielen eine exponierte Rolle. Das Autodafé findet hier als Bücherverbrennung statt, bei der die Bücher den Menschen mit brutaler Gewalt entrissen und dann verbrannt werden – mit echten Flammen, deren Rauch zum „Himmel“ steigt. Am Ende „gähnt“ dann in der Bücherwand eine vielsagende Leere. Nemirova ließ sich dabei von Heinrich Heines Worten „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt am Ende man auch Menschen“ leiten und rollt damit ein Kernstück der Oper rückwärts auf. Im Original geht es da direkt und stärker zur Sache. Und noch eine „Zutat“ dieser Inszenierung: der tote Posa steht am Ende wieder auf und wird von Karl V (stumme Rolle) ins überirdische Licht geführt.

Seinen Sohn, Filippo II, verkörperte, Ehrfurcht gebietend, mit „gewichtiger“ Gestalt und profunder Stimme Alexandros Stavrakakis, der sowohl kraftvoll, als auch mit klangvollem Piano aufwarten konnte und seiner berühmten Arie Schmelz und Ausdruck verlieh, während der sich die Eboli ins Zimmer schleicht, um ihm Elisabettas ominöses Kästchen hinzustellen und ihre Liebe zu ihm anzudeuten. Manche Regisseure mögen keine Arien oder meinen, sie „auflockern“ zu müssen, was bei Stavrakakis intensiver Gestaltung ganz und gar nicht nötig war und eher von dem guten Gesang ablenkte.

Yulia Matochkina erschien weniger als die schöne zweigesichtige Intrigantin, sondern als exzentrische, selbstsüchtige Principessa mit etwas scharfer, leicht gutturaler Stimme, die ihren unnahbaren, fast bösartigen Charakter offen zeigt.

Als Elisabetta war Liana Aleksanyan für die erkrankte Elena Guseva eingesprungen. Sie war eine junge, zierliche und dennoch ausdrucksstarke Königin, der man ihre Gewissenskonflikte glaubte. Sie sang mit schöner klangvoller Stimme, konnte aber bei ihrer entscheidenden Frage an die Eboli auch voller Empörung alle Kraft hineinlegen. Sie war, ohne sich in den Vordergrund zu spielen, die zentrale Gestalt.

Dem Sympathieträger Don Carlo verlieh Tomislav Mužek leidenschaftliche Aussagekraft  und glaubhafte Innigkeit. In der, den ruhenden Gegenpol bildenden Partie seines Freundes Rodrigo, Marchese di Posa, wirkte Christoph Pohl zunächst etwas zurückhaltend, vertiefte sich aber mehr und mehr in die Rolle und gewann bald an stimmlicher Qualität bis zur vollgültigen Darstellung seiner Rolle.

Als Großinquisitor spielte Taras Shtonda die Macht aus, die selbst den König erzittern lässt. Eine liebliche Stimme von oben stammte von Nikola Hillebrand. Den Flandrischen Deputierten gaben Sebastian Wartig, Ilya Silchuk, Gerrit Illenberger, Lawson Anderson, Mateusz Hoedt und Martin-Jan Nijhof Stimme und Gestalt.

 Der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung: Jonathan Becker) sang sehr exakt, klangvoll und mit wunderbarer Homogenität. Die Sächsische Staatskapelle Dresden spielte unter der Leitung von Jordi Bernàcer in höchster Qualität und mit feinsten Instrumentalsoli, insbesondere der Bläser, und mit beeindruckendem Cello-Solo im „Zwischenspiel“. Bernàcer verstand es, die dramatischen Szenen kraftvoll zu überhöhen, den Sängern aber Zeit und Raum zu lassen, sich voll und ganz in ihren anspruchsvollen Rollen zu entfalten. Er legte mit der Kapelle das Fundament für eine sehr beeindruckende Aufführung.

Ingrid Gerk

 

 

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