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DRESDEN/ Semperoper: DON CARLO – trotz kleinster „Orchesterbesetzung“ ganz große Oper mit Anna Netrebkos Rollendebüt

23.06.2020 | Oper


Elena Maximova (Eboli), Anna Netrebko (Elisabetta) und Yusif Eyvazov (Don Carlo) am Ende eines gelungenen Abends. Foto: Semperoper/ Aufklang

 

Dresden/Semperoper: TROTZ KLEINSTER „ORCHESTERBESETZUNG“ GANZ GROSSE OPER MIT ANNA NETREBKOS ROLLENDEBÜT ALS ELISABETTA IN „DON CARLO“ 21.6.2020

Durch das Corona-Virus war auch die Semperoper gezwungen, ihre Pforten zu schließen und die mit viel Spannung erwartete Premiere von Giuseppe Verdis „Don Carlo“, einer Kooperation mit den Salzburger Festspielen, in der Inszenierung von Vera Nemirova, deren Premiere mit Anna Netrebkos Dresdner Rollendebüt als Elisabetta für Mai 2020 geplant war, auf die Spielzeit 2020/21 zu verschieben.

Ihr Rollendebüt gab die Netrebko aber dennoch schon jetzt. Nach dreimonatiger Spielpause wagte man an der Semperoper die Wiedereröffnung mit einer neuen Reihe, dem „Aufklang!“ – eine Reminiszenz an den alljährlichen „Auftakt!“ am Beginn einer neuen Spielzeit – und das gleich mit einem „Paukenschlag“. Nach ihrem Hausdebüt im Jahr 2016 kehrte die unermüdliche Anna Netrebko, die sich eine große Opernrolle nach der anderen erschließt, mit ihrem geplanten “Don-Carlo“-Debüt an das Haus zurück – wegen der geforderten geringen Platzkapazität und damit stark eingeschränkten Besucherzahlen an vier aufeinanderfolgenden Abenden (19.-22.6.), was für manchen Opernfreund einen schmerzlichen Verzicht, für einige wenige aber ein außergewöhnliches Opernereignis bedeutete.

Sie kam, sah und siegte und verlieh selbst in der 90minütigen konzertanten, stark reduzierten, „kammermusikalischen“ Fassung mit ausgewählten Arien und Ensembleszenen unter den geltenden „Corona“-Bedingungen diesem musikalischen Ereignis unerwarteten Glanz. Man hatte viel erwartet, aber sie machte diese Aufführung mit einer kleinen „Abordnung“ von nur sechs Musikern der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Klavier und Harmonium statt großem Orchester zur ganz großen Oper.

Ihre Stimme klang ausgeruht mit der ihr eigenen Ausdruckskraft und Brillanz. Ihre bewundernswerte Gesangstechnik lässt sie offenbar alle Widrigkeiten schadlos überstehen, und so konnte sie ihren zahlreichen Paraderollen eine weitere hinzufügen, vielleicht sogar eine ihrer besten und überzeugendsten. Obwohl sie schon allen Ausdruck in die Stimme hineinlegt, vermag sie einer jeden Operngestalt, die sie verkörpert, auch noch durch ihre Gestik glaubhaft Leben einzuhauchen, Charakter zu verleihen und ekstatisch zu steigern, eine Vollblut-Opernsängerin mit allen Fasern.

Sie war Elisabetta und zog bei der Arie „Tu, che le vanitá“ alle Register ihres Könnens, die sie beherrscht wie kaum eine andere. Mit ihrer emotionalen Ausdruckskraft und wunderbarer Pianokultur in der Höhe, einschließlich kleiner wirkungsvoller, dramaturgisch eingesetzter Ritardandi zog sie alles in ihren Bann.

Ihr zur Seite standen international geschätzte Gäste und Sänger der Semperoper, die sich offensichtlich auch von ihren sehr hohen Maßstäben inspirieren ließen.

Elena Maximova wirkte als ihre Gegenspielerin Eboli etwas zurückhaltender, wie es der Rolle entspricht. Sie sang sehr gewissenhaft und mit Leidenschaft und gestaltete ihre Rolle geschickt in leichten Andeutungen szenisch mit. Wenn auch in der Höhe etwas guttural und leicht schrill, überwogen doch Temperament und schöne, ausdrucks- und gefühlvolle Passagen mit entsprechenden Feinheiten und gekonnten, lockeren Koloraturen. Bei dem berühmten „Schleierlied“ („Canzone del velo“) ersetzten drei versierte Damen des Sächsischen Staatsopernchores (Einstudierung: Jan Hoffmann) sowie Mariya Taniguchi vom Jungen Ensemble, die auch kurz einem Mönch ihre Stimme lieh, den Chor.

Vier Herren des Staatsopernchores, deren ungewohnter „A-capella-Gesang“ in Minimal-Besetzung trotz des gewahrten Abstandes von jeweils 1,5 m keine Homogenität vermissen ließ, begleiteten Alexandros Stavrakakis mit seinem profunden, volltönenden Bass als Mönch in Vorspiel und Introduktion. Die Gestalt Philipp II. lag bei Tilmann Rönnebeck in soliden „Händen“ bzw. Kehle, weniger emotionsreich als auf die technische Ausführung orientiert.

Als Don Carlo überzeugte Yusif Eyvazov  mit ausgewogener Technik, guter Diktion und Leidenschaft. Der metallisch-stentorische Klang seiner Stimme verlieh dem Infant von Spanien etwas mehr Strenge als gewohnt und dem Duett mit Posa, gesungen von Sebastian Wartig, der in lyrischen, mit Anteilnahme gesungen, Passagen wie bei „O Carlo, ascolta“ im Mezzoforte mehr überzeugen konnte, als bei dramatischen Ausbrüchen im Forte, eine gewisse Herbheit. Bei der minimalen „Orchesterbesetzung“ war jeder Sänger weitgehend auf sich „allein gestellt“ und seine Fähigkeiten „auf dem Prüfstand“.

Sehr zum Eindruck einer gelungenen „Opern“-Aufführung“ trug nicht zuletzt die einfach geniale musikalische Einrichtung von  Johannes Wulff-Woesten bei. der sich bei der Besetzung an Opernbearbeitungen des 19. Jahrhunderts orientierte und vom Klavier aus auch für die ausgezeichnete musikalische Leitung sorgte, sowie das kongeniale Zusammenwirken mit der Dramaturgie von Kai Weßler, bei der die Handlung mit nur wenigen Schritten, Distanzen, kleinen Gesten und Mimik, die Auf- und Abgänge geschickt einbezogen, besser erklärt wurde, als manche moderne Regie es vermag,

Da gab es keine Pausen, keine Lücken. In fließenden Übergängen fand die „gesamte“ Oper in geraffter Handlung statt. Allein wie sich Elisabetta und Don Carlo von beiden Seiten bei ihrem ersten Zusammenreffen zaghaft nähern, sich die Eboli später verzweifelt abwendet und schließlich niederkniet, die Königin aber, die sie vom Hofe verwiesen hatte, brüsk abgeht, schuf so viel Spannung, dass man keine Inszenierung vermisste.

Bei der Abschiedsszene „È dessa!“ durften Anna Netrebko und Ehemann Eyvazov sogar auf die gebotenen 1,50 m Abstand verzichten und dieses Duett auch szenisch sehr intensiv gestalten. Hier wurde mit (sehr) wenigen Mitteln sehr viel erreicht, da alle Akteure, die auch ihre eigenen Rollen-Vorstellungen einbringen konnten, dieses Konzept gekonnt umsetzten.

Die kleine „Abordnung“ der Staatskapelle: Robert Lis, Violine, Simon Kalbhenn, Violoncello, Andreas Wylezol, Kontrabass, Andreas Kißling, Flöte, Sebastian Römisch, Oboe und Volker Hanemann), Englischhorn, bildete ein klangschönes Fundament für die Sänger und stimmte mit klangvollen Soli von Englischhorn und dem berührenden Cello-Solo bei der Einleitung der Arie von Philippo II. „Ella giammai m’amó“ bedeutungsvoll auf das jeweilige „Ereignis“ ein. Die Musiker seien hier nicht nur wegen ihrer hervorragenden musikalischen Leistungen, sondern auch wegen ihrer nicht risikofreien Einsatzbereitschaft erwähnt.

Das verbindende (Klang-)Element zwischen Streichern und Holzbläsern bildeten Johannes Wulff-Woesten am Klavier, der auch für die musikalische Leitung sorgte, und Jobst Schneiderat am Harmonium, dem „Ersatz“ für weitere Bläser und Orgel, der „nebenbei“ auch mit den wenigen, sorgsam geschlagenen Glockentöne bedeutungsvoll in die Handlung einstimmte.

Ohne zu übertreiben, kann man sagen, dass sich dieses „Provisorium“ durch Anna Netrebkos herausragendem Rollendebüt, der musikalischen Einrichtung von Wulff-Woesten, der Dramaturgie von Weßler und den Musikern der Staatskapelle zu einer „Sternstunde“ der Oper entfaltete. Schade nur, dass wegen eines kleinen Virus nur sehr wenigen Besucher vergönnt war, einen dieser großartigen Abende zu erleben.

 Ingrid Gerk

 

 

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