Dresden / Semperoper: IMMER NOCH UND IMMER WIEDER “DIE ZAUBERFLÖTE“ IN DER INSZENIERUNG VON ACHIM FREYER – 7.9.2019
Seit 2006 steht „Die Zauberflöte“ in der Inszenierung von Achim Freyer, der auch für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, auf dem Spielplan der Semperoper und eröffnete nun auch die neue Opernspielzeit. Zweifellos ist W. A. Mozarts Oper ein Zugstück ersten Ranges, vor allem wegen der Musik, aber nach 13 Jahren kann diese umstrittene Inszenierung die Dresdner nicht mehr in die Semperoper locken, die ahnungslosen Touristen schon eher.
Bunt und mit einem wie eine ungeschickte Kinderzeichnung hingemalten Bühnenbild, das aller zeichnerischen Perspektive Hohn spottet, sowie Kostümen wie aus dem Kinderzimmer begibt sich Freyer mit einer, für Mozarts Zeiten angeblich typischen, Guckkastenbühne wieder auf den Ursprung des Kasperltheaters (warum eigentlich ?) und verzerrt alles ins Primitive und Lächerliche, stattet die Kostüme mit zotigen Details aus und erinnert mit seiner Lesart des Papageno wieder an den Hanswurst, den einst Caroline Neuber mit Mühe vom Theater verbannte.
Ich erinnere mich, dass im Treppenhaus des Wiener Naturhistorischen Museums (ja Naturhistorischen Museums!) einmal ein historisches Modell einer „Zauberflöten“-Inszenierung ausgestellt war, mit Erläuterungen, welche zu Schikaneders und Mozarts Zeiten lebende Personen als Vorbild für die Opernfiguren dienten, z. B ein sehr gebildeter, erfahrener und lebensweiser Bergrat für den Sarastro, ein bösartiger Kammerdiener für den Monostatos usw. Die Bühne war klein (ein Modell), aber so ausgefüllt, dass mit einer stimmigen Darstellung der Inhalt plausibel zu erfahren war.
In der szenischen Neueinstudierung von Hendrik Müller wird zwar manches etwas lebendiger gestaltet als vorher, aber vor allem die Rolle des Papageno, der ohnehin immer zum Publikumsliebling avanciert, „breitgewalzt“, z. B. mit einer ausgedehnten stummen Szene, in der er das Publikum ausführlich mit Gebärdensprache nach seinem, im Auftrag der nächtlichen Königin erteilten, Sprechverbot unterhält, oder die mehrfache Wiederholung der zotigen Details unterhalb der Gürtellinie bei seiner Begegnung mit Papagena.
Galt Emanuel Schikaneders Libretto zumindest in Deutschland in den 1950er Jahren als belanglos, so hat man doch inzwischen erkannt, dass sein Text voller Lebensweisheiten, die damals wie heute galten, und versteckter Anspielungen steckt, die nicht so einfach wegzuwischen sind.
Bei einer solch abgeflachten Darstellung kann auch eine gute Besetzung – wie bei den ersten beiden Vorstellungen (5. und 7.9.) – nicht alles retten, zumal die Inszenierung die Entfaltung der Solisten mehr behindert als unterstützt. Unterstützung erfuhren sie hingegen vom Dirigenten Patrick Lange, der sich die musikalische Leitung der Sächsischen Staatskapelle Dresden sehr angelegen sein ließ, das richtige Gespür für die Musik Mozarts hatte, richtige Tempi wählte und viel Rücksicht auf die Sänger nahm, ohne dass deshalb Abstriche beim Gesamteindruck zu machen gewesen wären. Er stellte die Oper musikalisch wieder auf die Füße, und aus dem Orchestergraben kamen mitunter hinreißend klangschöne Passagen.
Bereits der erste Auftritt der drei Damen der Königin der Nacht Ute Selbig, Christina Bock und Christa Mayer hatte musikalisch und – im Rahmen des Möglichen – auch darstellerisch Niveau, wobei die anmutige Ute Selbig dem Trio Profil und Verve verlieh. Jeder Ton, jede Bewegung hatte Bedeutung. Sie fügte sich nahtlos in das Gesamt-Erscheinungsbild ein und setzte doch die i‑Tüpfelchen.
Als die drei Knaben, die trotz ihrer Flügelchen sehr irdische Spielereien schon während der Ouvertüre treiben, traten drei „echte Knaben“ der Aurelius Sängerknaben Calw auf. Sie sangen sicher, gut und richtig, aber im Gegensatz zu den „gestandenen“ Sängerinnen und Sängern wirkten sie doch im großen Opernhaus sehr „zart“.
Als Königin der Nacht nahm sich Tuuli Takala bei ihrem ersten Auftritt Zeit, um vor allem dem Leiden der Mutter Ausdruck zu verleihen, brillierte aber bei der zweiten Arie nach allen Regeln des Belcanto und ließ der Hölle Rachen in ihrem Herzen toben. Die Rolle ihres, von lächerlichen Löwen (Komparserie) gefolgten, „Widersachers“ Sarastro hatte glücklicherweise wieder Georg Zeppenfeld übernommen. Das Haus kann sich glücklich schätzen, einen Weltstar wie ihn, der auch hier wieder in einer seiner Paraderollen, mit klangvoller Stimme, ausgesprochen sicherer und klangvoller Tiefe, großer Gewissenhaftigkeit und würdevoller Ausstrahlung faszinierte, engagieren zu können.
Martin Mitterrutzner gab einen passablen Tamino und Magdalena Risberg eine zuverlässige Pamina, die jedoch in den Sprechszenen relativ leise zu vernehmen war. Der Rolle des Papageno wurde in diesem Rahmen Bernhard Hansky gerecht. Als seine Papagena war Tania Lorenzo für die erkrankte Christiane Hossfeld eingesprungen und ersetzte sie in ähnlich possierlicher Weise. Timothy Oliver fügte sich in die Rolle des bösen Monostatos, und Markus Marquardt fungierte als guter Sprecher.
Als Erster und Zweiter Priester hatten Allen Boxer und Gerald Hupach vorwiegend witzige und ihre Bedeutung herunterspielende Einfälle zu bedienen. Nur bei den beiden Geharnischten Jürgen Müller und Alexandros Stavrakakis gab es Einschränkungen. Da passten schon die Timbres nicht gut zusammen. Sie sangen mehr nebeneinander her als zusammen, wobei Stavrakakis überzeugender wirkte.
Der Sächsische Staatsopernchor konnte sich inszenierungsbedingt – mit Ausnahme einiger Vertreter – zwar nicht auf der Bühne sehen, wohl aber in der Einstudierung von Cornelius Volke hören lassen. Letztendlich trug zum Schluss auch bei dieser Aufführung wieder Mozarts Musik mit überwiegend guter solistischer Besetzung, Chor und Orchester den Sieg davon.
Ingrid Gerk